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Können Deutsche und Flüchtlinge wirklich zusammen feiern?

Foto: Klosko/Photocase

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Für drei Minuten und 50 Sekunden ist Arian kein Flüchtling. Aus den Boxen dröhnt sein Lied: "Aman Aman" klingt ein bisschen nach Animationsprogramm im türkischen All-Inclusive-Hotel. Und Arian dreht sich, tanzt von einem Fuß auf den anderen und strahlt. Für knapp vier Minuten blendet er alles aus: die Bomben in Afghanistan, die Flucht übers Meer, die Sorgen um seine Familie. Gerade ist er einfach Arian, 18 Jahre alt, Partygänger. Und DJ.

Leute wie ihn will das Feierwerk mit der Partyreihe Plug-In Beats ansprechen. Auftakt war im März, am Donnerstag, 26. Mai, ist wieder eine Party. Die Idee: Flüchtlinge und Münchner feiern zu ihrer Lieblingsmusik, die sie auf dem Smartphone mitbringen. Die "krasse Wild-Style-Party" soll Heimatgefühl, Therapie und Begegnung in einem sein. Pakistanischer Pop trifft auf deutschen Hip-Hop, Arian begegnet Basti und gemeinsam tanzen sie gegen Vorurteile. So ist zumindest der Plan.

Und in der Theorie ist der Plan sehr gut. Feiern bietet Flüchtlingen ein Gefühl von Normalität, ein Stückchen Alltag. Und es bietet den Menschen, die schon immer hier waren, wenigstens einen Moment lang einen gemeinsamen Alltag mit den Flüchtlingen. Wahrscheinlich ist gerade nichts entscheidender. Der Alltag ist schließlich das, wo es wirklich schwierig wird. Menschen mit Plüschtieren am Bahnhof empfangen, das ist das eine. Da ist Euphorie, kollektiver Taumel, Ad-Hoc-Integration. Hörbar knirscht es erst im täglichen Umgang.

Gerade deshalb sei Feiern so wichtig, sagt Wolfgang Kaschuba, Leiter des Berliner Instituts für Migrationsforschung. "Der Alltag ist wie die Volkshochschule der Erfahrungen: Wir lernen andere kennen, sind nachher ein bisschen schlauer und unsere Vorurteile sind schwächer. Und dieser Alltag hat bei uns Deutschen sehr viele Feste."

Wer feiert, baut Ängste ab

Wer feiert, baut Ängste ab. Wer gemeinsam feiert, baut gegenseitige Ängste ab. Geht auf andere zu. Gehört dazu. Wenigstens einen Moment lang. "Beim Feiern kommt immer ein Gefühl von Gemeinschaft auf. Das spüren wir in der Fankurve im Stadion genauso wie im Club. Und das ist gerade die Erfahrung, die wir mit Fremden brauchen", erklärt der Migrationsforscher.

Das wäre also die Theorie. Gute Theorie. Wichtig. Richtig auch. Leider baut, wer in der Realität gemeinsam feiert, manchmal aber auch Ängste auf. Man konnte das in den vergangenen Wochen und Monaten zum Beispiel im White Rabbit in Freiburg sehen. Im Amadeus in Ingolstadt oder im Brucklyn in Bad Tölz

Die Clubs haben eine Zeit lang ein pauschales Einlassverbot für Flüchtlinge verhängt, das die Betreiber inzwischen aber zurückgenommen haben. Vor allem Frauen hatten sich zuvor über aufdringliche Gäste und Belästigungen beschwert. Teilweise kam es auch zu Übergriffen.

Und ziemlich genau ab hier wird es nun eben doch komplizierter.

Der Schritt war eine Sicherheitsmaßnahme, sagen die Clubbesitzer. Der Schritt war ein Fall von Diskriminierung, sagt Christine Lüders. Sie ist die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. "Pauschale Hausverbote verstoßen gegen das Gesetz." Lüders Stimme überschlägt sich am Telefon fast vor Empörung. "Stellen Sie sich vor, Sie gehen nach Spanien und kommen nicht in den Club, weil Sie Deutsche sind."

"Es ist nicht einfach, Diskriminierung zu beweisen."

Doch die Vorfälle häufen sich. Immer wieder muss die Antidiskriminierungsstelle einschreiten, Stellungnahmen von Diskotheken fordern oder vor Gericht ziehen. "Es ist nicht einfach, Diskriminierung zu beweisen", sagt Lüders. "Viele Betroffene wissen nicht einmal, dass sie Anspruch auf Entschädigung haben." 

Das gilt für Belästigungen und Schlimmeres allerdings auch. Und klar ist: Clubbesitzer haben nicht nur das Recht, aggressiven Gästen Hausverbot zu erteilen. Sie haben die Pflicht dazu. Das gilt auch, wenn Flüchtlinge Ärger machen. Dass all das keine pauschale Verurteilung von Menschen rechtfertigt, ist klar. Aber der Vorwurf wirkt auch schnell wie eine Phrase, wenn Gäste sich unwohl fühlen und nicht mehr kommen. Wenn es für Clubs zu einer existenziellen Frage werden kann. Zumindest erscheint es viel verlangt von einem Betreiber, seiner Kundschaft die abstrakten Ängste abzuerziehen. Wenn sie begründet sind sowieso. Aber auch, wenn sie auf Vorurteilen beruhen.

 

Oder?

 

Etwas früher am Abend im Feierwerk wummert der Bass tief drinnen in den Eingeweiden. Scheinwerfer tauchen den Club in buntes Licht. Grün, Gelb, Lila, immer abwechselnd. Aftershave mischt sich mit dem Geruch von Schweiß. Alles normal bis hierhin. Es sind eher Details, die die Party von anderen unterscheiden. Auch angenehme: Der Boden klebt zum Beispiel nicht. Kein ausgeschütteter Gin Tonic, noch nicht mal eine umgefallene Bierflasche. Die Menschen stürmen auf die Tanzfläche statt an die Bar.

 

Und mitten im Getümmel ist Arian. Er singt, tanzt, schwitzt. Endlich kann er wieder laut Musik hören, sich verausgaben, Leute treffen. Er gibt sich dem Rhythmus hin, verliert sich im Moment und in fremden Augen. Die Party ist für ihn ein Flirt mit dem Leben. Arian feiert, dass er wieder feiern kann.

 

Die Veranstalter machten extra zwei interne Probeläufe

 

"Auf der Tanzfläche kann ich alles rauslassen", sagt er ein paar Minuten später an der Bar. Mit der linken Hand streicht er über seine gegelten Haare, mit der anderen hält er eine Cola. Eine Falte gräbt sich in seine Stirn, die Unbeschwertheit ist jetzt plötzlich weg. "Ich bin oft traurig, aber wenn ich Musik aus meiner Heimat höre, ist alles gut."

 

Das ist, man darf das vielleicht mal so plakativ sagen, einfach nur sehr, sehr schön. Und es funktioniert. Kosmopolitische Popkultur,  internationaler Dialog. Diskriminierung, Vorurteile und Pöbeleien haben keinen Platz. Auf der einen Seite. Auf der anderen Seite haben die Veranstalter Respekt vor dem Abend. Vor ein paar Monaten erst ist eine Flüchtlingsparty von Refugees Welcome in Bonn außer Kontrolle geraten. Einige Flüchtlinge hatten Frauen belästigt.

 

Die Organisatoren der Plug-In Beats hatten deshalb extra zwei interne Probeläufe gemacht, bevor sie an diesem Abend im März die Münchner einluden. Und auch dafür gab es kaum Werbung. Keine Veranstaltung auf Facebook, noch nicht einmal ein Hinweis im hauseigenen Newsletter. Nach jedem dritten, vierten Satz betont Organisator Thomas Lechner, dass sie sich "langsam herantasten" wollen. Lechner veranstaltet seit Jahrzehnten Partys, doch seine Anspannung ist spürbar. Während des Gesprächs lässt der 54-Jährige den Eingang nicht aus den Augen, immer wieder streicht er sich fahrig eine Haarsträhne unter die Mütze.

 

Dabei hat er sich mit seinen Kollegen für alle Was-Wäre-Wenn-Fälle gerüstet, für die man sich eben so rüsten kann. Vorab haben sie den Flüchtlingen aus der Nachbarschaft die Spielregeln erklärt. Fotos zum Beispiel sind verboten. Das sei eine Frage der Privatsphäre. Nicht jeder möchte fotografiert werden. Und ganz wichtig: Alle begegnen sich respektvoll auf Augenhöhe. Die Regeln hängen auch an den Wänden des Clubs – auf laminierten Din A4-Blättern in arabischer, englischer und französischer Sprache. 

Viele Flüchtlinge werden außerdem von ihren Betreuern zur Party begleitet. Und bevor sie überhaupt reindürfen, tastet eine Türsteherin mit blondem Kurzhaarschnitt sie ab. "Wir wollten unbedingt, dass eine Frau den Posten übernimmt. So ist von Anfang an klar, dass wir keine Unterschiede im Umgang mit …" Thomas Lechner stockt mitten im Satz und dreht sich um. Hinter ihm steht ein Flüchtling, Jeans, schwarze Jacke. Er grinst. Lechner entschuldigt sich, steht auf und begleitet den Jugendlichen zur Tür. Freundlich, aber mit Nachdruck.

 

Die Szene ist Lechner sichtbar unangenehm. Warum der Flüchtling Hausverbot hat, möchte er lieber nicht verraten. Zu groß sei die Gefahr der Pauschalisierung. "Das sind schwere Schicksale", sagt er nur, während er sich wieder auf den Barhocker setzt. Lieber erzählt er weiter von den Sicherheitsmaßnahmen: Er hat extra Dolmetscher engagiert, für Farsi und Arabisch. Sie achten auch auf die Liedtexte. "Ist ein Lied diskriminierend oder sexistisch, unterbrechen wir es sofort. Dann gibt es einen kurzen Break. Das ist zum Glück noch nicht passiert, aber wir sind darauf eingestellt", sagt Lechner.

 

Security, Dolmetscher, Begleiter – das klingt beruhigend. Nach Sicherheit und Verantwortung. Aber auch nach Bevormundung. Und vor allem klingt es so, als läge doch noch einiges im Argen. Als seien gemeinsames Feiern, Augenhöhe, gegenseitiger Respekt, gemeinsame Werte noch länger nicht selbstverständlich.

 

"Diese ganzen Regeln sind wieder typisch deutsch."

 

Muss man also annehmen, dass eine Party aus dem Ruder läuft, nur weil Flüchtlinge und Einheimische aufeinandertreffen? "Das ist schon schwierig. Diese ganzen Regeln und Sicherheitsvorkehrungen sind wieder typisch deutsch", sagt Thomas Lechner. Und schiebt sich eine Haarsträhne unter die Mütze.

 

"Kannst du bitte schnell kommen?", fragt Sandra Thull und unterbricht damit das Gespräch. Lechner steht sofort, wechselt ein paar Sätze mit ihr und verschwindet auf der Tanzfläche. "Nur ein kleiner Streit. Die Jungs hören eben auf ihn", erklärt Thull und zuckt mit den Achseln. Sie organisiert zusammen mit Lechner die Veranstaltung. "Die Jungs sind manchmal sehr fordernd, sehr nah. Aber sie halten sich gegenseitig zurück. Sie wissen, was auf dem Spiel steht."

 

Eins ist klar: Bemühen wollen sich alle. Auch die Clubbetreiber. Der Chef des Amadeus in Ingolstadt hat nach den Rassismusvorwürfen gegen sich ein neues Konzept entwickelt: Paten bringen jetzt Flüchtlingen Disco-Etikette bei. "Da ist ganz viel Respekt gefragt", sagt Migrationsforscher Wolfgang Kaschuba. "Vielleicht können einige Flüchtlinge selbst diese Lotsen-Funktion übernehmen. Damit sie sich beim Feiern nicht kontrolliert und ausgeschlossen fühlen." In Ingolstadt scheint die Paten-Idee jedenfalls zu funktionieren: Die Situation hat sich entspannt, Flüchtlinge kommen sogar umsonst rein. Vielleicht braucht es nur ein bisschen Geduld. Und Fingerspitzengefühl.

 

Auf der Tanzfläche im Feierwerk drängen sich die Flüchtlinge. Kaum Frauen, kaum Deutsche. Nur am Rand halten sich ein paar Jungs an ihren Bierflaschen fest und wippen im Takt. Die Flüchtlinge tanzen fordernd, extrovertiert, brauchen Raum. Alles ist in Bewegung. Nur ein knutschendes Pärchen bringt die Choreographie einen Moment aus dem Takt. Für ein paar Sekunden wirken viele verlegen wie dreizehnjährige Schuljungs. Wissen nicht mehr, wohin mit ihren Armen, Beinen und Blicken. Dann ein neuer Song. Wie auf ein unsichtbares Zeichen fassen sich die Flüchtlinge an den Händen, springen von einem Fuß auf den anderen und drehen sich im Kreis.

 

Und Arian stolpert. Er ist unaufmerksam, immer wieder schielt er auf die Leinwand gegenüber. Dort leuchtet die Nummer des aktuellen Lieds auf. Gerade läuft die 37. Danach ist er dran. Arian lässt die Hand seines Nachbars los und drängt sich zum DJ-Pult. Sein Freund Karim hat schon das Smartphone angeschlossen. Mit der linken Hand scrollt Karim durch die Playlist. Seinen rechten Arm hat er im Krieg verloren. Für seine Freunde ist das nichts besonderes. Arian klopft ihm zur Begrüßung auf die Schulter. Dabei löst sich das Kabel aus dem Smartphone. Wackelkontakt. Auch am Handy hat die Flucht Spuren hinterlassen. Doch die Stille stört keinen. Arian stöpselt das Gerät wieder an und zieht seinen Freund auf die Tanzfläche.

Ein knatterndes Motorengeräusch dröhnt aus den Boxen, der Beat setzt ein und Arian singt: "Aman az tire mejgan az negahat ey jadoo chesman. Aman aman…" Und Arian strahlt, macht die Augen zu und tanzt.

 

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