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„Papa, wie geht das noch mal?“

Illustration: Lucia Götz

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Vor ein paar Wochen bin ich umgezogen. In eine neue Stadt, in der ich kaum jemanden kenne. Ich habe Kisten gepackt, aussortiert und kritisch den wundersam wachsenden Haufen beäugt, der irgendwie in meinen Corsa passen soll. Dann rief mein Vater an: „Maus, wie siehts aus?“ Ich wusste, was das heißt.

In meiner Familie gibt es eine Umzugstradition. Seit meinem Auszug in die erste WG sind meine Eltern dabei. Denn meine Eltern haben ein Wohnmobil. Ein Wohnmobil kann alles, was ein Umzugswagen auch kann, wenn man nicht so viele Sachen hat. Nur kostet es weder Kilometergeld noch Miete. Unser Deal war simpel: Mein Papa fährt, meine Freunde und ich laden das WoMo ein und aus, danach lade ich meine Eltern zum Essen ein. 

Es war eine schöne Tradition, ein paar Jahre lang. Wir aßen zusammen Pizza oder Spaghetti, meine Mutter schmierte Brote für zwischendurch. Ich war ihnen dankbar. Dann wurde ich älter. Und fühlte mich plötzlich unselbstständig. Ich konnte mich zwar alleine ernähren, Wäsche waschen und die Stromrechnung bezahlen, aber zum Umzug kamen immer noch Mami und Papi vorbei. Das nervte. Vielleicht auch, weil Umzüge doch auch immer etwas von Neuanfang haben, von mit jedem Mal ein bisschen erwachsener werden. Also schleppte ich meine Koffer lieber durch die U-Bahn oder mietete zu kleine Transporter. In der U-Bahn riss mir ein Taschenriemen und meine Palme verlor ein paar Blätter, aber als endlich alles im neuen Zimmer war, fühlte ich mich tatsächlich eigenständiger. Wenn mein Vater vor Umzügen anrief, sagte ich: „Danke, krieg ich hin.“

Ich fühlte mich tatsächlich eigenständiger

Nur dieses Mal nicht. Ein Sessel, eine Lampe und ein Regal standen noch im Zimmer, neben dem wachsenden Kistenberg. Der Corsa war fast voll. Als das Handy klingelte, googelte ich gerade „Dachträger“. „Soll ich doch kommen?“, fragte mein Vater. Lange Pause. „Vielleicht“, sagte ich. Ein paar Stunden später war er da und wir beluden zusammen das WoMo.

Dass ich die Hilfe meiner Eltern scheinbar immer noch brauchte, regte mich auf. Warum aber ist es anders, wenn ein Kumpel fragt, ob er mit seinem Bus aushelfen kann? Heißt Hilfe von den Eltern annehmen, automatisch die Eigenständigkeit aufzugeben?

Viele meiner Freunde bekommen noch Hilfe von ihren Eltern – oft bei merkwürdigen Dingen. Matti lagert seine Winterreifen immer noch bei seinen Eltern in der Garage, obwohl er 200 Kilometer entfernt wohnt. Als ich frage, warum, sagt er: „Gewohnheit.“ Eine Kollegin bekommt von ihrer Mutter bei jedem Besuch 20 Euro zugesteckt, obwohl sie bald 30 wird und seit Jahren ein geregeltes Gehalt hat. Ann ruft zur Weihnachtszeit regelmäßig ihre Mutter an, und lässt sich noch mal erklären, wie man diese einen Plätzchen hinbekommt. Einmal im Jahr fragt sie ihren Vater, einen Lehrer, bei der Steuer um Rat. Und mein Freund Hauke gibt beschämt zu, dass seine Eltern aus unerklärlichen Gründen immer noch seine Handyrechnung zahlen.

Plätzchen, Autorreifen, Handyrechnung, Umzugsservice: Wenn man das so aufzählt, könnte man denken, wir sind noch überhaupt nicht abgenabelt. Ich gebe zu: Als ich meinen Vater mit dem WoMo um die Ecke biegen sah, fand ich mich ein bisschen zum Kotzen. Aber ich war auch ein bisschen erleichtert. Und vor allem dankbar dafür, dass er da war.

Tatsächlich sind solche Elternmomente oft die letzten Relikte der Kindheit. Wir sind ausgezogen, sehen uns seltener und haben, alles in allem, unser eigenes Leben. Und immer öfter erklären, bezahlen und reparieren wir auch mal unseren Eltern etwas. Die Dynamik dreht sich mit voranschreitendem Alter nämlich um. Aber in den Momenten, in denen Eltern helfen, ist das alte Gleichgewicht noch da: Die Eltern fühlen sich gebraucht, die Kinder umsorgt. Das ist schön, vielleicht gerade weil beide Seiten wissen, dass die Zeiten eigentlich vorbei sind.

Das alte Gleichgewicht ist wieder da

Für Matti wäre es einfacher, seine Autoreifen endlich mal in seinem eigenen Keller einzulagern, Ann wäre mit einem Steuerberater vielleicht wesentlich besser dran – und ich sollte akzeptieren, dass Umzüge viel Geld kosten und nächstes Mal einen Transporter mieten. Aber auch uns fällt das Loslassen schwer. Gar kein Rückhalt von den Eltern wäre wie der symbolische Moment, in dem man beim Metzger keine Gratisscheibe Wurst mehr bekommt. Heißt: Jetzt bist du wirklich groß. Klar, ich will nicht mit 50 tränenverschmiert vor einem Kistenberg stehen und schluchzen: „Das hat sonst immer mein Papa gemacht!“. Aber in dieser Minidosis ist Eltern-Kind-sein genau richtig – weil danach jeder wieder groß sein darf.

In meiner neuen Wohnung angekommen, machte sich mein Vater übrigens sofort ans nächste Projekt: ein praktisches Eckregal für die Küche, seine Spezialität. In seiner Wohnung ist nämlich keine Ecke nackt („Ist doch verschenkter Platz!“). Ich sah in Gedanken schon seine zusammengezimmerten Konstruktionen aus Spanholz und Plastik vor mir, aber ich sah auch das Leuchten in seinen Augen, als er sagte: „Da könnte ich noch ein kleines Regälchen...“. Ich war zu müde, um mich zu wehren. Und ganz ehrlich, kann so ein bisschen Stauraum denn schaden? Das ist das Problem mit den Elterndiensten. Sie sind nicht nur Gewohnheit. Sie sind vor allem gut gemeint. Deswegen kann es schwerfallen, sie abzuschlagen.

Die Wahrheit ist, dass wir auf Elternhilfe schon lange nicht mehr angewiesen sind. Aber genau deshalb fühlt sie sich nach Familie an: Ich bin da, egal ob du mich brauchst. Wenn Matti seine Reifen holt, sitzt er immer noch ein bisschen in der Küche, isst mit seinen Eltern zu Mittag oder geht mit dem Hund, so wie früher. Und was meine Kollegin mit ihren 20 Euro macht, weiß ich leider nicht. Ich hoffe, sie kauft sich was Gesundes und denkt an ihre Mutter. Als mein Vater in der Ecke die letzte Schraube in die Wand drehte und prüfend zurücktrat, sah ich, wie zufrieden er war: Mit dem Regal und der Tatsache, dass er es für mich bauen kann. Vielleicht ist das okay: Eltern bleiben immer ein bisschen Eltern, Kinder immer ein bisschen Kinder. Man muss sich nur entscheiden, welches Bisschen bleiben soll.

Am nächsten Morgen ist mein Vater wieder weg. In der Ecke hängt sein schiefes Eckregal. Ich muss jedes Mal lächeln, wenn ich sehe, wie sich die Kakaodose links an den Kaffee schmiegt. Den nächsten Umzug mache ich selbst. Aber wenn ich eine platzsparende Ecklösung brauche, dann rufe ich ihn an.

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