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Reihe zu Shitstorms: Lijana Kaggwa
Mal ist es eine bewusste Provokation, ein missglücktes politisches Statement, ein Fehlverhalten. Manchmal reichen aber auch ein paar unbedachte Sätze. Shitstorms treffen oft Menschen, die es eigentlich gewohnt sind, in der Öffentlichkeit zu stehen und mit Gegenwind umzugehen, aber nicht nur. Wie ist es, wenn man plötzlich so viel Hass auf sich zieht? Und wie geht es weiter, wenn der Shitstorm vorbei ist? Das fragen wir in dieser Reihe eine ehemalige „Germany’s Next Topmodel“-Kandidatin, einen Metzger mit einer umstrittenen Werbestrategie und eine Nachhaltigkeits-Influencerin. In dieser Folge erzählt das Model Lijana Kaggwa von ihren Erfahrungen.
Lijana Kaggwa, 25, hat an der 15. Staffel von „Germany’s Next Topmodel“ (GNTM) teilgenommen, die von Januar 2020 an auf ProSieben lief. Mit ihrer ehrgeizigen Art eckte sie immer wieder an und wurde von vielen Zuschauer*innen als überheblich oder „fake“ wahrgenommen. Die Hasskommentare häuften sich. Schließlich erhielten sie und ihre Familie auch Drohungen, sie wurde auf der Straße beleidigt und bespuckt. Unbekannte sollen versucht habe, ihren Hund mit Giftködern zu vergiften, sie bekam Personenschutz von der Polizei. Im Staffelfinale gab Lijana ihren Ausstieg bekannt, um nicht „das Futter für noch mehr Hass“ zu sein. Inzwischen setzt sie sich mit ihrer Kampagne „Love Wins“ gegen Cybermobbing ein. Sie erzählt:
„Vor GNTM habe ich Grundschullehramt studiert und ein glückliches Leben in der Anonymität geführt. Auf das, was da auf mich zukam, war ich nicht vorbereitet. Hätte meine Familie mir nicht so starken Rückhalt gegeben, wäre das für mich ganz anders ausgegangen. Ich wäre auch sicher nicht in der Öffentlichkeit und den sozialen Medien geblieben. Ich war ‚schon‘ 24, andere bei GNTM sind erst 17 – das verkraftet man in dem Alter nicht. So einen Shitstorm nimmt man zwangsläufig persönlich, da reden Leute über dich und deinen Charakter. Ich habe mich wertlos gefühlt, als wäre ich nur Ballast für alle Menschen auf diesem Planeten. Das ist ein unfassbar heftiger psychischer Druck.
„So einen Shitstorm nimmt man zwangsläufig persönlich“
Dabei lief es bei GNTM zunächst gut für mich. Als ich schon wusste, dass ich im Finale bin, sind wir noch für einen Dreh nach Jamaika geflogen. Wir hatten gerade erst unsere Handys zurückbekommen, die wir bis dahin abgeben mussten. Als wir in Jamaika ankamen, war es in Deutschland Donnerstagabend, die vierte Folge der Staffel lief gerade – und ich sah plötzlich nur noch schlechte Kommentare in meinem Instagram-Profil.
Die Kommentare bezogen sich vor allem auf mein Verhalten gegenüber der Kandidatin Maribel, die ihre Familie vor ein paar Jahren bei einem Unfall verloren hat. Wie ich jemanden kritisieren könne, der so einen schlimmen Schicksalsschlag erlebt hat? Im Promi-Magazin ‚Red‘, das nach GNTM läuft, wurde das noch extremer dargestellt: Für den Beitrag haben sie mir Boxhandschuhe angezogen, ich sollte zeigen, dass ich eine Kämpferin bin. Und in der nächsten Sequenz hat Maribel ihre Geschichte erzählt und man hat das Grab ihrer Familie gesehen. Das war so pietätlos. Natürlich hat der Zuschauer den Eindruck gewonnen, mir wäre ihr Schicksal egal.
„Auch einen selbstbewussten Menschen macht das fertig“
Erst dachte ich noch, das würde sich wieder legen, wenn die Leute mich erst besser kennenlernen. Aber von da an hat sich meine Darstellung in der Show komplett geändert. Ich war nicht mehr die Ehrgeizige, Lebensfrohe, sondern die, die immer eine Spur zu viel war, zu laut gelacht, zu doll geweint hat. In den Zitaten, die von mir ausgewählt wurden, habe ich mich immer nur negativ über andere geäußert. Jeden Donnerstag habe ich den heftigsten Shitstorm abbekommen. Teilweise hatten Bilder auf Instagram von mir 2000 Likes und ein Hasskommentar darunter 10 000. Mir haben viele gesagt, dass es auf Twitter noch viel heftiger zuging. Den Shitstorm dort habe ich aber nie mitbekommen, weil ich mir bewusst keinen Account gemacht habe.
Als es immer schlimmer wurde, bekam ich Panik. Ich habe mich immer schon Mittwochabend, am Tag vor der Sendung, komplett abgeschottet, selbst meine Familie hat dann nichts mehr von mir gehört. Ich hatte Sorge, vor die Tür zu gehen, und habe mich bis Freitag nur noch ins Bett gelegt. Eigentlich bin ich so ein lebenslustiger, positiver Mensch – doch jetzt wusste ich nicht, wie ich das überleben soll. Ich weiß, dass ich eine große Klappe haben kann und es nicht jedem gefällt, wie ich bin. Aber auch einen selbstbewussten Menschen macht das fertig.
Nach all dem konnte ich mich überhaupt nicht mehr mit der Sendung identifizieren. Und der Shitstorm hat leider nicht mit der Show geendet: Danach kam die Boulevardpresse und viele Youtube-Videos wurden veröffentlicht, in denen alles nochmal zugespitzt wurde. Auf den Zug sind dann wieder Hater aufgesprungen, die die Show zum Teil nicht mal verfolgt haben. Alle wollten wissen, wie schlimm diese Lijana wirklich ist – und viele haben deswegen eingeschaltet. Manche Hater wissen vielleicht nicht, was sie tun, aber die Boulevard-Medien wissen es. Und die haben mich den Wölfen zum Fraß vorgeworfen. Das hat mich noch härter getroffen als die Kommentare.
Neben meiner Familie hat mir der Austausch mit Peter Sommerhalter vom Bündnis gegen Cybermobbing e.V. geholfen. Er hat mir gesagt, dass ich mich nicht von jedem Pfeil treffen lassen muss, den man auf mich schießt. Mit meinem Ausstieg im Finale bin ich diesem Rat gefolgt, das hat mir sehr geholfen. Und ich habe dadurch gesehen: Es gibt andere, die das erlebt und es geschafft haben. Peter hat mir gezeigt, dass es immer noch ganz viele Menschen gibt, die mich lieben, wie ich bin. Man muss sich aus dieser Opferrolle befreien und den Mobbern klarmachen, dass man die falsche Zielscheibe ist. Es hilft auch, solche Kommentare gar nicht erst zu lesen. Inzwischen blockiere ich jeden sofort, der einen Hasskommentar postet – als Schutz für mich, aber auch für die Person, die das gepostet hat. Die soll sich auch nicht mit so viel Negativität umgeben.
„Ich musste lernen, vorsichtiger mit meiner Meinung umzugehen – genauso wie die Hater“
Ich habe aber auch gelernt: Einige andere Kandidatinnen hat es wirklich verletzt, wie ich im Fernsehen über sie geredet habe. Der Sender hat es natürlich auch so geschnitten, dass es so extrem gewirkt hat, aber das wollte ich nicht und das tut mir leid. Ich musste lernen, vorsichtiger mit meiner Meinung umzugehen – genauso wie die Hater. Auch wenn ich so was Extremes nie machen würde, kann ich die ein Stück weit verstehen: Manchmal sagt man etwas, ohne zu wissen, wie das den anderen trifft.
Damals nach meinem Ausstieg habe ich viele Nachrichten von Hatern bekommen, die geschrieben haben: Ich war auch einer davon und es tut mir leid. Auch jetzt bekomme ich noch solche Nachrichten. Was mir richtig Gänsehaut macht, ist, dass jetzt bei der neuen Staffel viele kommentieren, dass die Leute sich bei ProSieben beschweren sollen, wenn sie eine Kandidatin nervt – die hätten es schließlich so geschnitten. Viele schreiben: Warum wird in der Show immer nur rumgelästert? Können wir nicht mal was anderes sehen? Ich liebe es, diese Dynamik zu sehen.
Nach all diesen Erfahrungen hat sich viel verändert. Das mit dem Grundschullehramt hat sich für mich erst mal erledigt. Nach allem, was durch GNTM passiert ist, war das für mich keine Option mehr. Auch das Modeln war schwierig für mich, weil ich kein Vertrauen in die Branche mehr hatte. Ich habe mich deshalb entschieden, erst mal kein Model mehr zu sein, sondern mit meiner Kampagne gegen Cyber-Mobbing anderen zu helfen. Dadurch habe ich jetzt ein erfülltes Leben, gerade weil mir das alles passiert ist. Inzwischen konnte ich auch wieder einen neuen Anlauf im Model-Business nehmen. Vor ein paar Monaten habe ich eine Agentur gefunden und eine neue Mappe zusammengestellt. Jetzt hoffe ich, dass es dieses Jahr wirklich richtig losgeht.“