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„Die Kifferin“: Wie das Corona-Virus Mias Leben verändert
Zum Kiffen hat so ziemlich jede*r eine Meinung. In der öffentlichen Debatte darüber kommen die Konsument*innen aber am wenigsten zu Wort. Das sind in Deutschland rund 3,7 Millionen Menschen – und längst nicht alle kiffen aus medizinischen Gründen. Die Studentin Mia kifft seit sieben Jahren. Hier erzählt sie von ihrem Alltag mit Cannabis.
„Vor zwei Wochen, als man sich noch mit anderen Menschen treffen durfte, war ich in der WG einer Freundin. Ich war bis dahin noch sorglos, tat das Coronavirus als einfache Grippe ab und hielt das ganze Drumherum für Hysterie. An diesem Abend ging deshalb wie immer ein Joint rum. Ohne nachzudenken, zog ich auch daran, genauso wie die fünf anderen Personen im Raum. Obwohl wir uns dabei sogar über das Coronavirus, über Inkubationszeiten, Ausgangssperren und gefälschte Statistiken aus China unterhielten. Wir lachten, waren betrunken, kifften und hatten einen super Abend. Ich zog noch einige Male am Joint und ging irgendwann nach Hause.
Am nächsten Tag dachte ich aber nochmal darüber nach. Die Nachrichten waren voll von Corona. Die Regierung dachte zu diesem Zeitpunkt darüber nach, eine bundesweite Ausgangsperre zu verhängen und es wurde eindringlich vor Körperkontakt mit anderen Menschen gewarnt. Und ich hatte gestern fröhlich mit fünf anderen Menschen an einem Joint gezogen. Was, wenn ich mich dabei angesteckt hatte? Und jetzt das Virus verbreitete? Oder sehr krank werden würde? Bis heute habe ich keine Symptome, aber wer weiß. Manchmal verläuft Covid-19 ja auch komplett symptomfrei.
„Ständig fragen Leute bei mir auf Instagram, ob noch jemand Weed hat“
Je mehr ich die Gefahren des Virus verstehe, desto mehr ärgere mich darüber, dass ich sie, sozusagen im Angesicht des Joints, total verdrängt habe. Es wird einem ja ständig gesagt, dass man vorsichtig sein soll, damit sich die Ausbreitung verlangsamt. Vor zwei Wochen war die Lage zwar noch nicht so brisant wie heute, aber trotzdem waren die Regeln klar: Abstand halten, keinen Körperkontakt und vor allem nicht die gleichen Joints in den Mund nehmen. Inzwischen teile ich wegen Corona keine Joints mehr. Ich halte mich an die Regeln und finde, das sollte jeder andere auch tun. Egal ob high oder nicht.
Dass die Welt gerade immer mehr zum Stillstand kommt, hat natürlich auch Einfluss auf Kiffer. Ich merke, dass seit Beginn der Ausgangsbeschränkungen vermehrt herumgefragt wird, wer noch Gras übrig hat. Ständig posten Leute bei mir auf Instagram in ihre „Enge Freunde“-Story und fragen, ob noch jemand Weed hat. Auch als man noch raus durfte und ich mich noch mit Freunden getroffen habe, merkte ich, dass es bei einigen langsam eng wird mit dem Gras. Ich glaube nicht, dass die Kiffer jetzt kollektiv anfangen zu hamstern, so wie das sehr dumme Menschen mit dem Klopapier machen. Aber natürlich macht man sich schon Gedanken, wenn eine Substanz so essentiell für den Alltag ist: Was, wenn diese Substanz bald nicht mehr verfügbar sein wird? Ich für meinen Teil habe keine Angst davor, dass mir das Gras ausgeht. Ich holte mir ja auch vor Corona immer große Mengen beim Dealer, deshalb habe ich gerade noch genug Gras daheim.
Wenn ich jetzt wirklich gar nichts mehr daheim hätte, dann würde ich ziemlich sicher gerade ausrasten. Allein bei dem Gedanken, dass es Lieferengpässe bei meinem Dealer geben könnte. Ich kenne die Lieferketten nicht. Aber ich fürchte, dass es grade schwieriger wird für Dealer, seitdem es wieder Grenzkontrollen gibt und allgemein viel mehr Polizei in den Städten unterwegs ist, wegen der ganzen Ausgangsbeschränkungen.
„Wenn man kifft, fällt einem das Nichtstun unfassbar leicht“
Ich denke mir aber auch: Vielleicht ist die Coronakrise ja meine Chance, weniger zu kiffen? Ich habe, auch weil ich durch diese Kolumne meinen Konsum viel mehr reflektiere, die vergangenen Wochen eh weniger geraucht als sonst. Ich musste diesen Monat noch nicht zum Dealer. An manchen Tagen rauche ich sogar gar nicht. Mein Semester an der Kunsthochschule wurde wegen Corona verschoben, kreativ habe ich also gerade nichts zu tun. Meine Schlafprobleme machen mir gerade auch keine Sorgen, ich muss ja morgens wegen der Ausgangsbeschränkungen eh nicht aufstehen. Da ist es relativ egal, ob ich um 0 Uhr einschlafe oder um 4 Uhr.
Natürlich wäre es in der momentanen Situation schon angenehm, den ganzen Tag zu kiffen. Ich könnte grade ohne Konsequenzen nur rumliegen und Netflix schauen. Das ist schon verdammt verführerisch. Wenn man kifft, fällt einem das Nichtstun unfassbar leicht. Trotzdem: Ich sehe diese Krise als Challenge, so gut wie möglich ohne Gras auszukommen. Denn Nichts zu tun, ist gerade unser aller Aufgabe, viele andere Menschen haben ja auch nicht solche Hilfsmittel wie Gras. Deswegen, liebe Leute: Wascht euch die Hände, hustet euch nicht an, teilt euch bitte keine Joints und bleibt zu Hause.“
Mia heißt nicht wirklich Mia, möchte aber ihren richtigen Namen nicht im Internet lesen. Ihr wahrer Name ist der Redaktion bekannt. Für diese Kolumne treffen wir sie regelmäßig und sprechen mit ihr über ihr Leben als Kifferin.