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Corona-Infektion: Wie kommt man als WG gut durch die Quarantäne?
Sechs Jahre lang hat Leo* in seiner Fünfer-WG in München gelebt. Er ist 30 Jahre alt und würde seine WG nicht als Zweck-WG beschreiben. Schwierig wurde es, als Leo sich bei einem Familienfest mit Corona infizierte und die Infektion in seine WG trug. „Ich hatte am Abend nach der Feier schon leichte Schnupfensymptome, trotzdem haben wir noch alle zusammen ohne Maske in der Küche ein Bier getrunken“, erzählt er im Interview. Sein Corona-Testergebnis am nächsten Tag war positiv – zusätzlich hatte er all seine Mitbewohner*innen angesteckt. Zwar hatte niemand einen schweren Krankheitsverlauf, doch die zweiwöchige Quarantäne verlief chaotisch und ohne Absprachen. Wie kommt man als Wohngemeinschaft, auf beengtem Raum und mit wenig Rückzugsmöglichkeiten, gut durch solche Zeiten?
In Leos WG lief die Quarantäne alles andere als geordnet ab. „Es war nicht möglich, alles immer sofort zu desinfizieren, wie wir es eigentlich laut Gesundheitsamt machen sollten. Wir lebten auf engstem Raum zusammen, jede*r hatte zwar sein eigenes Zimmer, aber die Küche und das Bad teilten wir uns alle gemeinsam.“ Eine*r der Mitbewohner*innen habe Regeln aufgestellt: Alle sollten immer eine Maske tragen und die Küche nur einzeln betreten. „Diese Regeln sind aber nur selten eingehalten worden“, so Leo.
Junge Menschen haben oft keine Symptome und geben das Virus dadurch unbemerkt weiter
Viele junge Menschen in Deutschland leben wie Leo in einer WG. 2018 waren es dem Zentrum für Hochschulentwicklung zufolge ein knappes Drittel der 150 000 Studierenden. Jetzt, in Zeiten der Online-Uni, wohnen zwar mehr junge Menschen wieder oder noch bei ihren Eltern, doch längst nicht alle. Aber verbreitet sich das Virus in Wohngemeinschaften besonders oft? Laut der Heinsberg- Studie ist das Risiko, sich im eigenen Haushalt mit Corona anzustecken, nicht so hoch wie erwartet. Die Forschenden fanden heraus: Das Infektionsrisiko sinkt sogar, je größer der Haushalt ist. In einem Vier-Personen-Haushalt liegt die Wahrscheinlichkeit, sich anzustecken, bei nur 18 Prozent, in einem Zwei-Personen-Haushalt bei 44 Prozent. Die Ursachen dafür sind bis jetzt noch nicht erforscht. Die Studie wurde allerdings noch ohne Peer-Review, also ohne, dass unabhängige Forschende die Studie begutachtet haben, veröffentlicht. Laut einer US-amerikanische Metastudie, die im Dezember des vergangenen Jahres veröffentlicht wurde, ist davon auszugehen, dass durchschnittlich knapp 17 Prozent der Ansteckungen in Haushalten stattfinden – da werden aber natürlich Familien-Wohngemeinschaften mitgerechnet.
Im Gegensatz zu einer Familie, die sich einen Haushalt teilt, sind die Bewohner*innen von WGs meist junge Erwachsene, die üblicherweise viele soziale Kontakte haben. Außerdem erkranken Jüngere oft nicht, wenn sie infiziert sind. Das Risiko, das Virus nach Hause zu bringen und an Mitbewohner*innen weiterzugeben, die es ihrerseits weitertragen, ohne es zu bemerken, ist dadurch groß.
Sara* ist 21 Jahre alt und wohnt gerade wegen eines Praktikums in einer Sechser-WG in München. Eigentlich studiert sie Medienwissenschaften. Als ihre Mitbewohnerin Mia* sich mit dem Virus infizierte, steckte sie ihre Mitbewohner*innen nicht an. Sara erzählt: „Meine Mitbewohnerin Mia fühlte sich plötzlich krank und ließ sich auf Corona testen. Am Abend davor saßen wir alle zwei Stunden lang ohne Masken zusammen und haben einen Film angeschaut.“ Das Ergebnis: positiv. „Wir hatten daraufhin alle Panik“, erzählt Sara im Telefoninterview. Alle sechs Bewohner*innen der WG wurden nach dem positiven Test von Mitbewohnerin Mia einige Tage später vom Gesundheitsamt unter eine zweiwöchige Quarantäne gestellt.
In vielen WGs ist die Umsetzung der Regeln nur eingeschränkt möglich
Das Gesundheitsministerium informierte sowohl Saras als auch Leos WG dazu, wie sie sich in der Quarantäne richtig zu verhalten haben: Isolation der Infizierten, Abstand, Maske und die Wohnung regelmäßig desinfizieren. Das Amt zeigt aber auch Verständnis dafür, dass es schwer ist, die Regeln innerhalb einer WG einzuhalten. „In vielen WGs ist die Umsetzung der Regeln nur eingeschränkt möglich. Es gibt oft wenig Rückzugsmöglichkeiten oder zusätzliche Räume, keinen großen Garten und selten ein zweites Badezimmer,“ teilt das Bezirksamt Berlin-Mitte auf Anfrage von jetzt schriftlich mit.
Auch Saras WG fiel es schwer, Regeln aufzustellen und diese einzuhalten. Mia sollte zwar in ihrem Zimmer bleiben, um die anderen zu schützen, aber um sich Essen zu kochen, ging sie manchmal in die Küche – und traf da immer wieder auf die anderen. „In einer WG treffen oft Menschen mit sehr verschiedenen Sichtweisen aufeinander. Sich auf Regeln zu einigen und die durchzuziehen, ist deswegen extrem schwierig“, so Sara.
Marlene Altenmüller, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der LMU München im Lehrstuhl Sozialpsychologie, sagt, dass Regeln besonders wichtig seien, um gemeinsam gut durch die Quarantäne zu kommen. Am besten sollten sie von allen Beteiligten gemeinsam festgelegt werden. „Außerdem sollte allen klar sein, warum man was ab jetzt wie macht. Nur so kann ein gemeinsames Verständnis der Situation erreicht werden.“ Besonders gut sei es, die Regeln zu verschriftlichen, für alle sichtbar aufzuhängen und vielleicht sogar alle unterschreiben zu lassen.
„Zwei der sechs Mitbewohner*innen hatten überhaupt keine Lust auf die Quarantäne“
Doch das hilft nichts, wenn sich nicht alle an Regeln halten wollen, wie in Saras Wohngemeinschaft: „Zwei der sechs Mitbewohner*innen hatten überhaupt keine Lust auf die Quarantäne“, erzählt Sara. Sie widersetzten sich den Auflagen des Gesundheitsamts und flohen aus der WG. Für die zwei Wochen kamen sie bei Freund*innen unter. „Ich habe mich nicht wohlgefühlt mit dem Wissen: Die beiden turnen jetzt draußen rum, obwohl es verboten ist. Ich finde das sehr unverantwortlich, habe aber meine Klappe gehalten, um einen großen Streit zu umgehen“, so Sara.
Dabei betont Sozialpsychologin Marlene Altenmüller, dass Kommunikation in solchen angespannten Situationen besonders wichtig sei. „Die Quarantäne wirkt auf viele erstmal wie eine von außen aufgezwungene Maßnahme und weckt damit Reaktanz, also einen inneren Widerstand, der dann in Saras WG dazu geführt haben könnte, dass die beiden Männer kurzerhand aus der WG geflohen sind.“
Die infizierte Person tut sich oft besonders schwer, mit der Situation umzugehen – sie hat das Virus schließlich eingeschleppt. Mia, Saras infizierte Mitbewohnerin, plagten starke Schuldgefühle. „Sie hatte ein super schlechtes Gewissen uns gegenüber“, erzählt Sara. Auch Leo hatte Schuldgefühle. „Zum Glück hatten alle milde Verläufe. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie ich mich gefühlt hätte, wäre eine*r meiner Mitbewohner*innen sehr schwer krank geworden.“
Marlene Altenmüller betont, dass Schuldgefühle eine ganz normale Reaktion seien. „Wichtig ist aber dann, das Gespräch zu suchen.“ Altenmüller erklärt auch, dass es für die Mitisolierten wichtig sei, empathisch und nachsichtig gegenüber der Person mit Schuldgefühlen zu handeln. „Für das Miteinander ist es außerdem gut, den Blick nach vorne zu richten und sich darauf zu konzentrieren, wie es jetzt weitergeht: Wie kann die Zeit der Quarantäne gut überstanden werden? Welche Absprachen braucht es, damit es allen gut geht?“ Zumindest das klappte in Saras WG gut, erzählt sie. Selbst als die Nerven blank lagen, hatten die Studentin und ihre Mitbewohner*innen einen fixen Plan: „Nach der Quarantäne gehen wir alle zusammen im Park ein Bierchen trinken.“
*Die Protagonist*innen möchten anonym bleiben. Die echten Namen sind aber der Redaktion bekannt.