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Popcorn für alle
Jeder, der gerne Filme in der Originalversion sieht und sein Popcorn gerne mit Freunden teilt, kennt diese Frage: „Schauen wir jetzt mit oder ohne Untertiteln?“ Jene, die Englisch nur aus der Schule kennen und das letzte Wort in einer anderen Sprache mit einem nach dem Weg fragenden Touristen gewechselt haben, können sich oft nur schwer mit fremdsprachigen Filmen ohne Begleittext anfreunden. Aus einem einfachen Grund: Die Handlung bleibt für sie weitgehend unverständlich, das „Kino-Gefühl“ leidet darunter. Das Lager der O-Ton-Woller beklagt im Streit ähnliche Effekte, begründet das jedoch genau andersherum. Doch es gibt auch eine Gruppe von Menschen, für die solche Diskussionen Luxusprobleme sind. Sie können Popcorn zwar riechen und Eiskonfekt schmecken, kommen aber gar nicht erst damit in Berührung, zumindest nicht im Kino, da sie den Rest nicht können: Hören. Oder sehen.
Blinde und Taube waren lange Zeit auf Sondervorstellungen in Kinos mit Hang zum Karitativen angewiesen. Spezielle Vorführungen für Blinde, bei denen die Handlung live von einer Person eingesprochen oder, zuvor aufgenommen, zusammen mit dem Film abgespielt wird, ermöglichen schon heute einen Kinogang für Betroffene. Taube haben, falls keine untertitelte Version ihres favorisierten Streifens läuft, immerhin die Chance auf die DVD-Veröffentlichung zu warten, um sich einen Hauch Hollywood abzuholen. Doch als barrierefrei kann man die Situation nicht betiteln: Nur wenige Kinos bieten Spezialvorstellungen an, nur vereinzelt finden Vorführungen statt und die Filmauswahl ist eingeschränkt – selten werden aktuelle Filme gezeigt. Sich gemeinsam mit einem Freund ohne visuelle oder auditive Beeinträchtigung an einem Film zu erfreuen, ist für viele nahezu unmöglich.
Zwei neue Apps wollen das nun ändern. Ihr Ziel: Blinde und Taube in die Jury der großen Filmfestivals wie Cannes oder Venedig zu bringen. Ihre Art der Filmrezeption soll Ergänzung und Kontrast zu gewöhnlichen Filmkonsum bieten. Die Anwendungen heißen „Greta“ und „Starks“ – das sind Ableitungen von „groß“ und „stark“. Durch Audiodeskription über Kopfhörer, die die wichtigsten dramaturgischen Schritte für Blinde nachvollziehbar macht, und Untertitel für Gehörlose, verschaffen die beiden Smartphone-Anwendungen auch Menschen mit beeinträchtigter Sinneswahrnehmung auf dem rot gepolsterten Sesseln Platz. Ohne aufwendige Konferenztechnik oder die Beeinträchtigung der anderen Besucher werden die entsprechenden Daten synchron über das eigene Gerät abgespielt. Die Apps sind kostenlos und auf allen gängigen Betriebssystemen verfügbar.
http://www.youtube.com/watch?v=Gjn5PHFKwYQ
Autonom und unauffällig können Filmliebhaber mit Sinnesbehinderung also jetzt Filme genießen, ohne bereits durch den schweren Zugang zu ihrem Kinoerlebnis Ausgrenzung zu erfahren. Die Hemmschwelle bei vertrauten Geräten ist gering, die Untertitel oder Audiospuren sind nur einen kostenlosen Download entfernt.
Noch ist die Kinowelt von einem selbstverständlichen und selbstbestimmten Kinogang für jedermann weit entfernt. Greta und Starks sind nur zwei Angebote an die Filmbranche. Ob die neuen Möglichkeiten auch genutzt werden, liegt letztlich in Hand der Filmvertriebe. Bis jetzt nutzen lediglich drei Filme die jungen Apps: „Der Medicus“, „Buddy“ und „Imagine“ – alle unterstützt von derselben Filmförderung. Der Verleih, der die Entwicklung von Greta/Starks in Auftrag gegeben hat, will mit exklusiven Vorpremieren und anderen Events sein junges Projekt bekannt machen. Ob die Major-Distributionsfirmen und Filmförderungen das Vorhaben unterstützen, ist noch ungewiss. Die Entwickler arbeiten ebenfalls an einer Datenbrille, die Starks Untertitel auf deren Oberfläche projiziert, um das Lesen noch komfortabler zu machen. Das Unternehmen bleibt aber auf weiteres auf Fördergelder angewiesen. Bis für Blinde und Taube ein Kinobesuch alltäglich wird, kann es also noch etwas dauern.