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Das Hochdeutsche verdrängt den österreichischen Dialekt
Nicht nur, dass sie lecker sagen. Oder Tschüss. Sie sagen Sahne, Stuhl und Alter. Sie nennen die Burschen „Jungen“ und verweiblichen „die“ Cola. Aber das Schlimmste ist nicht was sie sagen, sondern wie. Österreichische Jugendliche sprechen. Deutsch. Bundesdeutsch. Deutschlanddeutsch. Doch sie wissen nicht, was sie tun. Ein Desaster. Eltern raufen sich die Haare und trauen ihren Ohren nicht. Verständlich. Das liebste Feindbild unterwandert das eigene Wohnzimmer. Die Germanisierung geschieht schneller als sie gucken können. Mütter und Väter versuchen dagegenzuhalten und üben die Zweisprachigkeit. „In Österreich heißt das immer noch Marille und Kartoffeln sind bei uns Erdäpfel!“, korrigiert Andrea ihren 12-jährigen Sohn mehr oder weniger geduldig. Der Wiener Dialekt ist ein Kulturgut, den es zu erhalten gilt, findet die Burgenländerin. Doch wenn es nur das Obst und Gemüse wäre.
Es ist vor allem die Aussprache. „Is’ so, Papa!“, kann Papa Jürgen schon bald nicht mehr von seinem 13-jährigen Sohn hören. Das „Norddeutsch“ seiner 10-jährigen Tochter macht Jürgen zusätzlich zu schaffen: „Flora, bitte, sag einfach „Nein“!“ - „Nee, Papa“, antwortet Flora. Es gibt jede Menge Beispiele.
Schuld sind auf jeden Fall die Medien. Sagen die Eltern, sagen die Experten, sagen die Kids. Das fängt schon bei Kinderbüchern oder Hör-CDs an. Was so harmlos anmutet, ist im Grunde der erste Grundstein für eine bundesdeutsche Infiltration. Denn der Großteil der Verlage sitzt und produziert in Norddeutschland. So werden auch österreichischen Kinderohren piefkenesische Ausdrücke wie etwa „Pipi machen“ eingeimpft. Deswegen dolmetscht die Steirerin Gabi synchron, wenn sie am Kinderbett sitzt und ihrem Jüngsten vorliest. „Ich lese ihm die Geschichten mit österreichischen Begriffen vor.“ So würde der 5-jährige Gabriel immerhin mit einem größeren Wortschatz aufwachsen. Den älteren Bruder kann sie nur erinnern, wenn der wiedermal „eine Zwei“ nach Hause gebracht hat. „Das sagen wir so nicht in Österreich. Das ist ein Zweier!“
Deutsch ist cooler
Und was sagen die Kids? Sie finden, sie reden normal. Und sind sich keinem Laster bewusst. Vor allem nicht, wenn ihre Eltern selbst nicht Österreicher sind. Wie bei Hassan. Der 16-Jährige hat ägyptische Wurzeln, lebt in Wien und ist überrascht, als ich ihn auf seine Sprache anspreche. Zusammen mit seinem Bruder gründet Hassan gerade einen YouTube-Channel. Was sie genau machen, erschließt sich mir nicht direkt, doch den Berlinerischen Akzent höre ich sofort heraus. Warum er so redet, frage ich ihn. „Es ist mir nicht bewusst. Aber, hm ja, es ist schon cooler von der Art.“ Hassans Meinung nach würde das „Deutschland-Deutsch“ besser klingen. Außerdem, er ahmt ja auch nur seine Vorbilder nach. Wie den YouTube-Star „KS Freak“. Der Steirer zählt mehr als 1,5 Million Klicks regelmäßig auf seinen Videos, begrüßt seine Fans mit „Servus“ und redet danach in glasklarem, bundesdeutschem Akzent in die Kamera.
Logo, wer richtigen Erfolg haben will, muss über die Bergwipfel schauen. Deutschland hat einfach den größeren Markt, das wissen Rapper wie Nazar und YouTuber wie KSFreak. Und passen sich dem Markt an. Ihre Attitüde wirkt sich auf die Konsumenten in Österreich aus. Die Wirkung der „Peers“, also der Gleichaltrigen, nennt das Sprachwissenschaftler Rudolf De Cillia der Universität Wien und erklärt mir, warum die Medien so eine große Macht besitzen. Er und sein Forschungsteam haben erst kürzlich eine Studie durchgeführt und darin herausgefunden, was Elternohren schon längst wissen. Die Kids, zwischen 14-18 Jahren, verwenden in der Tat immer häufiger „Deutschlandismen“ oder „Teutonismen“ als „Austrozismen“. Sie sagen also nicht nur „Jo, is’ klar, Mann!“, sondern auch „Januar“ statt „Jänner“ und „Pickel“ statt „Wimmerl“. Für De Cillia war das Ergebnis seiner Befragung von 1253 Schülern und 164 Lehrern gerade in diesem Punkt statistisch signifikant. Bei 30 Begriffen, die Schülern und Lehrern in Österreich vorgelegt wurden, fanden über 50 Prozent der Schüler sich mehr im Bundesdeutsch zu Hause. Sie trinken „eine Cola“, schreiben „eine Email“, und, was jedes Austroherz im Mark erschüttert: Der Bub ist zum Jungen mutiert.
Bundesdeutsch ist überheblich
Die Lehrer trifft hier ausnahmsweise keine Schuld. „Mit dem Kabelfernseher kommen die bundesdeutschen Sender in die Wohnzimmer. Wir haben die Schüler gefragt, welche Sender sie geschaut haben, als sie klein waren“, sagt De Cillia. Und? An erster Stelle kam KIKA, dann Super RTL und erst später ORF1. Je stärker ein Schüler mit deutschem Fernsehen groß wurde, umso stärker seine Neigung zu deutschen Ausdrucksweisen. Die 30-jährige Dudu kann davon ein Liedchen singen. „Mein Deutsch habe ich als Teenager von GZSZ und „Unter uns“ gelernt.“ Die Startup-Beraterin zog mit sieben Jahren mit ihrer Familie aus der Türkei nach Österreich. Genauer gesagt, sie zogen nach Amstetten. Inzwischen lebt Dudu in Wien, doch wer sie sprechen hört, hört weder einen türkischen, noch einen Wienerischen und schon gar keinen Mostviertler Dialekt. Man meint vielmehr, Dudu komme aus Deutschland.
„Viele sprechen mich darauf an. Früher empfand ich das meist positiv. Aber manchmal ist es schon blöd. Bei einem Bewerbungsgespräch fragte mich der Chef, warum ich so deutsches Deutsch rede.“ Ihre Erklärung, dass sie es nicht absichtlich mache, kam nicht so recht an. „Es stößt den Leuten negativ auf, weil sie das für nicht authentisch halten.“ Oder für überheblich? Immerhin, wenn eine Türkin auf „Superdeutsch“ macht, verwirrt das nicht nur, es irritiert auch: Will sie besser sein? Der ewige, österreichische Minderwertigkeitskomplex gegenüber dem großen, deutschen Bruder könnte hier zum Vorschein kommen. Eine Bekannte fand etwa: „Es klingt so, als möchte sie besser sein. Als wäre Dialektreden nur für Bauern.“
Und ein kleines bisschen ist das auch so. Für Dudu klingt das Bundesdeutsche ausgewählter und raffinierter. „Während des Studiums auf der WU habe ich die Wortmeldungen der deutschen Studenten viel intelligenter gefunden. Obwohl sie inhaltlich oft genau das Gleiche gesagt haben.“ Das hat Dudu bewundert. Für sie ist daher die Form, also wie man etwas sagt, gleichwertig mit dem Inhalt. In Deutschland würde man sich gewählter ausdrücken, das erlebt Dudu schon bei der Zeitungslektüre.
Oachkatzlschwoaf
Ist Sprache also Geschmacksache? Die Sprachliebhaberin Dudu kann ihren deutschen Akzent zwar nicht kontrollieren, aber den österreichischen Dialekt wies sie bewusst von sich. „Das Mostviertlerisch habe ich nie leiden können. Ich hatte eine innerliche Aversion dagegen. Vielleicht war es aber auch ein Schutzmechanismus.“ Weil Dudu im Schulhof den „Oachkatzlschwoaf“-Test der Mitschüler nicht bestand. Damit wurde sie als nicht-integriert enttarnt und tat folglich, was viele täten: Sie versuchte es erst gar nicht. Und sah auch keinen Anreiz. „Wie grässlich klingt Oachkatzlschwoaf denn bitte?“, lacht sie heute. Für ihr Hochdeutsch hingegen wurde sie von den Lehrern gelobt. Ein Erfolgserlebnis. „Solche Erlebnisse in der Jugend bleiben einfach hängen. Wenn du es gut machen willst, aber realisierst, so fließend wirst du nie Dialekt sprechen, dann denkst du: Spreche ich doch lieber perfektes Hochdeutsch.“ Und gerade in Amstetten wurde das als Leistung hoch angerechnet. Sie erinnert sich, dass eine österreichische Mitschülerin im Versuch Hochdeutsch zu sprechen klang wie eine Ausländerin.
Ist für Migrantenkinder Dialekt also schwerer zu erlernen? Sprachexperte De Cillia bejaht dies vorsichtig, erklärt es aber eher mit einer Generationsverschiebung. So sei der Dialekt bei Jugendlichen auch heute sehr wichtig, doch würden sie ihn am häufigsten mit den Großeltern sprechen, abgeschwächter mit den Eltern und eher selten untereinander. „Wenn Türkisch zu Hause gesprochen wird und die Bildungssprache Hochdeutsch ist, dann ist dies auch eine Tür zum schulischen Erfolg.“ Außerdem, nicht nur für Fremdsprachige sei Dialekt schwer, auch für Bundesdeutsche.
Dialekt ist für Bauern
Ja, Dialekt ist nicht leicht. Jürgen, der Papa, von dem anfangs die Rede war, weiß dies aus seinem Beruf. Er besitzt in Wien ein Tonstudio, Sprache ist sein Metier. Für deutsche Synchronsprecher von Stars wie Bruce Willis oder Richard Gere, die zwar durch ihre Wiedererkennbarkeit sehr beliebt sind, ist der österreichische Markt eine Herausforderung. Oft muss Jürgen ein Dialekt-Coaching geben. Es heißt etwa ÖstErreich, bläut er auch mir gleich ein, nicht „Östrreich“. Okay, merke ich mir. Aber was ist mit dem Vorwurf des „Bäuerlichen“ in der österreichischen Sprache? „Ich bin selbst im Dialekt aufgewachsen“, erzählt mir Jürgen, „aber es hieß natürlich oft: Rede nach der Schrift! Das ist das Feinere, das Gebildetere, so lernst du die Rechtschreibung leichter. In Österreich hat Sprache lang eine soziale Komponente gehabt: Diejenigen, die Dialekt sprechen, kommen vom Land und sind die Bauern.
So kommt im Angehör des "feinen" Bundesdeutsch nicht selten ein Komplex beim Österreicher auf und er reagiert empfindlich: "Red net wie a Piefke!" Umso schlimmer natürlich die Tatsache, dass die Jugend dieses Tabu ignoriert. Nicht nur, dass die Sprösslinge deutsche Fußballtrikots im eigenen Wohnzimmer tragen, nein, sie reden auch wie Mario Götze.
Immerhin, der Staat weiß um seinen Kulturauftrag. Die ORF-Kommentatoren und Moderatoren werden dementsprechend gecoacht. Andreas Heindl, Leiter der ORF-Schulungsabteilung, erzählt dazu im Kurier-Artikel: „Wir sehen uns als öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt verpflichtet, die österreichische Sprachvarietät zu pflegen. Es gibt viele Beschwerden, wenn zu viele Germanismen oder Anglizismen verwendet werden. Unsere Moderatoren sind dazu angehalten, gemäßigt Hochdeutsch zu reden.“ Was gemäßigtes Hochdeutsch ist, sei eine Frage der Zeit und Generation. Inzwischen ist es zum Beispiel kein Vergehen mehr, wenn sich ein Moderator im ORF mit "Tschüss" verabschiedet.
Bloß, welches Kind schaut heute noch ORF & Co, wenn es Netflix und YouTube gibt? Überhaupt, wachsende „Anglizismen“ sind ein ganz anderes Kapitel. Sprachexperte De Cillia sieht aber keinen Grund zur Panik. „Sprache ändert sich immer, von Generation zu Generation. Das Deutsch in Österreich wird sich ändern. Was ich eher für problematisch hielte, wäre, wenn die Österreicher ihre Sprache für falsch hielten.“ Und aus einem Minderwertigkeitskomplex heraus leiser würden. Stimmt. Also leiste ich meinen Integrationsbeitrag und halte mit meinem besten Österreichisch dagegen: Geh bitte, des wird scho passn.
Ab sofort kooperiert unsere Redaktion in unregelmäßigen Abständen mit biber – was wir bei JETZT ziemlich leiwand finden. Als einziges österreichisches Magazin berichtet biber direkt aus der multiethnischen Community heraus – und zeigt damit jene unbekannten, spannenden und scharfen Facetten Wiens, die bisher in keiner deutschsprachigen Zeitschrift zu sehen waren. biber lobt, attackiert, kritisiert, thematisiert. Denn biber ist "mit scharf". Für ihre Leserinnen und Leser ist biber nicht nur ein Nagetier. Es bedeutet auf türkisch "Pfefferoni" und auf serbokroatisch "Pfeffer" und hat so in allen Sprachen ihres Zielpublikums eine Bedeutung.
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