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Die WHO wird 2018 wohl Gaming-Sucht als Krankheit anerkennen

Foto: getty images/ Sascha Schuermann

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Kann exzessives Computerspielen zur Krankheit werden? Zu dieser Frage könnte die Weltgesundheitsorganisation WHO im kommenden Jahr eine klare Position beziehen: In einem im Netz einsehbaren Beta-Entwurf ihres „International Classification of Diseases“, kurz ICD, ist erstmals die Rede von einer „Gaming Disorder“. Das Krankheitenregister wurde zuletzt 1990 aktualisiert, die neue Fassung erscheint offiziell voraussichtlich zur Mitte des kommenden Jahres. Das ICD gilt als wichtigstes Klassifikationssystem für Krankheiten und hat somit Auswirkungen auf nationale Gesundheitssysteme, Versicherungen und Hilfseinrichtungen.

Eine Gaming-Disorder liegt laut dem Entwurf vor, wenn drei Faktoren erfüllt sind:

  • Ein Kontrollverlust beim Gaming, zum Beispiel im Bezug auf Regelmäßigkeit, Dauer oder Intensität.
  • Die Unterordnung anderer Aktivitäten und Alltäglichkeiten gegenüber dem Gaming.
  • Ein Fortsetzen oder Intensivieren des Gamings trotz negativer Konsequenzen.

Um eine vorschnelle Diagnose der Sucht zu verhindern, sollen potentiell Betroffene erst nach einer Beobachtungsphase von 12 Monaten diagnostiziert werden, bei eindeutigen und heftigen Sympthomen bereits früher.

Auch wenn der geplante Vorstoß der WHO für viele ein überfälliges Update eines veralteten Krankheitenkatalogs darstellt, Betroffene und Hilfseinrichtungen sich künftig legitimiert fühlen dürften, gibt es heftige Kritik.

Vor allem professionelle Gamer kritisieren, dass der Entwurf aufgrund seiner Unschärfe eben nicht dem aktuellen Zeitgeist gerecht wird, sondern vielmehr eine ganze Kultur unter pauschalen Krankheitsverdacht stellt. Sie fragen sich, ob man künftig bereits unter Krankheitsverdacht steht, wenn man mal wegen eines Computerspiels ein paar Stunden zu wenig Schlaf bekommen hat, Ärger mit der Freundin hatte oder den Abwasch vergessen hat.

 

Wissenschaftler kritisieren außerdem eine vermeintlich dünne Forschungslage zum Thema und eine vorschnelle Entscheidung aus „moralischer Panik“ gegenüber neuen Medien. Thorsten Quandt, Professor an der Universität Münster und Co-Autor eines an die WHO gerichteten kritischen Papers fühlt sich in der SZ an Theorien über Bücher- oder Comicsucht erinnert, die jeweils aus der reinen Angst vor dem Neuen kursierten und heute lächerlich wirken.

 

Mit der Pathologisierung des exzessiven Zockens könne eine ganze Welle von neuen Krankheitsbildern etabliert werden, sagt Quandt: „Von Handy-Sucht bis Social-Media-Depression wäre vieles als eigenständige 'Medien'-Krankheit denkbar. In der Folge wären zahlreiche Kinder, Jugendliche und Erwachsene qua Definition von heute auf morgen therapiebedürftig.“

 

Ob der aktuelle Entwurf in seiner jetzigen Form übernommen wird, ist noch unklar. Ein Disclaimer auf der Website weist mit Nachdruck darauf hin, dass es sich nicht um eine finale Version oder eine von der WHO genehmigte Fassung handelt.

 

qli

 

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