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Das Ding der Woche: Die Mentholzigarette
Helmut Altkanzler Schmidt ist die größte Dampflok nördlich des Mains. Angeblich raucht er alle sieben Minuten eine Zigarette, dazwischen schnupft er Tabak. Das ist ein hartes Leben, aber es ist sein Leben. Vielleicht hat ihn Sandra Maischberger in ihrem Fernsehseniorenclub schon mal gefragt, warum er denn gar so arg raucht und schnupft? Die Antwort kann man sich vorstellen: Schmidt, seines Zeichens die coolste Sau der BRD, pflegt auf banale Fragen mitunter gar nicht oder nur sehr bedingt zu antworten. Vielleicht würde er mit seinen Augen auf den silbernen Aschenbecher auf dem Beistelltischchen neben seinem Sessel schielen und sagen: „Das erinnere ich nicht.“
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Schmidt war am Montag seit Ewigkeiten mal wieder in Berlin im SPD-Parteivorstand. Er sollte über Afghanistan reden und, soweit ihm das möglich ist, Zuversicht verbreiten. Auf Schmidts Sitzplatz in der SPD-Vorstandssitzung lag eine Schachtel Reyno Menthol, daneben Schnupftabak. Herrengedeck für Altkanzler also. Ein Bild dieses Arrangements war am Dienstag in vielen Zeitungen zu sehen und einen Moment lang musste man denken: Warum wird das Setting an Schmidtens Sitzplatz so ausführlich hergezeigt? Vielleicht, weil auf den Sitzungstischen dieser Welt unter Normbedingungen nur silberne Kaffeekannen und 0,2-Liter-Fruchtsaftflaschen stehen. Tabak hingegen ist in einer solchen Gruppierung ein Anzeichen für ein Abweichen von der Norm. Tabak taugt tatsächlich auch im Alter noch zur Distinktion.
Wenn man sich im Alter von 12 Jahren zum ersten Mal heimlich eine Kippe anzündet, tut man das, um sich von einem Stück seiner Kindheit zu verabschieden. Es geht um die Distanzierung zu sich selbst, vielleicht um die erste Häutung auf dem Weg zum Erwachsenen. Im Rahmen dieser Häutung steht man dann auch mal in Chucks im Winterschneematsch an der Bushaltestelle und drückt sich den Qualm in die Lungen. Der Kopf denkt in dieser Zeit: „Schmeckt zwar beschissen, muss aber. Zwecks Erwachsenwerden.“
Die meisten, die nach dem Erwachsensein weiterrauchen, kommen nicht über Marlboro Light oder Gauloises Rot hinaus. Das Rauchen wird sowieso in vielen Erwachsenenleben nur so halb ernst betrieben und verliert dann den differenzierenden Charakter. Nur ein paar Menschen verknallen sich schon mit 12 Jahren für ihr ganzes Leben in den Coolness-Effekt, den Quarzen vermeintlich mit sich bringt. Sie gehen der Sucht sogar noch einen Schritt entgegen. Sie drehen selbst, kaufen American Spirit Schwarz oder Mentholzigaretten. Menthol spreizt die Bronchien und macht den Lungenzug leichter. Und wer Mentholfluppen raucht, hat noch einen Vorteil: Er entfernt sich in seiner Außenwirkung vom Bild des fiesen Süchtlings, weil Menthol in vielen Köpfen mit „atemfrei“ und „gesund“ verknüpft wird. Noch heute ist eine Schachtel Mentholzigaretten auf dem Kneipentisch gern genommener Anlass für eine generelle Diskussion über Genuß beim Rauchen und ob der durch Zusatzstoffe größer wird. Irgendwann in dieser Diskussion wird es dann still und einer erzählt, dass Ermittlungsbeamte ja Mentholpaste unter ihre Nasen reiben, wenn sie Verwesungsgeruch übertünchen wollen. Das klingt dann krass. Trotzdem verstehen in diesem Moment wieder alle, dass Rauchen ja Distinktion vom eigenen Leben bedeutet. Selbst wenn’s dabei nach Menthol riecht.
Text: peter-wagner - Illustration: Katharina Bitzl