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Nerven all die Kinderfotos auf Instagram nur?

Foto: REHvolution.de / photocase.de; Illustration: jetzt

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Seit sich das Coronavirus weltweit ausbreitet, isolieren sich die Menschen sozial – zumindest im Real Life. In den sozialen Netzwerken dagegen sind sie wohl aktiv wie selten. Das sorgt mitunter auch dafür, dass zuvor verpönte Eigenarten des Netzes wieder gefeiert werden und auf Instagram und Co. neu aufleben: Kettenbriefe und Challenges. In der Redakiton gehen die Meinungen dazu auseinander. Katharina findet diesen Trend ziemlich bescheuert – Dirk dagegen meint: Er ist nützlich in diesen Zeiten.

corona challenge contra

Illustration: jetzt

Contra: Katharina hasst die Instagram-Challenges, die in Corona-Zeiten viral gehen:

Wenn ich Instagram öffne, sehe ich derzeit vor allem eines: Storys mit Kinderbildern. Meine alte Schulfreundin als Kind mit Gitarre und Sonnenbrille, eine Influencerin als Baby im Kinderwagen, ein Bekannter bei seiner Einschulung. Darin werden dann immer weitere Leute nominiert, die noch mehr Kinderbilder teilen sollen. Und das machen die dann in der Regel auch zuverlässig. Mein persönlicher Albtraum: Die einen machen was vor – und alle anderen machen es blind nach. Vermutlich, ohne einen Moment darüber nachzudenken, wie sinnhaft das ist. Ob Hunderte Bekannte nun wirklich an Kinderfotos von ihnen interessiert sind. Und was für Leute das sonst so anschauen könnten.

Unter denjenigen, die solche Storys teilen, sind übrigens auch solche Menschen, von denen ich ganz vergessen hatte, dass ich ihnen folge. Einfach, weil sie sonst in den sozialen Medien keinen Mucks von sich geben. Da es aktuell an anderen Beschäftigungen mangelt, haben sie aber anscheinend beschlossen, „diesem Internet“ doch noch eine Chance zu geben. Toll. Und ich sehe jetzt nichts anderes mehr als verpixelte Fotos von pausbackigen Annas und Philipps, die freudig in irgendeinem Garten stehen und grinsen.

Ruft doch lieber mal eure Oma an

Jetzt könnte man natürlich sagen: Mensch, ist doch schön, wenn die Leute über soziale Medien wieder in Kontakt treten. Und in so einer schwierigen Zeit sind alte Kinderfotos doch putzig und beruhigend. Schließlich war damals noch alles in Ordnung, solange man ein Eis bekam. Aber wie sinnvoll ist das wirklich? Ich finde: Mittlerweile sind all diese Menschen erwachsen und sollten sich lieber mit der aktuellen Lage arrangieren, statt sich in soziale Medien und alte Erinnerungen zu flüchten. Und wie viel soziale Interaktion steckt denn bitte dahinter, wenn mich Felix aus der Grundschule auf seinem Babybild markiert? Da habe ich ja mit den Verkäufer*innen an der Supermarktkasse mehr persönlichen Austausch. Für mich bedeuten Challenges wie diese einfach leere Kommunikation.

Aber leider gibt es gerade jetzt unfassbar viel davon: Keine Ahnung, wer auf die geistreiche Idee gekommen ist, Stadt-Land-Fluss in Form eines Kettenbriefes in die Welt zu setzen. Nein, ich werde sicher nicht drei geografische Bezeichnungen mit dem Anfangsbuchstaben meines Vornamens aufschreiben und dann auch noch andere dazu anstiften, es mir gleich zu tun. Das Spiel ist in Zeiten von Google ohnehin schon wenig spannend.

Warum gibt es Hobby-Athlet*innen, die mit Klopapierrollen irgendwelche akrobatischen Tricks performen, die andere dann wieder überbieten wollen? Ist den Leuten da draußen denn jetzt schon so furchtbar langweilig, dass ihnen wirklich nichts Besseres einfällt? Ruft doch lieber mal eure Oma an und fragt, ob ihr was für sie einkaufen sollt. Und wenn ihr in Zeiten der sozialen Isolation doch den Drang verspürt, mit alten Bekannten in Kontakt zu treten, dann tut es. Schreibt ihnen einfach eine liebe Nachricht und fragt nach, wie es ihnen geht. Wegen mir könnt ihr auch Kinderfotos austauschen – aber bitte haltet mich da raus.

corona challenge pro

Illustration: jetzt

Pro: Dirk findet die Challenges super – denn sie können uns alle näher zusammenbringen:

Dieser Text nominiert alle Leute wie Katharina, die sich von Challenges und digitalen Herausforderungen genervt fühlen. Ihr seid nicht allein im Schulterzucken über Klopapier-Jonglage oder Kinderfoto-Posts. Es gibt Leute da draußen, die das genauso sehen. Leute, die sich auch fragen: Muss das sein? Noch eine Quatsch-Challenge mit unnötigen Aufgaben?

Die Antwort: Ja, das muss sein. Und das zu akzeptieren, ist die Herausforderung, die dieser Text euch allen stellt. Denn die Challenges und Herausforderungen sind zwar tatsächlich leere Kommunikation, aber sie sind besser als du denkst. Denn in diesen Tagen, die von sozialer Isolation während der Corona-Krise bestimmt sind, stellen wir alle zusammen schmerzlich fest: Es gibt eine Sache, die noch schlimmer ist als leere Kommunikation. Das ist: gar keine Kommunikation!

Es ist einfach beängstigend, alleine ins Smartphone zu schauen und sich zu fragen: Wie lange soll das noch so gehen? Die Antwort weiß offenbar nicht mal Deutschlands Lieblingsvirologe Christian Drosten. 

Durch die Challenges sind wir weniger allein

Deshalb ist es gut zu sehen, dass die anderen genauso mit der Situation hadern wie du. Das beweisen sie dir eben durch solche Challenges auf Instagram und Co. Sie nutzen und brauchen die Herausforderungen als Anlass, um sich in Social Media zu beteiligen. Und aus all diesen Antworten entsteht auf der Oberfläche etwas, das sich wie Kettenbrief-Quatsch anfühlt. In einer Falte dieser Oberfläche spüren wir aber: In Herausforderungen sind wir weniger allein. Die Challenges sind schließlich eine Art Gemeinschaftsaktion. Außerdem sehen wir dadurch immerhin die Social-Media-Posts von denen, die wir außerhalb des Internets nicht mehr sehen dürfen. Das mag kitschig sein und nervig, aber es bietet zumindest die Möglichkeit, sich darüber zu erheben und sich dadurch besser fühlen. Das ist nicht erstrebenswert. Aber wenn es dafür gut ist, dann ist es immerhin für etwas gut. 

Deshalb die Challenge für alle, die genervt sind von Kinderfotos und Stadt-Land-Fluss auf Instagram: Freut euch über all die leere Kommunikation, all die sinnlosen Posts da draußen. Sie sagen in Wahrheit: We are in this shit together – und wir sind auch völlig ratlos. Deshalb jonglieren wir mit Klopapier. Das ist nicht besonders elaboriert und auch nicht klug, aber zeigt: Wir sind nicht allein. Und das ist doch als Zeichen nicht ganz schlecht. Challenge accepted?

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