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Mein Netzmoment 2017: Marinetraffic, die Website zum Schiffe stalken
Mein Netzmoment 2017 ist eigentlich weder meiner noch ein Moment. Aber das ist ja gerade das schöne am Internet, es gibt eigentlich keine singulären Momente für einzelne Menschen, jedes Ereignis ist noch Jahre später abrufbar und wird mit Millionen Menschen geteilt. Den Weg zu mir hat mein Moment über eine Kollegin gefunden, die ihn wiederum von der britischen Autorin Amy Liptrot empfohlen bekommen hat.
Eigen ist uns dreien offenbar eine Faszination für Meere und – diese Leidenschaft war mir selbst vorher noch nicht bewusst – für Schiffe. Auf marinetraffic.com lässt sich per interaktiver Karte der internationale Schiffsverkehr verfolgen. Das klingt zunächst mal mehr nach einem Hobby für Rentner mit Modellbaukasten und zu viel Freizeit als nach sinnlicher Fernweh-Poesie. Ist es aber trotzdem! Und es macht verdammt nochmal sofort süchtig!
Nachdem mir die Kollegin den Link geschickt hatte, war mein Arbeitstag vorbei. Gut, ich saß zwar weiterhin auf meinem Schreibtischstuhl, auf dem Bildschirm und in meinem Kopf überflog ich aber gerade das Meer um Afrika, stalkte die Routen dicker Containerriesen vor Cartagena, Fischkutter in der Ostsee und Kreuzfahrtschiffe auf dem Weg nach Marrakesch.
Als registriertes Mitglied der Seite kann man sich eine eigene „Flotte“ zusammenstellen (in meinem Fall schon passiert, eh klar), um über den Verbleib seiner Lieblingsschiffe auf dem Laufenden gehalten zu werden. Hat Vega Zeta, das liberische Containerschiff, nun wieder abgelegt? Schippert es von Cartagena aus Richtung Süden weiter? Ah, nee, es steuert die USA an. Und wo liegt die Queen Elisabeth gerade vor Anker? Da diese Schiffe größtenteils unglaublich langsam sind, ist Marinetraffic auch ein bisschen wie eine gute, gemächliche Serie, in die man auch Wochen später reinschauen kann, ohne etwas allzu Wichtiges verpasst zu haben.
Abseits der Lieblingsschiffe lassen sich mit ein bisschen Schiffsnamen-Recherche auch politische Ereignisse verfolgen: Die Schiffe der privaten Flüchtlings-Rettungsorganisationen, wie zum Beispiel die Sea Watch, konnte ich im vergangenen Jahr im Meer vor Libyen kreuzen sehen und bekam damit einen neuen Eindruck der Distanzen und Schlepperrouten im Mittelmeer. Auch die die C-Star, das unter mongolischer Flagge fahrende Schiff der rechtsextremen Identitären, kann man beobachten. Angetreten, um unter dem Motto „Defend Europe“ die privaten Rettungsorganisationen von ihrer Arbeit abzuhalten und Flüchtlingsboote zurück nach Afrika zu bringen, mussten sie ihren Plan bereits nach einer Woche mit technischen Problemen aufgeben.
Nun kann man die C-Star im Hafen von Barcelona liegen sehen. An Bord war zuletzt keine Identitären mehr, nur noch einige Crewmitglieder aus Sri Lanka, mittellos und gesundheitlich angeschlagen. Sollte sie je wieder ablegen, ich werde es als einer der ersten wissen.