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Wie es Lehrerinnen mit Kopftuch in der Schule geht
Hurije ist sehr verwundert. Heute ist Elternsprechtag und die Schlange vor ihrem Zimmer wird immer länger. Dabei hat sie nur wenige Eltern von Problemschülern in Mathematik eingeladen. Gekommen sind sie aber alle, um die 28-jährige Mazedonierin mit albanischen Wurzeln kennenzulernen. Der Grund: Hurije trägt Kopftuch. Und das ist eine Sensation, zumindest in dieser Wiener Neuen Mittelschule (NMS).
Die Kinder kommen zum großen Teil aus christlich-österreichischen Familien, das politisch aufgeladene Kopftuch scheint für die Eltern ein wichtigeres Thema als der Schulfortschritt ihrer Kids zu sein. Alle wollen sie wissen, wie „sie“ tickt, die Lehrerin mit dem Kopftuch. Die mit dem Stück Stoff, das für viele stellvertretend für das muslimische Patriarchat und die Unterdrückung der Frau steht. „Kann diese Person unseren Kindern die Werte mitgeben, die wir uns in Österreich wünschen?“, fragen sich wohl viele Eltern. Und diese Angst wächst weiter, seit das Thema Kopftuch und Schule die Schlagzeilen beherrscht. Beim Kreuzzug der Regierung gegen den Hijab geht es angeblich um den Schutz junger Mädchen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und sein Stellvertreter Heinz-Christian Strache (FPÖ) das Kopftuch in der Volksschule verbieten. In Deutschland ist das Kopftuch für Lehrerinnen zwar auch umstritten, aber nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2015 grundsätzlich erlaubt – sofern es den Schulfrieden nicht massiv stört oder Landesgesetze bricht.
Zahlen und Fakten zu Pädagoginnen mit Kopftuch im öffentlichen Schulbereich gibt es in Österreich nicht. Es wird keine Statistik darüber geführt, was eine Lehrerin aauf dem Kopf trägt. In die Öffentlichkeit drängt es Lehrerinnen mit Kopftuch schon gar nicht. Die meisten Frauen möchten nicht auf ihre Kopfbedeckung reduziert werden und schweigen. Direktoren fürchten Boulevardjournalisten im Schulhof und verbieten im Normallfall jeglichen Kontakt zu Medienvertretern. Anders ist nicht zu erklären, dass es in Österreich keinen einzigen Artikel gibt, der den Alltag von Lehrerinnen mit Kopftuch intensiv beleuchtet. Einige Frauen, die im Zuge der Recherche bereit waren, sich fotografieren zu lassen, machten plötzlich wieder einen Rückzug. Wovor haben diese Frauen Angst?
„In Österreich hat man sich anzupassen“
„Ich kann die Sorge der Lehrerinnen gut nachvollziehen, weil man Angst um seinen Job hat“, zeigt sich Hurije verständnisvoll, als wir ihr erklären, dass sie zur Minderheit in der Minderheit gehört, die auch ihr Gesicht in der Öffentlichkeit zeigt. Die quirlige Wahl-St. Pöltnerin ist eloquent und schlagfertig. Sie findet es wichtig, dass Lehrerinnen mit Kopftuch sichtbar werden – und zwar außerhalb des Schulbetriebs, wo relativ rasch jeder vergisst, dass sie das Stück Stoff auf ihrem Kopf tragen. Sie selbst trägt das Kopftuch erst seit sechs Jahren, ihre Familie ist „so wie viele andere muslimische Familien am Balkan“, so Hurije. Das heißt, keine Frau habe das Kopftuch zu Hause getragen, was für eine sehr liberale Auslegung des Islams spricht.
Das ist Hurije.
Arbnesa unterrichtet seit drei Jahren Deutsch, Biologie und Turnen.
Trotzdem waren die ersten Wochen in ihrer neuen Schule mit kaum muslimischen Schülern eine Herausforderung und mit vielen Ungewissheiten verbunden. Hurije musste anfangs in ihrer Schule vor allem als Islam-Lexikon und Vorurteilsentkräfterin auftreten. „Naja, is besser, wenn Sie kein Kopftüchl tragen, wenn man in Österrich lebt, hat man sich anzupassen“, sagte ihr mal ein 14-jähriger Knirps ganz unverblümt. Zuerst war sie etwas baff, sie erkannte aber auch anhand des Wordings, dass der Schüler die Worte des Vaters beim Abendessen nachplapperte. „Bursche, das sind nicht deine Worte“, dachte sie sich. Eine andere Schülerin kam in der Pause auf sie zu und zeigte Verständnis für ihr Aussehen. Die 15-Jährige fiel selbst mit ihren grau-blau gefärbten Haaren auf und stellte fest: „Frau Lehrerin, ich weiß ganz genau, wie Sie sich fühlen. Mich starren auch alle wegen meiner Haarfarbe an, wie muss das erst für Sie als Kopftuchträgerin sein?“
Hurije hat rasch gelernt mit den Blicken fertigzuwerden, die Vorurteile nahmen in der neuen Schule mit jedem Tag immer mehr ab. Dabei wäre sie um ein Haar im zehnten Bezirk gelandet, einem Stadtteil mit hohem Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund: „Die Schulleiterin machte mir während der Einführungstour ganz klar, dass sie keinesfalls möchte, dass ich mich mit den Kindern auf Albanisch oder Türkisch unterhalte. Dabei habe ich das gar nicht vorgehabt“, so Hurije achselzuckend. Am nächsten Tag die überraschende Absage, obwohl die Direktorin im ersten persönlichen Gespräch noch betonte, wie sehr sie unter dem Lehrermangel leiden würde. Die Absage sollte sich als Glücksgriff für Hurije herausstellen. Sie wurde einer Schule mit vorwiegend österreichischen Kindern zugewiesen. Donaustadt statt Zehnter, Vorstadtidyll statt Migrantenbezirk.
Mit Kopftuch in Migrantenschule
In Gegensatz zu Hurije unterrichtet Arbnesa viele SchülerInnen mit islamischem Glauben in einem stark von Migranten bewohnten Bezirk. Sie ist gerade in ein Schulbuch vertieft, als wir sie in einem Wiener Café treffen. „Ich bereite gerade die nächsten Hausaufgaben für meine SchülerInnen vor“, verrät sie uns, während sie ihren Turban zurechtzupft.
Die 24-Jährige unterrichtet seit drei Jahren an einer Wiener Neuen Mittelschule Deutsch, Biologie und Turnen. Arbnesa machte sich anfangs viele Sorgen, wie sie mit ihrem Kopftuch aufgenommen wird. In der ersten Stunde stand sie vor der Klasse und es war ganz ruhig, wie sonst nur bei Schularbeiten. Sie sah förmlich die Fragezeichen über den Köpfen der Schülerinnen und Schüler. Sie stellten Fragen wie: „Sind Sie nicht die Islamlehrerin?“ Oder: „Zeigen Sie uns Ihre Haare?“ Ein muslimischer Vater, dessen Tochter kein Kopftuch trägt, kam bald auf sie zu, schüttelte ihr die Hand und freute sich darüber, dass auch muslimische Lehrerinnen in der Schule arbeiten. Gespräche mit anderen Mädchen unterstrichen bald, dass sie eine Vorbildfunktion hatte – auch wenn sie vorher gar nichts davon wusste. Sie fragten Arbnesa, wie sie es geschafft habe, mit Kopftuch zu unterrichten. Sie lauschten mit weit aufgerissenen Augen ihren Erzählungen und waren stolz, von ihr unterrichtet zu werden. Arbnesa teilt diesen Stolz und betont, für alle Kinder ein Vorbild sein zu wollen, nicht nur für die muslimischen: „Ich versuche, meine Prinzipien an die Kinder weiterzugeben, egal woher sie kommen oder wie sie aussehen.“
Das Thema Islam also nur eine Randnotiz im Unterricht? „Ich wollte den Kindern zeigen, dass man als Muslima genauso fähig wie der Rest der Bevölkerung ist.“ Genau wie Hurije musste sie anfangs in ihrer Schule vor allem als Informationsquelle zum Thema Islam herhalten und Vorurteile ausräumen. Und sie wollte zeigen, dass Frauen mit Kopftuch nicht fremdbestimmt und passiv sind, sondern erfolgreich Karriere machen können, so Arbnesa.
Hurije benutzt das Kopftuch auch mal als Witzequelle. „Ich schrieb etwas auf die Tafel und merkte, dass hinter meinem Rücken getuschelt wurde. Daraufhin drehte ich mich um und sagte: „Ich weiß, ihr seht keine Ohren, aber ich habe welche“, erinnert sie sich. Der angesprochene Schüler war kurz perplex, bevor Gelächter im Klassenraum ausbrach. „Ich habe versucht, sehr offen mit dem Thema umzugehen. Durch die Flucht nach vorne konnte ich relativ schnell das Vertrauen der Schüler gewinnen“, berichtet Hurije über ihr Erfolgsgeheimnis.
Arbnesa konnte Mädchen mit Kopftuch beispielsweise gute Tipps geben, wie sie ihr Kopftuch befestigen, ohne die für den Turnunterricht gefährlichen Nadeln zu verwenden. Einmal dachten alle, ein Kind würde keine kurze Hose tragen wollen aus religiösen Gründen. Nach einem vertraulichen Gespräch mit Arbnesa stellte sich heraus, dass das Kind ein Problem mit seinem Körper hatte und die Weigerung am Turnunterricht teilzunehmen nichts mit radikaler Auslegung des Islam zu tun hatte. Diese Geschichten aus dem Schulbetrieb könnten der Beweis dafür sein, dass das Kopftuch bei Lehrkräften eine Integrationsfunktion erfüllen könnte und nicht – wie von Gegnern aus verschiedenen Lagern behauptet – das Gegenteil bewirkt.
Arbnesa unterrichtet seit drei Jahren Deutsch, Biologie und Turnen.
„Das Kopftuch gehört zu mir und wenn ich hier nicht in Ruhe leben kann, dann muss ich eben wegziehen“
Dem Horrorszenario für jede Lehrerin mit Kopftuch, nämlich ein verbindliches Verbot, sehen beide Frauen mit großer Sorge entgegen. Während Arbnesa seit Jahren darüber nachdenkt, was sie in diesem Fall machen würde, weiß Hurije ganz genau: „Wenn der Worst Case eintritt, müsste ich schweren Herzens mein Österreich verlassen.“ Ob das nicht zu radikal sei? „Nö, das Kopftuch gehört zu mir und wenn ich hier nicht in Ruhe leben kann, dann muss ich eben wegziehen“, sagt sie. Arbnesa tut sich jedenfalls mit dieser Entscheidung schwer, hat eine endgültige Entscheidung für den Fall der Fälle aber nicht getroffen.
Zurück zum Elternsprechtag jenseits der Donau. „Hurije, bitte mach schneller, die Schlange vor der Tür wird immer länger“, so die gestresste Direktorin, die selbst über den Andrang überrascht ist. Nach zwei Jahren an der Schule ist die gebürtige Mazedonierin, die mit zwölf Jahren nach Wien übersiedelte, bestens integriert. Kollegen outeten sich an ihrem vorerst letzten Arbeitstag: „Als du damals bei uns angefangen hast, haben wir uns gedacht, na super, des brauch ma a no“, so ein Kollege. Eine andere Kollegin kam an der Küche des Lehrerzimmers vorbei, wo Hurije mit anderen Lehrerinnen herumflachste und stellte verwundert fest: „Ich wollte dir das immer schon sagen, du bist ja ganz normal.“ Hurije hält kurz inne, ihre Mundwinkel formen langsam aber sicher ein breites Grinsen. Dann stellt sie zufrieden fest: „Das ist das beste Argument, das eine Hijabi bekommen kann.“
*Unsere Redaktion kooperiert mit biber – was wir bei JETZT ziemlich leiwand finden. Als einziges österreichisches Magazin berichtet biber direkt aus der multiethnischen Community heraus – und zeigt damit jene unbekannten, spannenden und scharfen Facetten Wiens, die bisher in keiner deutschsprachigen Zeitschrift zu sehen waren. biber lobt, attackiert, kritisiert, thematisiert. Denn biber ist "mit scharf". Für ihre Leserinnen und Leser ist biber nicht nur ein Nagetier. Es bedeutet auf türkisch "Pfefferoni" und auf serbokroatisch "Pfeffer" und hat so in allen Sprachen ihres Zielpublikums eine Bedeutung. Hier könnt ihr die aktuelle Ausgabe sehen.