Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

„Vor euren Augen passiert etwas, das ihr nicht mitbekommt“

Dompteur Mooner, Markus Burke, Collage: Daniela Rudolf

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

 Seit mehreren Jahren errichten dort Flüchtlinge im Sommer ein Zeltlager aus Planen, Ästen und Gestrüpp. Ohne Wasser, ohne Strom, ohne alles. Der Münchner Künstler, Musiker und DJ Dompteur Mooner, bürgerlich Emanuel Günther, holt dieses Areal im Rahmen seiner aktuellen Ausstellung in die Stadt. „Ash Reignite“ heißt sie und wird am Freitag in der Miao Bar am Hauptbahnhof eröffnet. Dort zu sehen: eine Installation aus Buschwerk, Konservendosen und Stoffresten, die die Flüchtlinge zurückgelassen haben. Dompteur Mooner strickt seine Ausstellungen stets um konkrete Orte. Mal in der Lokomotivhalle am Zenith-Gelände, mal funktioniert er zusammen mit Polina Lapkovskaja die Unterführung des Maximiliansforum zum „Pollyester Parking Lot“ um. Außerdem ist er DJ der Zombocombo, eine monatliche Partyreihe, die ihren Gästen gerne mit Kunstaktionen zwischen die Ohren greift.

cover ashes
Dompteur Mooner, Markus Burke, Collage: Daniela Rudolf

jetzt.de München: Emanuel, erzählen Orte Geschichten, die Menschen nicht erzählen können?

Dompteur Mooner: Sie erzählen auf jeden Fall unverfälschter. Wenn ich eine Oral History von jemandem lese, ist die meistens emotional gefärbt. Wenn ich aber einen Ort sehe, nehme ich ihn nur so wahr, wie er mir erscheint. Ich frage mich dann, was mir der Ort vermittelt: Wirkt er aggressiv, bedrohlich, verlassen?  

Brauchst du als Künstler einen Ort, auf den du dich beziehen kannst?

Ja, ich finde vor allem die Atmosphäre von Orten sehr inspirierend. In einer verlassenen Lokomotivhalle zum Beispiel herrscht eine ganz bestimmte Stimmung. Um die einzufangen, braucht man sich nur hineinzustellen und seine Fühler auszufahren. Ich versuche, da für mich so ein Grundgefühl rauszuziehen und baue das in meine Arbeit ein.  

Welches Gefühl hattest du, als du das Zeltlager gesehen hast?

Ich kenne den Fleck schon lange, weil ich dort regelmäßig Motocross fahre. Vor etwa drei Jahren ist mir zum ersten Mal aufgefallen, dass in den Sommermonaten Menschen ihre Zelte in das Gestrüpp bauen und dort übernachten. Diesen Sommer waren es so viele, dass im Grunde genommen das ganze Waldstück von Flüchtlingen bewohnt war. Zwischen deren Feuerstelle und den Zelten geht meine Motocross-Route durch und ich kam mir da dieses Jahr irgendwie schuldig vor.  

"Das ist ein Paralleluniversum!"

Weil du deine Freizeit verbracht hast, wo es bei anderen ums Überleben ging?

Das zum einen. Zum anderen aber, weil ich mehr oder weniger durch deren Wohnzimmer gefahren bin und eine Abgaswolke hinterlassen habe. Aber die hat das nicht gestört. Stattdessen haben sie mich jedes Mal gegrüßt, wenn ich an ihnen vorbei gefahren bin.  

Seid ihr ins Gespräch gekommen?

Ja, wenn auch nur mit Händen und Füßen. Die meisten Menschen dort waren aus Rumänien und haben fast kein Deutsch gesprochen. Ich wiederum kann kein Rumänisch. Ich habe versucht herauszufinden, ob sie irgendwas brauchen, ob ich ihnen etwas besorgen kann. Das waren dann vor allem Zeltplanen, Schlafsäcke und Schuhe. 

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert
Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert
text ashes 4
Markus Burke

Wie kam es dann, dass du dazu eine Ausstellung machen wolltest?

Es hat mich fasziniert, wie die Menschen dort in der Natur überleben. Ich habe mich gefragt: Würde ich das auch schaffen? Mit einfachsten Mitteln im Wald, wenn ich nur ein Messer und meine Kleidung hätte? Die Art, wie diese Menschen ihre Zelte bauen, wie sie mit der Natur leben: das ist ein Paralleluniversum.  

 

Das du jetzt in die Stadt trägst.

Weil es einen Teil von München zeigt, den sich niemand vorstellen kann. Kaum jemand weiß, dass es so etwas direkt vor unserer Haustür gibt. In unserem Alltag kommen wir mit den Menschen dort ja nicht in Berührung. Sie leben unsichtbar. In der Stadt kann man sich auch gar nicht vorstellen, ohne Besitz zu leben, ohne Wasser, ohne Strom.  

 

Kommentierst du mit „Ash Reignite“ also die Situation der Flüchtlinge?

Ja, das ist aber nur eine Ebene. Eine andere Ebene ist das Überleben in der Natur, das uns in den Industriestaaten völlig abhanden gekommen ist. Der Titel bedeutet ja: Asche, entzünde dich neu. Eigentlich ist das nicht möglich, weshalb das für mich eine gewisse Hilflosigkeit ausdrückt. Die Hilflosigkeit, mit der Flüchtlingssituation umzugehen und die Hilflosigkeit, in der Natur zu überleben.  

 

Was haben denn Flüchtlinge damit zu tun, dass wir in der freien Natur nicht mehr überleben können?

Nun ja, der Ausgangspunkt der Ausstellung ist: Die Flüchtlinge haben den Sommer über in dem Waldstück gewohnt und dieses Zeltlager zurückgelassen. Von dort habe ich die ganzen Gegenstände mitgebracht, ich dokumentiere das quasi. Diese Hinterlassenschaften erzählen davon, wie Menschen es schaffen, unter widrigen Umständen zu überleben. Das Überleben in der Natur ist deren tägliche Realität, und genau die können wir in unserer sehr gepflegten Millionenstadt einfach nicht nachvollziehen. Obwohl das nur ein paar Kilometer außerhalb von München passiert.  

 

"Ich führe die Besucher zu diesem Waldstück, indem ich Teile davon in einen Ausstellungsraum bringe."

 

Hätten wir mehr Gefühl für das Leben in der Natur, würden wir Flüchtlinge also besser verstehen?

Definitiv. Uns wäre klarer, was diese Menschen während ihrer langen Reisen auf sich nehmen müssen. Die machen das ja nicht freiwillig, sondern sind dazu gezwungen. Die Flüchtlinge, die ich getroffen habe, waren dadurch sehr geübt darin, ohne jeglichen Besitz auszukommen. Möglicherweise ist es auch das, was auf Teile unserer Gesellschaft so fremd und unbekannt wirkt: dass sie ohne Behausung leben. Ich kann mir gut vorstellen, dass das Berührungsängste auslöst.

 

Im vergangenen Jahr hat die Kunst mehrmals auf das Thema Flucht geantwortet, vor allem das Zentrum für Politische Schönheit. Braucht’s Künstler bei solchen Themen überhaupt?

Das ist mir eigentlich egal. Gefragt sind sie bestimmt. Die Kunst gibt zwar keine klaren Statements – das wäre auch langweilig –, aber als Künstler hat man schon die Verantwortung, politisch zu denken und zu reflektieren.  

 

Welchen Beitrag kann die Kunst da überhaupt leisten?

Sie kann den Blickwinkel verändern. In meinem Fall geht es eben um eine Information, die ich liefern möchte: „Vor euren Augen passiert etwas, das ihr gar nicht mitbekommt.“ Ich führe die Besucher zu diesem Waldstück, indem ich Teile davon in einen Ausstellungsraum bringe. Es ist eine Art, das Thema den Leuten bewusst zu machen.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Passiert das in München zu wenig?

Gerade politisch hat München in den vergangenen Monaten ganz gut reagiert. Wobei klar ist: Ohne die freiwilligen Helfer wären wir im Chaos erstickt. Umso großartiger fand ich diese Welle der Hilfsbereitschaft, die in der Stadt aufkam. Nur gilt es jetzt halt, diese Hilfsbereitschaft über die nächsten Monate und Jahre auch zu halten.  

 

Hast du den Eindruck, dass auch andere Künstler hier das Thema ausreichend aufgreifen?

Die meisten Menschen, die ich kenne und die sich aktiv damit auseinander setzten, machen tatsächlich keine Kunst. Ein Teil der Subkultur ist schon aktiv, aber das ist nur ein gewisser Prozentsatz.  

 

Clubs wie das Import Export und Initiativen wie Bellevue die Monaco sind ja sehr engagiert.

Stimmt, das sind so die beiden Inseln in der Stadt, die mir dazu auch einfallen. Und deren Art, sich zu engagieren, ist tatsächlich auch neu: Früher ist die Subkultur eher zu Demonstrationen gegangen und hat damit ihren Teil beigetragen. Jetzt entstehen Projekte, bei denen sich Leute zusammen tun, konkrete Ziele abstecken und selbst aktiv werden. Die setzen auf einer ziemlich hohen Ebene an und machen das sehr intelligent.  

 

Du zeigst deine Ausstellung nun ab Freitag in der Miao Bar – einer Location, in der Menschen sonst feiern. Warum ausgerechnet da?

Das hat sich eher so ergeben, weil mir die Idee zu „Ash Reignite“ relativ spontan kam und ich die Ausstellung woanders nicht so schnell hätte umsetzen können. Aber ich finde es natürlich gut, die Leute genau dann zu konfrontieren, wenn sie nicht damit rechnen. Bei der Zombocombo ist das ja ähnlich: Wir versuchen Partys zu veranstalten, bei denen man nicht weiß, was einen erwartet. Wo wir die Clubgänger mit einem spontanen Kunstspektakel überrumpeln und damit den normalen Rhythmus eines Samstagabends außer Kraft setzen. Das kann ich mittlerweile ganz gut, glaube ich.  

 

Ash Reignite, Fr., 18. bis Do., 24. Dez., Miao Bar, Dachauer Str. 14

  • teilen
  • schließen