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Mein Danebenjob als Pfleger

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Nach meinem Zivildienst in der Behindertenpflege habe ich 1998 eine Zeitlang die Betreuung für Christian übernommen, einen notorischen Kiffer, der damals im Rollstuhl saß. Wie jeden morgen bin ich an einem Tag im Januar pünktlich aufgestanden, habe geduscht und wollte vor Dienstbeginn Brötchen für uns beide holen, weil wir immer gemeinsam gefrühstückt haben. Der Bäcker war direkt vor Christians Haustür in Köln-Kalk, einem Bezirk mit hoher Kriminalitätsrate. Ich also rein in die Bäckerei und Zeitung und Brötchen gekauft. Doch als ich wieder raus wollte, stand plötzlich ein Streifenwagen direkt vor der Ladentür. Ich war zwar ein bisschen verwundert, habe mir aber erst nichts weiter dabei gedacht, denn Polizeiautos sah man in der Gegend sehr häufig.

Als ich beim Verlassen der Bäckerei am Streifenwagen vorbei wollte, stiegen jedoch zwei Bullen aus und forderten mich auf, mich auszuweisen. Als ich nach dem Grund dafür fragte, wurde ich mit einem „Allgemeine Personenkontrolle!“ heruntergebügelt. Dann haben die sich meinen Ausweis geschnappt, sich wieder in den Wagen gesetzt und mich draußen unwissend stehen lassen. Die saßen bestimmt zehn Minuten in der Karre, es war Mitte Januar, arschkalt, und ich hatte bloß einen Pullover an – schließlich konnte ich nicht damit rechnen, von der Polizei beim Brötchenholen aufgehalten zu werden.  

Irgendwann stieß ein Motorrad-Bulle dazu, Typ John Wayne. Der kam direkt mit den Worten auf mich zu: „Sie wissen ja, weshalb wir Sie hier festhalten. Wir nehmen Sie jetzt mit.“ Als ich entgegnete, dass ich überhaupt nicht wisse, was los sei, meinte er nur: „Jajaja, nun tun Sie mal nicht so unschuldig!“

Als dann die anderen Polizisten aus dem Auto stiegen, wurde ich doch noch aufgeklärt, warum ich festgehalten wurde: Ich hätte angeblich eine alte Frau überfallen und ihr das Portemonnaie mit 500 Mark entwendet. Ich bin fast vom Glauben abgefallen. Vehement habe ich meine Unschuld beteuert. Ohne Erfolg. Meine Einwände wurden komplett ignoriert, stattdessen erklärte man mir, ich müsse mit auf die Wache kommen, damit ein Protokoll aufgenommen werden könne. Ich wusste wirklich nicht, ob ich weinen oder lachen sollte. Ich wusste von nichts, musste mich meinem Schicksal aber wohl oder übel fügen. Allerdings: Christian wartete immer noch auf mich und die Brötchen. Er machte sich vermutlich schon Sorgen. Ich bat also darum, kurz bei ihm klingeln zu dürfen, seine Wohnung war schließlich bloß ein paar Meter entfernt. Das verwehrte mir der Motorrad-Bulle. Stattdessen bot er mir an, ihn kurz anzurufen. Ich gab ihm also die Nummer, er rief an und sagte: „Guten Tag, Wachtmeister XY hier, ich wollte Ihnen nur kurz mitteilen, ihr Pfleger kommt mit den Brötchen nicht mehr zu Ihnen“ Und legte auf. Keine Erklärung. Keine weiteren Informationen. Nichts!  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Im Nachhinein hat Christian mir erzählt, dass er zu dem Zeitpunkt gerade seine Jahresration Gras auf dem Wohnzimmertisch ausgebreitet hatte. Nach dem Anruf bekam er totale Panik und spülte das ganze Zeug das Klo hinunter - Gras im Wert von einigen hundert Mark.

Währenddessen wurde ich zur Polizeiwache gebracht, wo ich, nachdem man mir alle persönlichen Gegenstände abgenommen hatte, in einen Warteraum gesetzt wurde. Auch mein Portemonnaie wurde mir abgenommen, in dem sich dummerweise ein paar Dinge befanden, die den Tatverdacht gegen mich erhärteten. Erstens hatte ich zwei Personalausweise dabei. Auf dem einen war ich mit kurzen Haaren zu sehen, auf dem anderen mit langen Haaren und Bart. Der Grund: Ich dachte, ich hätte meinen alten Personalausweis verloren, hatte daher einen neuen beantragt und den alten zwischenzeitlich wiedergefunden. Im Laufe der Zeit hatte sich eben auch meine Frisur verändert. Zweitens befand sich natürlich auch Geld im Portemonnaie – zufällig exakt 500 DM. Die hatte ich dabei, weil ich am Wochenende zuvor shoppen gehen wollte. Dazu war ich aber nicht gekommen, sodass ich die Kohle immer noch mit mir herumgetragen habe. Sehr verdächtig!  

Das habe ich selbstverständlich auch den Beamten mitgeteilt, wirklich glaubwürdig erschien ihnen diese Erklärung aber nicht. Stattdessen haben sie meine Fingerabdrücke genommen und ein typisches Verbrecherfahndungsfoto von mir gemacht, so eins mit Inhaftierungsnummer. In der Zwischenzeit habe ich auch erfahren, wie die Fahndungsmeldung lautete: Sie suchten nach einem Junkie-ähnlichen Typen mit blonden Haaren und Lederhose. Ich weiß zwar nicht, ob ich tatsächlich wie ein Junkie aussah, aber blonde Haare hatte ich. Und in der Tat: Auch eine schwarze Lederhose hatte ich an. Man muss dazu sagen, dass Köln-Kalk einen sehr hohen Ausländeranteil hat. Ein blonder Typ mit Lederhose fällt da durchaus auf. Pech für mich.

Danach bin ich in das Büro eines anderen Polizisten gekommen, der mich mit den freundlichen Worten in Empfang nahm: „Ist besser, wenn Sie gestehen.“ Der hat mit einer unnachahmlichen Zwei-Finger-Tipp-Technik dann mein Protokoll aufgenommen. Nachdem ich zwischenzeitlich erfahren hatte, dass der Überfall auf die alte Frau ganze zehn Kilometer von der Bäckerei entfernt stattgefunden hatte, in der ich aufgegriffen wurde, ist mir dann doch irgendwann der Kragen geplatzt und ich schrie: „Ich bin fünf Minuten nach der Tat frisch geduscht und mit einem Ruhepuls von 45 und mit einer Tüte Brötchen vor einer Bäckerei aufgegriffen worden – zehn Kilometer vom Tatort entfernt. Mal ganz ehrlich: Das glauben Sie doch selbst nicht!“  

Der Beamte hat sich durch meine Einwände jedoch nicht beirren lassen, sein Protokoll weiter abgetippt und mir im Anschluss daran eine Fotokartei gezeigt. Er erklärte mir, dass die überfallene Frau 85 Jahre alt sei, unter Schock stünde und im Krankenhaus sei. Eine Gegenüberstellung sei ihr aus gesundheitlichen Gründen nicht zuzumuten. Stattdessen sollten ihr Fotos von Tatverdächtigen vorgelegt werden, anhand derer ich gegebenenfalls als Täter ausgeschlossen werden könnte. Das Dumme war nur: In dieser Fotokartei waren bloß Südländer, Schwarze – und ich! Die Wahrscheinlichkeit, dass eine 85-jährige Frau unter Schock nicht mit dem Finger auf mich zeigt, habe ich bei etwa null Prozent gesehen. Ich dachte echt: Das war es jetzt. Die stecken mich in den Knast.  

Ich habe dann aber doch meine Sachen (inklusive der Brötchen) wiederbekommen und durfte fürs Erste gehen. Nachdem ich einen Monat lang nichts mehr von der Polizei gehört hatte, habe ich dann mal auf der Wache angerufen und mich nach dem Stand der Dinge erkundigt. Dort wurde mir mitgeteilt, dass ich eindeutig als Täter ausgeschlossen werden könne und das Verfahren gegen mich eingestellt sei. Und das grenzt wirklich an ein Wunder, denn die haben der alten Frau tatsächlich die erwähnten Fotos vorgelegt. Offensichtlich sah ich zumindest in ihren Augen nicht wie der gesuchte Junkie aus.

Text: daniel-schieferdecker - Illustration: Katharina Bitzl

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