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Gegenstand der Woche: TECHNICS 1210
Es gibt drei nicht wieder gutzumachende Beleidigungen im Leben eines DJs: Sein Name wurde auf dem Party-Flyer vergessen. Der Veranstalter weist ihn darauf hin, dass Getränke mit der Gage verrechnet werden. Und die schlimmste von allen: Der Club hat keine 1210er. Keine 1210er? Da hätte man ja gleich die fetten, sich langsam in Fahrt jaulenden Holzkästen der heimischen Stereoanlage einpacken können. Schließlich gelten sie in DJ-Kreisen längst als Synonym: Der Plattenspieler und der Technics 1210. Dessen Robustheit, Direktantrieb und im Bruchteil von Sekunden auf die gewünschte Umlaufgeschwindigkeit beschleunigter Plattenteller haben Millionen von DJ-Träumen beflügelt und einige der kreativsten Musikschöpfungen von HipHop bis Techno ermöglicht Womöglich ist er gar das folgenreichste Musikinstrument der Neuzeit. Und das nicht nur, weil Eric B & Rakim ihm ein eigenes Stück gewidmet haben: „Don’t Sweat The Technics“ .
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
“The classic 1200 embodies the past, present and the future of the DJ”, lässt Rakim uns 1992 mit lässigem Näseln wissen. Und hat dabei die Rechnung offensichtlich ohne den japanischen Elektronikkonzern Panasonic gemacht. Der schockte nun die Clubszene: Man werde, verkündete eine Pressemitteilung, die Produktion der 1200er und 1210er Serien des Technics im Jahre 2010 einstellen. Zu wenig weltweite Nachfrage. Zu teure Produktion. Gehörten 1210er bisher so zwingend zur Diskothekenausrüstung, wie Weißpressungen in Techno-Plattenkoffer und Singlepucks in das Gepäck von Northern Soul DJs, kann man sich nur schwer eine Zukunft ohne den silbernen Freund mit der breiten Start-Stop-Taste, dem rötlich tanzenden Licht der Pitchcontrol und der eingebauten Nadelbeleuchtung vorstellen.
1979 war das Jahr als der weltweit meist genutzte Profiplattenspieler von japanischen Ingenieuren in Osaka zur Serienreife entwickelt wurde. Firmenbezeichnung: SL-1210MK2. Es war das Jahr als mit „Rapper’s Delight“ von der Sugar Hill Gang der erste HipHop-Track zum Radiohit heranwuchs – und die Kunde von den Mix-Großtaten New Yorker DJs wie Larry Levan oder Frankie Knuckles weltweit eine DJ-Szene befeuerte, die mehr wollte als zwei Platten aneinanderzureihen. Der Plattenspieler war zum Instrument geworden. Cooler als die Rockgitarre. Und kreativer als eine ganze Discoband. Jeder, der ein bisschen Geduld und Übung mitbrachte, konnte nun aus einem Stapel Vinyl seine eigene Tanzmusik designen – mit Hilfe zweier Technics und einem Mischpult.
Keine Frage. Die Musikwelt hat sich seit dem ersten Start-Druck auf einem 1210er gewaltig gedreht: Discoscheiben wurden von Garage-, von House-, von Techno-, von Drum’n Bass-Vinyls abgelöst. Sampler hielten im HipHop Einzug. DAT-Player reproduzierten fertige Mixes. Und doch blieb er das Herzstück aller Clubmusik. Teller und Gehäuse aus schwerem Aluminiumguss. Der Antrieb auch nach minutenlangem Halten der Platte intakt. Nichts außer Bier und Cola konnten den Dauerläufer außer Gefecht setzen. Nicht einmal gröbste Handarbeit: Wer DJs wie Jeff Mills schon mal über die Schulter geschaut hat, weiß was das bedeutet: 120 oder mehr Vinyls in 60 Minuten, ständiges halten und anschubsen, Stop and Go – und dabei keinen Beat verpasst.
Seit 30 Jahren galt der 1210er als unverwüstlicher Standardplayer – an dessen Möglichkeiten und Klangeffekten sich selbst Produzenten orientierten, die längst auf digital umgestellt hatten: Wie darf man sich also eine Zukunft ohne die sprichwörtlichen „Wheels Of Steel“ (Grandmaster Flash) vorstellen? Natürlich geistern längst Konkurrenzprodukte von Numark, Stanton, Vestax, Reloop auf dem Markt. Aber hätte ein Rapper jemals eine Zeile an diese blassen Konkurrenten verschwendet? Sollte das Begräbnis des 1210er endgültig sein, und nicht nur eine zur Weihnachtszeit zwecks Umsatzförderung lancierte Ente (wie manche Blogger vermuten) dann bleibt den DJs der Zukunft nicht viel übrig als: Den guten alten Freund auf Raritätenbörsen ersteigern. Sich einen chinesischen Klon zum halben Preis zulegen. Oder: Auf Sex und Glorie eines Plattenspielers ganz verzichten, digital auflegen, und die Beleidigung zu einer permanenten machen.
Text: jonathan-fischer - Illustration: katharina-bitzl