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Interview mit Adam Alter zu seinem Buch über Technologie und Sucht
Männer, die Windeln tragen, um länger zocken zu können, Kinder, die sich vor lauter Spongebob im Alltag zu Tode langweilen und eine Generation, die Beziehungen lieber bei Whatsapp beendet, als im echten Leben – Adam Alter glaubt, dass der steigende Medienkonsum unserer Gesellschaft zunehmend schaden wird. Jeder zweite Mensch in der westlichen Welt leide unter mindestens einer Verhaltenssucht. Was das ist und wie man damit umgehen kann, erklärt der Psychologe im Interview.
jetzt: Liegt dein Smartphone gerade neben dir?
Adam Alter: Ja. In den USA können 78 Prozent der Erwachsenen ihr Handy 24 Stunden am Tag in die Hand nehmen, ohne einen Schritt dafür zu machen. Das heißt, sie haben ihr Smartphone immer ganz nah bei sich, auf dem Nachttisch oder sogar unterm Kopfkissen. Aber wenn man Menschen fragt, ob sie gern weniger Zeit vor Bildschirmen verbringen würden, sagen sie alle ja.
Laut einer Studie in deinem Buch hat ein Goldfisch eine längere Aufmerksamkeitsspanne, als der durchschnittliche Smartphone-User. Warum ist es so schwer, das Handy einfach mal wegzulegen?
Du musst dir vor Augen führen, dass du als kleiner Nutzer hunderten sehr intelligenten Designern gegenüberstehst, die alles dafür tun, deine Aufmerksamkeit zu bekommen. Diese Apps, Spiele und Netzwerke wurden von Menschen entwickelt, deren Job es ist, uns abhängig zu machen. Es ist ein Kampf um Aufmerksamkeit. So wie Casinos, in denen man nicht merkt, wie die Zeit vergeht, wollen sie, dass du am besten den ganzen Tag auf der Plattform verbringst. Dafür setzen sie Anreize, denen wir wahnsinnig schlecht widerstehen können. Diese Entwickler wissen ganz genau, wie die menschliche Psyche funktioniert. Die Daten der User werden gezielt genutzt, um herauszufinden, wie man sie noch länger an den Bildschirm fesseln kann.
Wie sehen diese Anreize aus?
Interaktivität ist eines der Prinzipien, das uns hängen bleiben lässt. Die Einführung des Like-Buttons auf Facebook hat das Suchtverhalten vieler User extrem gesteigert. Wir können einfach nicht genug Likes kriegen. Wenn die 1000-Freunde-Marke geknackt ist, steuern wir schon die 1500 Freunde an. Haben wir hundert Likes für ein Bild bekommen, wollen wir für das nächste mindesten 150. Oder das Design von Netflix: Früher musste man für jede Folge „weiter“ klicken. Heute geht eine Folge in die nächste über, es fehlt ein natürliches Ende genauso wie beim Facebook-Stream. Wenn diese natürlichen Stopp-Punkte fehlen, gibt es nach oben keine Grenzen und wir werden süchtig danach, weiter zu scrollen und immer wieder unsere Bestmarke zu übertreffen.
Bevor du in deinem Buch über Smartphone-Sucht schreibst, geht es um Sigmunds Freuds Kokain-Abhängigkeit. Was ist der Unterschied zwischen Drogen- und Verhaltenssucht?
Bei Sucht ging es früher um Substanzen wie Narkotika und Nikotin. Unser Körper und unser Gehirn reagieren sehr stark und direkt auf diese Stoffe und wenn wir zu viel davon konsumieren, werden wir das sehr direkt merken. Seit Neustem gibt es aber eine neue Form der Sucht, die ich „Verhaltenssucht“ nenne. Das heißt, man kann nicht aufhören, etwas zu tun, obwohl es einem auf Dauer schadet. Früher war Sucht etwas moralisch Verwerfliches. Drogensüchtige verloren ihre Jobs, ihre Familie, ihr soziales Umfeld. Heute ist das anders. Verhaltenssucht ist ein Teil unseres Alltags und zieht sich durch alle Bevölkerungsschichten. Es ist gesellschaftlich viel akzeptierter, weil alle darunter leiden. Im Gegensatz zu stoffbezogenen Süchten zerstören Verhaltenssüchte nicht komplett unser Leben, beeinflussen aber konstant unsere Lebensqualität und kosten uns jeden Tag ein bisschen mehr Lebenszeit.
Ab wann ist man denn verhaltenssüchtig?
Wenn die Sucht das Leben einschränkt. Ein Extrembeispiel aus meinem Buch ist der Student Isaac: Auf dem College war er ein erfolgreicher Football-Spieler, dann blieb er in einer fünfwöchigen „World of Warcraft“-Phase hängen, legte in dieser Zeit 18 Kilo zu und verlor komplett den Anschluss an sein soziales Umfeld. Erst durch eine spezielle Therapie konnte er wieder in den Alltag zurückkehren. Andere Menschen treiben sich finanziell in den Ruin, weil sie nicht aufhören können, online zu shoppen, machen zu viel Sport, weil Apps sie dazu antreiben, oder können nicht aufhören, jeden Schritt auf Instagram zu dokumentieren. Wir verbringen dadurch mehr Zeit mit unseren Geräten als mit unseren Liebsten.
Also wirkt sich die Sucht vor allem körperlich und sozial aus?
Der Medienkonsum hat auch kognitive Folgen: Wir können uns immer schlechter konzentrieren und langweilen uns immer schneller. Das klingt erst mal nicht schlimm, tatsächlich werden wir dadurch aber unkreativer. Kreative Ideen entstehen oft, wenn man nichts zu tun hat und Langeweile einfach mal aushält – stattdessen verbringen wir so viel Zeit im Internet wie keine Generation vor uns.
Wie kommt man aus diesem Hamsterrad wieder raus?
Man kann sich eine eigene „Verhaltensarchitektur“ schaffen. Wir können nichts dagegen tun, dass es Smartphones gibt und dass wir sie benutzen müssen. Aber wir können unseren eigenen Umgang damit beeinflussen. Zum Beispiel kann man eigene Stopps einbauen, wie „kein Handy beim Essen“. Kurzzeitig hat man dann das Gefühl, etwas zu verpassen, auf lange Sicht haben sich aber alle mit denen ich für mein Buch in Kontakt war und die das durchgezogen haben, besser gefühlt. Oder man setzt sich Tageszeiten, an denen man keine Bildschirme benutzt. Besonders 90 Minuten bis eine Stunde vor dem Schlafengehen ist das sinnvoll. Der Bildschirm strahlt blaues Licht aus, da denkt unser Gehirn, dass es wach bleiben muss. Dadurch schläft man unruhiger. Das Gleiche gilt für morgens. Man kann sich nach dem Aufstehen ruhig mal gönnen, die erste halbe Stunde ohne Bildschirm wach zu werden.
Isaac würde so aber auch nicht mehr aus seiner Sucht finden, oder?
Bei sehr starken Verhaltenssüchten hilft es nur, das Umfeld radikal zu verändern, um nicht wieder rückfällig zu werden. Viele ehemalige Spielesüchtige ziehen dahin, wo es kaum Internet gibt.
Was hast du über dein eigenes Suchtverhalten gelernt, während du dieses Buch geschrieben hast?
Die krasseste Erfahrung hatte ich am Anfang, bevor ich mit dem Schreiben anfing. Ich saß mit meiner Frau auf dem Sofa, wir waren beide mit unseren Handys beschäftigt und plötzlich waren drei Stunden vergangen, in denen wir kein Wort gewechselt hatten. Diese Zeit hätten wir auch aktiv zusammen verbringen können. Auf Dauer schadet sowas einer Beziehung. Als uns das aufgefallen ist, waren wir beide ein bisschen geschockt. Ich habe außerdem eine Schwäche für bestimmte Spiele. Von einem Spieleentwickler, den ich während des Schreibens kennenlernte, habe ich den Tipp bekommen, keine Spiele runterzuladen, die mir gefallen könnten. Wenn du Angst hast, heroinabhängig zu werden, solltest du die Droge gar nicht erst benutzen.
Zur Jahrhundertwende wurde vor Eisenbahnen gewarnt, weil man Angst hatte, die Geschwindigkeit könnte der menschlichen Wahrnehmung schaden. Bist du ein Technikpessimist?
Das werde ich oft gefragt. Ich bin nicht gegen Technik im Allgemeinen, wenn ich mit meiner Familie sykpe, die über den ganzen Globus verteilt lebt, dann ist das großartig. Es stimmt, wir haben diese ganzen Entwicklungen durchlebt und leben immer noch. Aber wir stehen heute vor einem ganz neuen Medienzeitalter. Die Geschwindigkeit dieser Entwicklungen ist viel höher und deshalb sind die Folgen viel unvorhersehbarer geworden. Wir kommen nicht mehr hinterher und sind dabei erst am Anfang. Bald werden wir überall „augmented reality“- Formate und Google Glasses haben. Diese Welten werden schöner und anspruchsvoller designt sein als unser wirkliches Umfeld. Und wie sollen wir da noch widerstehen, wenn diese perfekte virtuelle Welt so viel besser ist als die Echte?
Was wäre dein Horror-Szenario?
Meine größte Befürchtung ist, dass die Generation meiner Kinder so viel Zeit vor Bildschirmen verbringt, dass sie echtes soziales Handeln verlernt. Und wie sollen diese Menschen später in Regierungen, Unternehmen oder überhaupt der Welt agieren, wenn sie keine sozialen Kompetenzen erworben haben? Das macht mir Angst. Aber ich merke auch, dass ich mit meiner Angst nicht allein bin.
Du hast zwei kleine Kinder. Wie willst du ihnen die Welt der Bildschirme näherbringen?
Das ist schwer. Kinder kommen schon sehr früh mit Bildschirmen in Kontakt, da kann man wenig gegen tun. Der amerikanische Kinderschutzbund rät, Kinder unter 18 Monaten nicht vor Bildschirme zu setzen. Wenn man es danach dann tut, sollten Eltern auf den Inhalt achten. Nicht alle Kindersendungen sind für Kinder geeignet. Formate wie Spongebob sind für kleine Kinder zu schnell. Das macht sie ungeduldig und unfähig, sich im echten Leben auf Dinge zu konzentrieren, die langsamer sind, wie Lesen und Lernen zum Beispiel. Was Kinder wie Erwachsene lernen müssen, ist das Konzept von Balance. Wir können nicht permanent Süßkram essen. Manchmal muss es auch mal Bohnen oder Brokkoli geben. Wir können nicht den ganzen Tag Videospiele spielen. Es gibt nichts, das man den ganzen Tag machen kann. Und das ist auch gut so.