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Unsere Haare, unser Erbe

Jeanne Andela zeigt ihre Braids.
Foto: Ina Aydogan

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Haare sind politisch – zumindest für Schwarze Menschen. Hier erzählen sechs Afropäer:innen aus Wien von ihrer Beziehung zu ihren Haaren. 

„Mein Körper, meine Regeln“

Mercy Mercedes, 22

Style: „Faux-Locs“

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Mercy und ihre besonders langen "Faux-Locs".

Foto: Ina Aydogan

Für Mercy bedeutet „Haare machen“ Erholung vom Alltag. Die kreative KSA-Studentin (Kultur- und Sozialanthropologie) macht sich ihre Frisuren nämlich selbst. „Ich nehme mir einen ganzen Tag fürs Haaremachen Zeit. Wenn ich mir Braids oder Locs mache, habe ich dann dafür einen Monat Ruhe“, sagt die selbstständige Designerin mit österreichisch-kamerunischen Wurzeln. Mercy erinnert sich, dass sie als Kind lange und glatte Haare haben wollte. Einmal färbten sie und ihre Freund:innen ihre Haare sogar blond. „Es sah furchtbar aus“, erinnert sie sich. Mit 13 Jahren wusste die selbstbewusste Wienerin, dass sie dem westlichen Schönheitsideal nicht entsprechen möchte.

Welche Rolle spielen Haare in deinem Leben?

Mercy: Eine große Rolle. Die Faux-Locs, die ich auf den Fotos trage, habe ich selbst gemacht. Ich nehme mir Zeit für meine Haare.

Was sind schöne Haare für dich?

Meine Locken sind nach dem Waschen am schönsten. Früher wollte ich meine Haare immer glätten, ich habe einfach versucht, dem westlichen Schönheitsideal zu entsprechen. Meine Mom hat mir das zum Glück verboten! Es macht die Haare kaputt. So habe ich gelernt, meine eigenen Haare zu pflegen. Viele Schwarze wissen leider nicht, wie sie mit ihren natürlichen Haaren umgehen sollen, wenn sie erwachsen sind. Das ist schade. Unsere Haare sind so schön.

Wie findest du es, wenn weiße Menschen traditionell afrikanische Hairstyles tragen?

Ich bin meistens verwirrt. Es sieht oft nicht gut aus. Außerdem sind ihre Haare nicht für diese Hairstyles gemacht. Es gibt kein Verbot, das weißen Menschen diese Frisuren verwehrt. Aber warum müsst ihr sie tragen? Warum müsst ihr unsere Haare kopieren?

„Ich bin kein Fremdkörper“

Jeanne Andela, 21

Style: Braids

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Jeanne Andela zeigt ihre Braids.

Foto: Ina Aydogan

„Man hat immer den Druck, beweisen zu müssen, dass unsere Haare schön aussehen“, moniert Jeanne. Das junge Model hat sich aber von den Erwartungen der Gesellschaft nicht unterkriegen lassen. Mit 14 schnitt sie sich ihre Haarspitzen ab. Sie waren durch das Relaxen kaputtgegangen und hatten sich verfärbt. „Es gab sehr wenig Lob dafür. Heute beneiden mich viele für meine gesunden, natürlichen Afrohaare“, berichtet sie stolz. Jeanne hat kamerunische Wurzeln und fühlt sich nicht wohl dabei, weißen und anderen Nicht-Schwarzen Personen Frage und Antwort zu stehen, wenn es um ihre Haare geht. Das Mysterium um ihre Haare empfindet sie als unerwünschte Exotisierung. Das Model ergänzt: „Man wird – von allen – als Fremdkörper in dieser Welt gesehen.“ Für uns hat sie eine Ausnahme gemacht. Danke, Jeanne!

Welche Rolle spielen Haare in deinem Leben?

JeanneEine große, auf jeden Fall! Die Frisuren, die ich trage, geben mir ein Gefühl von Sicherheit

Was sind schöne Haare für dich?

Wenn ich an schöne Haare denke, dann an langes, glattes europäisches Haar. Es ist das gesellschaftliche Schönheitsideal. Das heißt nicht, dass ich unsere Afrohaare nicht schön finde.

Wie findest du es, wenn weiße Menschen traditionell afrikanische Hairstyles tragen?

Wenn es keine Person des öffentlichen Lebens ist, ist es mir egal. Die Machtstrukturen müssen hinterfragt werden, wenn eine bekannte Person unsere Hairstyles trägt. Die Frisuren werden oft falsch benannt und dann populär. Zum Beispiel „Kim Kardashian Braids“ oder „Boxer Braids“.

Keine Haare, kein Problem

Eliob, 26

Style: „Short Buzz Cut“

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Eliob trägt einen sogenannten "Short Buzz Cut".

Foto: Ina Aydogan

Eliob trägt seinen „Short Buzz Cut“ gerne in bunten Farben, wie pink, blau oder blond. Die Frage, womit das Vangardist-Model „Haarewaschen“ verbindet, beantwortet er knapp: „Mit Duschgel!“ (lacht). „Ich habe kurze Haare. Weiße Menschen fühlen sich trotzdem dazu berechtigt, meinen Kopf einfach anzufassen. Wenn das ungefragt passiert, ist es ein Eingriff in meine Privatsphäre“, erklärt er.

Welche Rolle spielen Haare in deinem Leben?

EliobMit kurzen Haaren ist es einfach. Ich muss nicht viel Zeit in Pflege und Look investieren. Trotzdem denke ich, dass Haare im Leben von Schwarzen Menschen generell eine größere Rolle spielen als bei weißen.

Was sind schöne Haare für dich?

Wenn ich an Menschen mit „schönen Haaren“ denke, dann an weiße Models mit langen, lockigen Haaren. Wie aus der Werbung. Ich hasse das.

Wie findest du es, wenn weiße Menschen traditionell afrikanische Hairstyles tragen?

Mein erster Gedanke ist: Oida, scheiße, das steht dir nicht! Und mein zweiter: Warum kannst du die Haare tragen und hast gleichzeitig dieselben Privilegien als weiße Person, die ein Schwarzer Mensch nicht hat. Du kannst diesen Hairstyle tragen, weil du ihn cool findest. Ohne Konsequenzen in deinem Alltag.

„Keiner traut sich, meine Haare anzufassen“

Kevin Anthony, 24

Style: „Wash And Go“

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Kevin und sein "Wash And Go"-Style

Foto: Ina Aydogan

Kevin trägt gerne Twists, Cornrows oder wie bei unserem Shooting seine natürlichen Haare. Es dauert 20 Minuten, bis seine Locken nach dem Waschen so aussehen, wie er es am liebsten hätte. „Menschen kommen auf mich zu und fassen, ohne zu fragen, meine Haare an. Sie wissen nicht, wie viel Arbeit dahintersteckt. Für mich ist das ein persönlicher Angriff“, ärgert sich Kevin über die anonymen Fummler, die wohl jeder Schwarze Mensch in Österreich kennt. Das Model mit togolesischen Wurzeln findet seine Haare besonders schön, wenn sie „relaxt“ sind. 

Welche Rolle spielen Haare in deinem Leben?

Kevin: Sie machen meinen ganzen Look aus.

Was sind schöne Haare für dich?

Ich denke an braune, definierte Locken. Nicht meine natürlichen Locken. Ich finde meine Haare schöner, wenn sie relaxt sind.

Wie findest du es, wenn weiße Menschen traditionell afrikanische Hairstyles tragen?

Wenn die Haare zum Style und Auftreten der Person passen, find ich es in Ordnung. Wenn weiße Menschen mit diesen Haaren versuchen, „afrikanischer“ zu sein als Afrikaner selbst, verstehe ich es nicht. Mit Afrika-Kette, Braids und Goa-Hosen. So ziehen sich Schwarze nicht an.

Keine Zeit für Drama

Moumi Awudu, 23

Style: „Low Puff“

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Moumi rockt ihren "Low Puff".

Foto: Ina Aydogan

Die viel beschäftigte Jus-Studentin Moumi verbindet den Prozess des „Haare machens“ mit Stress. Ihre Lieblingsfrisur („Braids“) lässt sie sich deswegen immer von einer professionellen Hairstylistin zuhause machen. „Ich muss einen Termin finden, die Haare waschen, sie trocknen und „detanglen“. Als ich im Kindergarten war, hat mir eine Betreuerin einmal gesagt, ich solle meine Haare schneiden. Ich würde aussehen, wie ein Klobesen“, denkt die Studentin mit ghanaischen Wurzeln zurück. Das kam für die junge Schmuckverkäuferin schon damals nicht in Frage.

Welche Rolle spielen Haare in deinem Leben?

Moumi: Meine Haare sind mir sehr wichtig. Sie machen mich und mein Aussehen aus. Ich fühle mich gut, wenn sie im Puff oder Braids sind.

Was sind schöne Haare für dich?

Ein voller Afro. Viele Haare, egal welche Haarstruktur.

Wie findest du es, wenn weiße Menschen traditionell afrikanische Hairstyles tragen?

Ich denke, dass es an Schwarzen Menschen besser und authentischer aussieht. Aber ich freue mich, wenn eine Schwester am „Haare machen“ der weißen Person verdient hat.

Wie Surferboys wirklich aussehen

Yves Jambo, 25

Style: „Afro“

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Yves ist stolz auf seinen Afro.

Foto: Ina Aydogan

Yves hat vor Kurzem einen „Black Hair Workshop“ besucht. Erst mit 25 Jahren hat er dort Nützliches zu seinem Afro gelernt. Zum Beispiel, dass seine Haare kürzer aussehen, als sie es sind. Dieses Phänomen heißt „Shrinkage“. Je stärker die Afrohaare beim Kämmen in ihre ursprüngliche Form zurückgehen, desto gesünder sind sie. Früher hat der Youtuber nicht darauf geachtet, welches Shampoo oder welchen Conditioner er für seinen Afro benutzt. Heute weiß Yves, dessen Wurzeln in Rwanda liegen, dass seine Locken eine besondere Behandlung und viel Aufmerksamkeit brauchen. „Das ,Haarewaschen‘ bedeutet für mich, mir einen ganzen Tag Zeit zu nehmen. Und wenn meine Haare nass sind, vor allem nach dem Schwimmen, sehe ich, wie Surfer-Boys in Wirklichkeit aussehen sollten“, erzählt Yves augenzwinkernd in Anspielung an die stereotypisch glatten, blonden Haare der 08/15-Surfer.

 Welche Rolle spielen Haare in deinem Leben?

Yves: Seit ich Schauspieler bin, sind sie mir wichtiger geworden. Ich weiß jetzt, welche unterschiedlichen Frisuren ich für welche Rollen machen kann.

Was sind schöne Haare für dich?

Meine Haare!

Wie findest du es, wenn weiße Menschen traditionell afrikanische Hairstyles tragen?

Ich finde es unnötig. Weiße Menschen verstehen oft nicht, dass gewisse Räume und Praktiken nicht für sie geschaffen sind. Das gilt auch für Hairstyles. Deswegen sage ich bei weißen Leuten bewusst „Dreadlocks“. Bei Schwarzen sage ich Locs. „Dreadful“ bedeutet nämlich furchtbar. Und historisch ist diese Bezeichnung der Haare rassistisch geprägt.

*Unsere Redaktion kooperiert mit biber  –  was wir bei JETZT ziemlich leiwand finden. Als einziges österreichisches Magazin berichtet biber direkt aus der multiethnischen Community heraus – und zeigt damit jene unbekannten, spannenden und scharfen Facetten Wiens, die bisher in keiner deutschsprachigen Zeitschrift zu sehen waren. biber lobt, attackiert, kritisiert, thematisiert. Denn biber ist "mit scharf". Für  ihre Leserinnen und Leser ist biber nicht nur ein Nagetier. Es bedeutet auf türkisch "Pfefferoni" und auf serbokroatisch "Pfeffer" und hat so in allen Sprachen ihres Zielpublikums eine Bedeutung.

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