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Einkauf ohne Einkauf

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Seit wir Individualisten sind, ist ja das Einkaufen wieder sehr wichtig. Der Individualist möchte nicht nur sein eigenes kompliziertes Lebensglück finden. Bis es so weit ist, will er sich auch mit Dingen umgeben, die seinen individuellen Geschmack spiegeln – in der Wohnung, im Kochtopf, am eigenen Leib. Deswegen erlebt auch das alte Kaufhaus gerade seinen Niedergang, denn der solide Durchschnitts­geschmack, der den dortigen Eigenmarken und Kleidungsabteilungen entfleucht, riecht für uns heute nur noch nach Plastiktüte und niemals mehr nach Aufwertung des eigenen Konsumkarmas.

Wir finden Dinge und Marken anziehend, die uns das Gefühl geben, sie würden auf mindestens eine unserer vielen Facetten einzahlen: auf Nachhaltigkeit, Authentizität, Kreativität, Exklusivität oder Lässigkeit, um ein paar populäre zu nennen. Gut, dass unser Einkaufsradius sich gleichzeitig mit diesen Warenansprüchen via Web von der lokalen Fußgängerzone auf den Erdkreis ausgeweitet hat. Da ist immer offen, immer irgendwo Schlussverkauf, immer irgendwo die richtige Größe, das richtige Blau, der bessere Preis – und vor allem ist die Chance groß, die individuellen Ansprüche per schlichter Google-Suche zu befriedigen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Das Glück des Shoppings, dieser niemals lange währende Kick des Geldausgebens, funktioniert im Netz genauso und eigentlich noch besser. Schließlich liegt ein Großteil dessen, was wir als Spaß am Einkaufen empfinden, nicht im anschließenden Besitz der Dinge. Das magische Habenwollen ist dann weg, und das Hochgefühl des Habens währt meist nur so lange, wie es dauert, bis man die Verpackungskartons in den Keller geschleift hat. Nein, die eigentliche Freude steckt im Entdecken, in der Schatzsuche. Das Web ist ein einziger Wühltisch, ein Terrain, in dem sich überall das Graben lohnt und in dem wir uns mit unserer Kreditkarte in die abwegigsten und exklusivsten Nischen vorarbeiten können. Schokolade aus einer belgischen Mini-Manufaktur, Hemden, die von Art-School-Studenten mitten in Brooklyn zusammengenäht werden, seit 1912 unverändert hergestellte Kinderseife aus Schweden und original Gaucho-Schlappen aus Argentinien für zehn Dollar – nie hätte man diese Schätze in den Auslagen der eigenen kleinen Stadt gefunden, und wie viel triumphaler ist es, sie irgendwo auf der Welt entdeckt zu haben.

Leider gibt es für diesen Triumph aber kein Publikum, und das ist ein gravierender Nachteil des Onlineshoppings: Man ist meistens allein mit seiner Trouvaille. Man kann keine Tüten schlenkern, nicht in deutlich gehobener Stimmung Rolltreppe fahren. Bisschen schade.
Es wäre das Web aber nicht das Web, wenn es nicht Ausdrucksmöglichkeiten für jede menschliche Regung seiner Anhänger bieten würde. So findet sich seit einiger Zeit die Shoppinggemeinde vermehrt auf Plattformen ein, die genau das zelebrieren, was ihr am meisten Spaß macht: den nächsten Einkauf. Die Dinge, die man unbedingt noch haben will. Wunschzettel.

Auf Seiten wie polyvore.com oder svpply.com etwa bewegt man sich wie auf Social-Media-Plattformen, nur dass die Profile der anderen nicht aus persönlichen Informationen und Urlaubsfotos bestehen, sondern aus den Produktwollüsten dieser Menschen. Dem Zeug, das sie sich sofort kaufen würden. Klingt nach kapitalistischer Endzeitvision, aber das ist es nicht. Es ist eigentlich nur eine Interessengemeinschaft, die sich austauscht, wie sie für jedes Hobby im Netz tausendfach existiert. Nur dass Einkaufen bis heute noch viel zu selten als Hobby akzeptiert wird.

Hunderte sorgfältig ausgewählter Produkte werden so bei svpply.com zu einer ziemlich detaillierten Geschmackstopografie eines Menschen, und niemals ist es leichter gefallen zu entscheiden, ob man diese Person sympathisch findet oder nicht: Ein Blick auf ihren Wunschzettel, auf die ersehnten Bademäntel, Sommerschuhe, Pop-Art-Gemälde, Designerlampen, Radios und Küchenmesser ist mindestens genauso aufschlussreich, wie es der Blick in ihr CD-Regal wäre. Den Usern gibt svpply.com auf ihre wilden Safaris einen kleinen Button mit, eingebaut im Browserfenster und deswegen immer dabei. „Buy Later" steht darauf, und wann immer der Konsumaktivist im Netz auf Begehrenswertes stößt, genügt ein Klick, und das Produkt wandert in sein Portfolio auf svpply.com – mitsamt Link auf den Shop natürlich, damit die anderen Kreditkarteninhaber auch hinfinden.

Freilich, Großversorger wie Amazon haben persönliche Wunschlisten längst in ihre omnipräsente Kaufanimation integriert, aber das ist etwa so, wie in einem umzäunten Park auf die Jagd zu gehen. Der Reiz der freien Produktsammlung, in die ja auch alte Designikonen, unverkäufliche Kunst oder Pflanzen aufgenommen werden können, besteht darin, ein möglichst vielseitiges Potpourri zu versammeln, das dann zusammen etwas Interessantes schafft: Es bildet unseren eigenen Stil ab. Es zeigt, wie unsere Hülle aussehen würde, wenn wir alles einfach mitnehmen könnten, vom Mülleimer bis zum Privatjet. Ein nettes Spiel für Erwachsene und die Marktforschung und vor allem: günstig.

Denn stand man zuvor tatsächlich noch mit einem Bein in der Kaufsuchtberatung, ist das überall keimende Buy-Later-Prinzip eine Art Methadonprogramm. Der Klick auf den Buy-Later-Button unterscheidet sich kaum vom Klick auf einen Buy-Button. Wie oben erzählt, geht es uns, die wir das Nötigste ja längst haben, vor allem um das Aufstöbern und Feinschleifen, um die ewige Suche nach den noch perfekteren, noch schöneren Dingen. Die Gewissheit genügt aber, dass man diesen herrlichen Krempel irgendwo kaufen könnte, die Orte kennt und dokumentiert hat. Es beruhigt, dass die beste Weekender-Tasche und die schönste Holzzahnbürste existieren, uns bekannt und käuflich sind. Auf den Wunschzettel-Plattformen manifestiert sich also eher kein kapitalistischer Gruppendruck, sondern eine wunder­same Befreiung vom Kaufzwang.

Was sollen die Produkte in unserer Wohnung, wo man sie online doch in seinem eigenen Schaufenster genau den Menschen zeigen kann, die sich dafür interessieren und die Codes lesen können. Der Status- und Distinktionsgewinn, der von einer finnischen Tischlampe ausgeht, die man als Erster entdeckt und den anderen präsentiert und wofür man Komplimente eingefahren hat, lässt sich durchaus auch digital genießen – ohne dass man einen Cent dafür ausgegeben hat. Es ist wie eine ästhetische Idee von Konsum, befreit von den Kartonagen und Zollgebühren. Eigentlich ideal. Wenn das so weitergeht, sitzen wir bald wieder in Kaufhausklamotten vor dem Rechner. 

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