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WG-Party mit Papa?

Illustration: Lucia Götz

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Wenn meine Eltern früher mit Freunden Feste feierten, meine Mutter ihr Weinglas mit Lippenstift bedeckte und zu säuseln begann, saßen wir Kinder meist am Kindertisch und schielten sehnsuchtsvoll zu ihnen hinüber. Erwidert wurden unsere Blicke nie. Wir waren eben nur die Kleinen, die von Erwachsenengesprächen nichts verstanden. Sie, die Großen, blieben lieber unter sich. Die Grenze schien unüberbrückbar.

Heute sind wir selbst so gut wie erwachsen und die Frage, wer, wann und wo miteinander am Tisch sitzt und Wein trinkt, stellt sich erneut. Sollten wir Mama und Papa lieber von unseren Freunden fernhalten, so wie sie es damals mit uns getan haben? Oder könnten sie einen Abend sogar bereichern? Mein Vater hat mir diese Entscheidung neulich abgenommen, als er sich zu meiner WG-Party einfach selbst einlud.

Seit ich denken kann, wohnt Papa im Süden Deutschlands und ich im Norden. Unser Verhältnis ist trotz der Entfernung ziemlich okay. Wir telefonieren regelmäßig. Papa erzählt, ich höre zu. Meist geht es um seine drei Lieblingsthemen: das Fernsehprogramm, die Fehlerhaftigkeit seines Smartphones und irgendwelche Schnäppchen, die er aufgetrieben hat. Zum Glück kann er nicht sehen, wie ich bei solchen Sätzen die Augen verdrehe. Mein Papa, denke ich häufig, könnte die Vorlage für die Vaterfigur im Film „Toni Erdmann“ gewesen sein: Viel Herz aber wenig Takt- und kein bisschen Stilgefühl.

Neulich zog ich dann auch in den Süden. Nach München, Papas Lieblingsstadt. Klar, dass er sich sofort als Einzugshelfer und Ein-Mann-Empfangskomitee anbot. Doch auch meine neuen Mitbewohner hatten schon vorgeplant: Vortrinken bei uns und dann ins Bahnwärter Thiel.  Und Papa? Der besorgte, nachdem ich ihm von unseren (!) Plänen erzählt hatte, großzügig drei Flaschen Wein. Dass er nicht nur die erste Flasche, sondern auch die zweite und dritte mit uns zu trinken gedachte, wurde mir erst im Verlauf des Abends klar – und mit jedem Glas wurde ich nervöser.  

Ich befürchtete das Schlimmste: beschämende Pubertäts-Anekdoten, ein Loblied auf die ZDF-Trödel-Sendung „Bares für Rares“ oder den „wunderbar trockenen“ Rotkäppchen-Sekt. Doch die Gesprächsthemen bewegten sich im grünen Bereich. Genauer gesagt: auf den Rollrasen der nationalen Fußballstadien. Bei Fußballthemen kann man Papa nichts vormachen. Mühelos verkumpelte er sich mit den anwesenden Jungs, den Mädels schenkte er aufmerksam Wein nach. Mir schenkte er ab und an ein treuherziges Lächeln.

Für meine WG schien mein Vater in atmungsaktivem Jack Wolfskin-Kurzarmshirt, der „Bologna“ von Wanda mitsummte, plötzlich das Normalste der Welt zu sein. Ich hingegen, die ihn keines Blickes würdigte und aus Kenntnis seiner mangelnden Smalltalk-Kompetenzen in kein Gespräch mit einbezog, die Verklemmte. Als er für einige Minuten die Küche verließ, nutze ich die Zeit um in die Runde zu fragen: „Nervt Papa eigentlich?“ „Nö, nervt nicht.“ „Wirklich nicht?“ „Wirklich nicht!“

Uncoole Eltern können ziemlich viel zerstören

Fühlte ich mich tatsächlich als Einzige von seiner Anwesenheit gestört? Wofür schämte ich mich eigentlich? Wollte ich nicht im Grunde nur, dass sie ihn mochten? Coole Eltern zu haben, galt schon immer als vorteilhaft. Bei coolen Eltern durfte man lange aufbleiben, Horrorfilme schauen, Softdrinks trinken und Frittiertes essen. Leute mit coolen Eltern hatten viele Freunde. Mit denen war jeder gerne befreundet. Wer coole Eltern hatte, war automatisch selbst ein bisschen cooler.

Gleichzeitig können uncoole Eltern ziemlich viel zerstören. Zum Beispiel die Fassade, die man sich jahrelang vor neuen Freunden aufgebaut hatte. Sie können verraten, dass man noch immer jedes Jahr an Weihnachten die Sissi-Trilogie guckt und bei „Cap und Capper“ weint. Dass einem der Joghurt häufig aus dem Becher hüpft und man auch sonst eher tollpatschig ist. Doch Papa erzählte an diesem Abend nichts von alledem. Er saß nur da, trank, lächelte selig und gab ein paar harmlose „als-ich-in-eurem-Alter-war“-Geschichten zum Besten.

Schließlich gab ich meinen Widerstand auf. Betrachtete Papas hängende Schultern, seinen hochroten Kopf und wie er sich körperlich klein zu machen versuchte. (Um mir nicht unangenehm aufzufallen?). Und Papa beobachtete auch mich. Wie ich von Reisen erzählte, von denen er bisher nur wusste, wieviel der Flug ihn gekostet hatte und was auf seiner Postkarte stand. Von Zukunftsplänen, Erfolgen, Misserfolgen und Tinder-Dates. Es musste viele Dinge geben, die er an diesem Abend zum erstem Mal hörte. Nicht nur weil er mich am Telefon nie danach fragte, sondern auch, weil sie nichts mit Miete, Kaution, Steuererklärung, Krankenversicherung, Autoversicherung, Geburtstagsgeschenken, Weihnachtsgeschenken und Winterreifen zu tun hatten. Und weil ich sie mit der Souveränität von drei Gläsern Wein und mit dem Wunsch gemocht zu werden erzählte.

Bevor wir aufbrachen, wurde Papa von allen herzlich gedrückt

Am Ende des Abends war Papas Blick ganz weich. Ich kannte diesen Blick. Er hatte ihn, als er mich in meinem ersten Musical auf der Bühne sah, als ich 15 Punkte in der mündlichen Abiturprüfung bekam und als man mir mein Bachelor-Zeugnis in die Hand drückte. Papa blickte stolz und ein bisschen gerührt. Am liebsten hätte ich ihm meinen Arm um die Schulter gelegt. Ihm gesagt, wie sehr mich seine Anwesenheit freut.

So ging es komischerweise auch meinen Freunden. Bevor wir aufbrachen, wurde Papa von allen herzlich gedrückt. Einer warf sogar das unfassbare „Komm doch noch mit Feiern?!“ in den Raum. Papa zögerte. Er sah mich an. Mir war es inzwischen egal. Ich wusste, dass Papa früher gerne ins P1 gegangen war und malte mir schon aus, wie wir den Türsteher von seiner Partytauglichkeit überzeugen würden.

 

Aber Papa hatte genug für den Abend. Stattdessen griff er nur in die Brusttasche seines Kurzarmhemdes und zog einen Fünfziger heraus. „Bringt bitte meine Tochter sicher nach Hause“, schärfte er den Jungs zum Abschied ein. Dann gingen wir.

 

Als wir am nächsten Morgen um halb sechs nach Hause kamen, hatte Papa schon die Küche aufgeräumt – und jedes einzelne Weinglas poliert. Meine neuen Mitbewohner nickten anerkennend und sprachen aus, was auch ich dachte: „Dein Papa kann gerne jederzeit wiederkommen!“.

 

Die Autorin dieses Textes möchte anonym bleiben, damit sie von ihrem Papa am Telefon weiterhin eine Zusammenfassung von „Bares für Rares“ bekommt. 

 

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