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Schlecky Silberstein über sein Buch „Das Internet muss weg“
Schlecky Silberstein alias Christian Maria Brandes ist eine der einflussreichsten Figuren im deutschen Netz. Sein Blog „Schlecky Silberstein“ erreicht monatlich hunderttausende Leser. Mit dem „Bohemian Browser Ballet“ macht er Comedy für funk. Und jetzt hat er ein Buch geschrieben: „Das Internet muss weg“ Warum?
jetzt: Schlecky, du als Internet-Typ findest jetzt das Internet doof – ist das dein Ernst?
Schlecky Silberstein: Leute, die mich sonst lesen, fragen mich auch: Wo ist jetzt der Gag? Aber ja, ich meine das ernst.
Warum bist du noch im Internet, wenn das Internet so kaputt ist?
Fürs Geld. Ich müsste das auch nicht tun. Ich würde schon was anderes finden. Aber ich lebe seit zehn Jahren gut davon. Und inzwischen kenne ich mich ein bisschen aus. Manche Menschen kennen das vielleicht von ihrer Ehe: Wenn man nah dran ist, weiß man irgendwann jeden Scheiß voneinander.
Warum lässt du dich nicht vom Internet scheiden?
Die echte Scheidung geht ja gar nicht. Den totalen digitalen Detox gibt's nur, wenn man in die Wälder zieht. Wer kann schon ganz ohne Internet arbeiten? Und dass das Internet abgestellt wird, wie ich im Titel fordere, ist natürlich auch Quatsch. Die Zivilisation würde zusammenbrechen.
Bist du denn damit nicht genau, wie wir alle, Teil des Problems? Weil du zwar weißt, was schiefläuft, aber trotzdem dabei bleibst?
Schon. Ich finde es dabei nur wichtig, sich wirklich dessen bewusst zu sein und sich zu bilden, was genau im Netz passiert. Wie das ökonomisch funktioniert. Was genau das mit uns macht. Ich glaube fest daran, dass eine Mündigkeit möglichst vieler Menschen der erste Schritt zur Besserung ist.
Du weißt ja auch alles, schreibst ein Buch drüber – und veränderst eigentlich nichts.
Doch. Was meine eigene geistige Gesundheit angeht, habe ich schon viel verändert. Wenn die Depressionsraten explodieren, macht mir das Angst. Und deshalb nehme ich, nur ein Beispiel, eine kritische Distanz zu Hate Speech ein. Oder zu Trollen. Oder zu der suchtartigen Nervosität, die mich befällt, wenn mein Handy nicht in Reichweite ist. Das alles hilft mir ganz konkret, gesund zu bleiben.
Es gibt also für dich ein richtiges Leben im falschen?
Ganz genau. Wir müssen alle irgendwie arbeiten, leben, kommunizieren. Das meint niemand böse. Und ich glaube auch nicht, dass Facebook und Google per se böse sind. Die wollen Profit machen. Nicht die Welt versklaven.
Ist das Internet nicht eine sehr vorhersehbare Neuauflage des ewigen Arm vs. Reich? Die einen haben die Technologie, die Netzwerke, die Daten – und die anderen werden ausgenutzt?
Es gibt die sogenannten „Sirenenserver“, die mächtigsten Server, die einen Großteil der Daten halten. Und wer diese Server hat, hat das meiste Kapital. Irgendwann kommt der Punkt, an dem alle anderen keine Chance mehr haben. Monopolisierung nennen das die Ökonomen, siehe Amazon. Es gibt immer weniger Konkurrenz für die großen Player.
„Vom arabischen Frühling sind übriggeblieben: drei Bürgerkriege und eine Flüchtlingskrise“
Was gibt dir Hoffnung?
Es muss immer erstmal knallen, damit ein Umdenken einsetzt, damit Fragen gestellt werden. Und das passiert momentan. Nach der Trump-Wahl hat man zum ersten Mal wirklich gefragt: Inwieweit ist Social Media Schuld an einem enormen Rechtsruck?
Aber ist denn eine Software schuld daran, wenn Leute rechts wählen?
Die momentane Renaissance dieser rückständigen Politik ist ja unbestritten. Und zwar genau jetzt, wo lange medial nicht repräsentierte Menschen sich vernetzen können. Deren Wut geht viral, wo sie früher von einer eher liberalen Medienelite abgewürgt wurde. Und wer wütend ist, ist wiederum am empfänglichsten für Fake News. Das ist eine Verkettung, die mir einleuchtet.
Aber das Netz hat doch, gerade politisch und gesellschaftlich, viel Gutes gebracht.
Vom arabischen Frühling sind übriggeblieben: drei Bürgerkriege und eine Flüchtlingskrise.
Sag das mal einer Frau aus Tunesien, die zu der Zeit das erste Mal das Gefühl hatte, wirklich an der Politik teilhaben zu können.
Für die kann man sich nur freuen. So wie für alle anderen, denen das Netz eine Stimme gegeben hat. Trotzdem sind auch sie gefährdet von den schlechten Entwicklungen. Und die Rolle der sozialen Medien bei Revolutionen wurde sowieso stark überschätzt. Wir privilegierten weißen Herren haben uns zum Beispiel im arabischen Frühling ein wenig zu sehr darüber gefreut, dass die von uns mitermöglichte „Twitter-Revolution“ alles zum Guten wendet.
Du schreibst, der Facebook-Daumen stoße „reihenweise Menschen in tiefste Krisen“? Wie kann mich denn ein Haufen Pixel so deprimieren?
Der Daumen ist ja dazu da, dich zur Interaktion zu bringen. Weil Facebook dadurch Daten gewinnt. Also zapfen sie unser Belohnungssystem an. Machen uns abhängig vom Dopamin-Fix des Likes. Wir sind viel süchtiger, als wir glauben, weil alle Social-Media-Kanäle wie Spielautomaten funktionieren. Diese Abhängigkeit erzeugt Stress.
Aber wir verbinden uns online vor allem mit Freunden. Was soll daran stressig sein?
Die ständige Inszenierung. Der Eindruck, dass alle ein geileres Leben haben. Alle sind immer gut drauf, haben Erfolg, machen tolle Sachen. Da kriegst du irgendwann das Gefühl, du seist schlechter als der Rest.
Aber ist das nicht alles viel zu einfach gedacht? Dass immer das böse Internet schuld ist?
Die erste Generation hat jetzt ihre Pubertät mit Social Media verbracht. Deren Depressions- und Selbstmordraten sind gestiegen. Da liegt ein Verdacht nahe. Die Forschung dazu findet aber gerade erst statt. Ich lass mich gerne widerlegen. Ich glaube aber nicht dran.
Was muss passieren?
Wir müssen als Gesellschaft sagen: Das geht zu weit. Es gibt eine Welle an Aussteigern aus dem Silicon Valley, die bereuen, was sie getan haben. Die aufklären wollen. Wenn Milliarden gemacht werden mit Angeboten, die schlichtweg süchtig machen, ist es Zeit, einzuschreiten.
Was kann die Politik da machen? Außer endlich Flugtaxis zu erlauben?
Vielleicht mal ernsthaft überlegen, was von Googles Quellcode und Facebook Algorithmen wirklich Betriebsgeheimnis bleiben muss. Oder ob der Staat da nicht, ganz wie bei Spielautomaten, kontrollieren können muss, wie genau das uns triggert. Und gewisse Mechanismen einfach verbietet. Egal ob auf EU-Ebene oder sonstirgendwie. Für Autos gibt es ja auch tausende Regeln, wie man Insassen und andere schützen kann.
Neun von zehn Politikern werden dir sagen: wir können amerikanischen Konzernen gar nichts.
Mag sein. Mir würde schon eine echte Debatte darüber reichen.
Wie viel Hoffnung darauf hast du angesichts des aktuellen politischen Personals?
Natürlich wenig. Die kümmern sich um alles außer um digitale Themen. Dafür wird man nicht gewählt, alleine schon weil die Mehrheiten sehr alt sind. Ich hoffe auf die nächste Generation, die sich mit diesen Problemen identifizieren kann.
„Was ich bisher beruflich gemacht habe, war total unwichtig“
Wie fändest du ein Schulfach Medienkompetenz?
Super. Egal wie. So viel wie möglich.
Macht dir das eigentlich Spaß, aufs Internet zu hauen? Oder tut dir das eher weh, weil du es mal geliebt hast?
Was ich bisher beruflich gemacht habe, war total unwichtig. Dass ich damit auch noch erfolgreich war, hat mich fast traurig gemacht. Jetzt mache ich endlich mal etwas sinnvolles. Deshalb macht mir das Spaß. Noch ist ja Zeit. Wenn meine Kinder jetzt schon in der Pubertät wären – ich würde durchdrehen. Hoffentlich hat sich bis dahin was geändert.
Zum Abschluss: Was sollte ich tun, um nicht wahnsinnig zu werden?
Erstens: Fokus halten. Nicht reagieren, sondern aktiv entscheiden, wann ich online sein will und wann nicht. Zweitens: Der Gefahr ins Auge sehen. Mit Demut. Denn die besten und mächtigsten Programmierer der Welt arbeiten mit unendlich viel Kohle und einem göttlichen Datensatz daran, dass wir tun, was sie wollen. Drittens sollte man die eigene Filterbubble kennen. Meine Öffentlichkeit und damit Wirklichkeit ist nur eine von vielen. Jeder hat seine eigene. Man sollte immer auch gegenüber sich selbst skeptisch sein.
Du klingst wie ein konservativer Internetkritiker im Jahr 2007.
Gerne. Letztlich darf man sich auch nicht so wichtig nehmen. Fortschritt kostet Opfer. Und lässt sich nicht zurückdrehen. Wir müssen uns einen Helm aufsetzen und versuchen, so schnell wie möglich durch diese Übergangsphase durchzukommen, ohne zu große Schäden. Aber da müssen wir durch.