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Ein Twitter-Thread sammelt Komplimente, die keine sind

Illustration: jetzt

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Vor allem als Kind und Jugendliche hat Hatice Ince diesen einen Satz immer wieder gehört: „Du bist anders als die anderen Türken“ – gemeint war das als Kompliment. Dass es keines ist, sondern unterschwellig rassistisch, erkannte die heute 35-Jährige erst später.

Der Satz begleitete sie durch ihr bisheriges Leben, auch wenn sie ihn heute weniger oft hört als früher noch, sagt Hatice am Telefon gegenüber jetzt. Auf Twitter startete die Community-Managerin und Netzaktivistin deshalb nun einen Thread, in dem sie andere User*innen dazu auffordert, die Nicht-Komplimente zu teilen, die sie selbst immer wieder hören. Viele Menschen antworteten. Dabei fällt auf: die Menschen, die ihre Erfahrungen teilen, sind mindestens eines nicht: weiß, hetero, cis, männlich, schlank. Es melden sich schwule Männer, Frauen, People of Color, übergewichtige Menschen, also Menschen, die oft marginalisiert werden.

Hatice ist wichtig, dass über diese vermeintlichen Komplimente gesprochen wird, um mehr Menschen zu sensibilisieren. „Diese mutmaßlichen Komplimente sollen doch eigentlich nur die Vorurteile der Menschen verwischen, die sie zum Beispiel gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund oder Frauen haben“, sagt sie. Sie sei zum Beispiel großer Fußball-Fan – und habe sich schon oft anhören müssen, wie „krass“ und „untypisch“ das für eine Frau sei.

Die Kommentare unter ihrem Tweet lassen sich in fünf Kategorien einteilen:

1. Fatshaming

Viele Menschen berichten, dass sie immer wieder auf ihr Körpergewicht reduziert würden – auch über vermeintliche Komplimente. Hinter dem Satz „Du hast immerhin ein hübsches Gesicht“ stecke vor allem der Gedanke: „Aber leider wiegst du zu viel“. Dass das nicht erbauend, sondern vor allem unverschämt und verletzend ist, machen diese Erfahrungsberichte deutlich:

Auch beliebt: Dicken Menschen vorzuschreiben, welche Kleidung sie anziehen „können“ und welche eben nicht:

2. Diskriminierung queerer Menschen

Viele queere Menschen berichten in dem Thread, Komplimente für ihr vermeintliches „Nicht-queer-Wirken“ bekommen zu haben. Sätze wie „Du siehst ja gar nicht schwul aus“ sind aber kein Kompliment – sondern machen deutlich, dass der*die Sprechende einen Haufen Vorurteile hat.

Zwei trans Menschen berichten, dass ihnen gesagt wurde, man sehe ihnen das trans sein ja gar nicht mehr an:

Viele schwule Männer schreiben, dass sie regelmäßig das „Kompliment“ hörten, nicht schwul auszusehen:

Und auch lesbische Frauen werden nicht verschont:

3. Rassismus

Ausgangspunkt des Threads war die Rassismuserfahrung von Hatice – sehr viele andere Menschen berichten daraufhin von vermeintlichen Komplimenten, die allein auf Stereotypen basieren und rassistisch sind. Zum Beispiel, wenn Asiat*innen fetischisiert werden oder Menschen als „exotisch und deshalb begehrenswert“ bezeichnet werden:

Ein Franzose berichtet von der Unterteilung in vermeintlich „gute“ und „schlechte“ Menschen mit Migrationshintergrund, eine andere Userin über das vermeintliche Kompliment, sie sehe „doch gar nicht ausländisch aus“.

Sehr beliebt ist außerdem das vermeintliche Kompliment „Sie sprechen aber gut Deutsch“. Dieses impliziert, dass die vor einem stehende Person aufgrund ihres Aussehens, ihres Namens oder ihrer Hautfarbe nicht deutsch sein könne. 

4. Sexismus

Auch viele weiße Heterofrauen melden sich in dem Thread zu Wort und berichten von vermeintlichen Komplimenten:

5. Diskriminierung von Menschen mit Behinderung

Auch eine Frau, die im Rollstuhl sitzt, hat sich mit einem „Kompliment“ zu Wort gemeldet.

Und dann gibt es natürlich auch noch Menschen, bei denen alles zusammenkommt:

Hatice hofft, dass durch den Thread einige Menschen sensibler werden. „Es sind in dem Thread schon Debatten entstanden, Menschen haben ehrlich nachgefragt, wieso das jetzt kein Kompliment sei und die Begründung dann auch verstanden“, sagt sie. Das gebe ihr Hoffnung. Sie selbst gehe auch in der Realität oft in die Konfrontation, wenn sie zum Beispiel auf ihren türkischen Namen reduziert werde, erzählt sie. „Ich sage dann zum Beispiel: ,Wie würdest du es denn finden, wenn ich zu dir sagen würde: Krass, du bist Deutscher und gar kein Nazi? Das ist aber toll.‘ Das sieht sicherlich niemand als Kompliment.“ Hatice hofft, dass immer mehr Menschen sich dessen bewusst werden. „Eigentlich beruhen solche Komplimente auf einer Anti-Haltung: Sonst finde ich Menschen wie dich scheiße, aber du bist cool. Das ist einfach nur kränkend und kein Kompliment.“

soas

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