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Warum Politiker sich von Facebook abmelden
„Social Media ist ein Risiko für die Öffentlichkeit, es steigert die Isolation, Depressionen, Angstzustände, verursacht Sucht und Realitätsflucht.“ Das alles hat Alexandria Ocasio-Cortez, Abgeordnete von New York im US-Repräsentantenhaus, in einem Interview Mitte April gesagt. Seitdem wurde auf ihrem offiziellen Facebook-Auftritt nichts mehr gepostet, ihren privaten Account hat die 29-Jährige sogar gelöscht.
Dass immer mehr Leute Facebook verlassen, ist nichts Neues. Im Sommer 2018 waren die Nutzerzahlen in Europa erstmals rückläufig, auch die Nutzungsdauer sinkt. Jetzt wurde bekannt, dass der Konzern für eventuelle Strafzahlungen wegen Verstößen gegen das Datenschutzrecht, fünf Milliarden Dollar zurückgelegt hat. Datenskandale wie mit Cambridge Analytica, die Verbreitung von Hass und Hetze und die Überkapitalisierung des Netzwerkes durch immer mehr Werbung machen Facebook zu schaffen. Und jetzt melden sich auch immer mehr Politiker von der Plattform ab, die früher mal ein Schlüsselwerkzeug im Wahlkampf war.
Erst im Februar 2019 wurde der offizielle Facebook-Account von Angela Merkel gelöscht. Die Bundeskanzlerin erklärte den Abschied damit, dass sie nicht mehr Parteivorsitzende der CDU sei und Facebook als Sprachrohr deshalb verlassen würde. Der größte deutsche Politik-Account mit 2,5 Millionen Follower war damit Geschichte. Robert Habeck, Bundesvorsitzender der Grünen, löschte Anfang Januar dieses Jahres seine Accounts bei Facebook und Twitter. Zuvor waren private Chats seiner Familie geleakt worden. Über Twitter sagte Habeck später, es habe ihn zu einem Menschen gemacht, der er nicht mehr sein wollte.
Aber kann Social Media wirklich Menschen verändern? Tobias Dienlin sagt: Wahrscheinlich nicht. Der 32-Jährige forscht am Lehrstuhl für Medienpsychologie an der Universität Hohenheim zu Social Media. „Der Medieneinfluss wird überschätzt. Andere Dinge wie Gene, Einkommen oder Familie sind wichtiger. Aber: Je nach Nutzung können natürlich schon kleinere Effekte auftreten, positiv wie negativ. Extreme und übermäßige Nutzung steht beispielsweise in Zusammenhang mit geringerer Lebenszufriedenheit.“ Alexandria Ocasio-Cortez nutzte, bevor sie ihren Verzicht ankündigte, extrem viel Social Media. Jeden Tag mehrere Tweets, Instagram Stories und Facebook-Posts. Natürlich kann man sowas nie genau wissen, aber die Politikerin versicherte immer, dass sie ihre privaten Accounts komplett selber bespiele. Dadurch machte sie sich vor allem bei jungen Leuten nahbar und beliebt.
Angela Merkel muss bei keiner Wahl mehr antreten. Ocasio-Cortez dagegen verzichtet auf ein großes Sprachrohr in zukünftigen Wahlkampf
Warum aber verlässt jemand, der auf Wählerstimmen angewiesen ist, die größte Social Media Plattform der Welt? Ocasio Cortez begründete ihren Ausstieg mit der Unmenge an Hasskommentaren, die sie auf ihrer privaten Facebook-Seite bekam. Tobias Dienlin sagt, dass diese Kommentare mit der Zielgruppe zu tun haben kann „Auf Twitter ist der Intellekt der User durchschnittlich etwas höher“, sagt er. „Auf Facebook sind gerade in Deutschland im Schnitt bildungsfernere Gruppen etwas aktiver.“ Und auch die Art der Posts auf Facebook biete Internet-Trollen und Hatern eine größere Plattform. Weil dort mehr Text gepostet werden kann als auf Twitter oder Instagram, werden Facebook-Posts viel mehr kommentiert. Dadurch kommen auch als Reaktion mehr Hasskommentare. Bei Ocasio-Cortez gibt es davon auf Facebook und Twitter immer noch jede Menge. Genau wie bei Bundeskanzlerin Angela Merkel, die auf Instagram weiter Hate-Speech abbekommt.
Was die Fälle Ocasio-Cortez und Merkel im Vergleich so interessant macht, sind die verschiedenen Karrierestadien, in denen sich die beiden Politikerinnen befinden. Angela Merkel muss bei keiner Wahl mehr antreten. Ocasio-Cortez dagegen hat gerade erst ihre erste Amtszeit als Abgeordnete begonnen und verzichtet, zumindest Stand heute, auf ein großes Sprachrohr in zukünftigen Wahlkampf. Bei ihrer Reichweite auf Twitter und Instagram, zusätzlich zu ihrem internationalen Bekanntheitsgrad, könnte sie sich das aber leisten, sagt Tobias Dienlin. „Wenn man eine national agierende Politikerin ist, dann ist die individuelle Kommunikation womöglich nicht mehr so relevant.“ Für jemanden, der sich eine lokale Wählerschaft aufbauen will, sei der individuelle Kontakt zu den Followern umso wichtiger. Was im Wahlkampf um einen Platz im Repräsentantenhaus also für Ocasio-Cortez unverzichtbar war, ist heute nicht mehr zwingend nötig für ihren politischen Erfolg. Auch Robert Habeck hat mittlerweile einen so hohen Bekanntheitsgrad, dass er auf die komplette Social-Media-Armada verzichten kann. Der Grünen-Chef kommuniziert statt über Facebook und Twitter mittlerweile über seinem Instagram-Account und seinem eigenen Blog.
Dass Politiker sich von Facebook zurückziehen, wie Angela Merkel aber Instagram weiter bespielen, ergibt für Tobias Dienlin trotzdem Sinn. Vor allem, wenn es darum geht, Hate-Speech zu verringern. „Bei Instagram geht es viel mehr um die Bildkommunikation, als um die Sprachkommunikation. Das bietet viel weniger Konfliktpotential.“ Das heißt, wenn Robert Habeck ein schönes Bild von sich beim Bügeln postet, bekommt er eher weniger Hasskommentare, als wenn er auf Facebook in einem geposteten Text die klimapolitischen Ziele der Grünen im Europawahlkampf erklärt.
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Dass sich Politiker durch eine Abwesenheit auf Social Media auch teilweise dem Diskurs mit der Bevölkerung entziehen, findet Tobias Dienlin problematisch. „Demokratietheoretisch geht da natürlich etwas verloren,“ sagt er. „Das ist schade, weil durch Social Media können wir viel einfacher mit Politikern und deren Team kommunizieren.“ Dass Robert Habeck direkt Facebook und Twitter gelöscht hat, sei für seinen Geschmack zu hart. „Ich finde es zu einfach zu sagen, Social Media ist generell schlecht. Vielen Politikern, darunter Ocasio-Cortez, haben ihre Accounts ja erst zu ihrer Popularität verholfen.“ Allerdings dürfe man nicht vergessen, dass hinter jedem Account auch ein Mensch sitzt, sei es der Politiker selbst oder ein Mitarbeiter. „Wir dürfen bei allem Kommunikationsbedarf nicht vergessen, dass Menschen Entscheidungsgewalt darüber haben, mit wem sie sprechen wollen und mit wem nicht. Das müssen wir respektieren.“