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„Wir wollen so bekannt werden wie die 110“

Foto: Adobe Stock; Illustration: jetzt

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Die Corona-Pandemie und die damit einhergehenden Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen treffen auch Kinder und Jugendliche hart. In der Schule muss Mindestabstand eingehalten werden, derzeit sind Sport- und Freizeiteinrichtungen geschlossen, auch nach der Schule dürfen Freund*innen nur noch begrenzt getroffen werden. Das belastet viele. An diese Jugendlichen richtet sich ein Angebot, das drei Abiturienten aus Berlin zu Beginn der Corona-Pandemie gegründet haben: der Krisenchat. Das Prinzip ist einfach und ziemlich erfolgreich: Über Whatsapp können sich junge Menschen bis 25 an Psycholog*innen oder andere Expert*innen wenden und von ihren Sorgen und Problemen erzählen. Was an etablierte Programme wie das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ erinnert, ist an die junge Zielgruppe vor allem durch das Chat-Format angepasst. „Wir wollten ein zeitgemäßes Angebot“, sagt Kai Lanz, einer der Gründer, im Video-Telefonat. „Viele junge Menschen haben große Probleme, aber sie trauen sich nicht zu telefonieren oder können es vielleicht in ihrer Situation auch nicht.“ Diese Lücke schließe das Angebot. Es ist niederschwellig und allen vertraut. 

Wieso ist dieses Angebot notwendig? Bei dieser Frage lehnt Kai sich zurück und überlegt sich seine Antwort genau. Was er sagt, ist ihm wichtig: „Es geht darum, Kinder und Jugendliche zu ermutigen, sich wirklich Hilfe zu holen..“ Dann erzählt der 19-Jährige, dass eine Influencerin den Krisenchat vor ein paar Wochen auf Tiktok empfohlen hat. Daraufhin meldeten sich viele junge Menschen auf einmal und berichteten von ihren Problemen. Bei der anonymisierten Auswertung dieser Chats wurde klar: „42 Prozent der Menschen, die sich da gemeldet haben, haben gesagt, dass sie noch nie mit jemandem über das Problem gesprochen haben“, sagt Kai. Er und seine Mitgründer hoffen, dass sich durch den Krisenchat mehr junge Menschen trauen, über Probleme und psychische Belastungen zu sprechen. 

krisenchat text

Die drei Gründer kennen sich aus der Schule.

Foto: Privat

Kai war mit seinen beiden Mitgründern, Julius de Gruyter (19) und Jan Wilhelm (18), auf dem Berliner Canisius-Kolleg. Gemeinsam gründeten sie noch zu Schulzeiten die Anti-Mobbing-App „Exclamo“ (lat.: ich rufe aus). Mit dieser wollen sie Betroffenen helfen und Täter*innen zum Nachdenken anzuregen. Denn für viele sei die Hemmschwelle zu hoch, sich bei Mobbing Hilfe zu holen, sagt Kai. Mit psychischen oder familiären Problemen sei es oft ähnlich. „Die Probleme der Jugendlichen wurden durch die Pandemie verstärkt. Dagegen wollten wir etwas tun.“ Seit mehr als sechs Monaten ist das Angebot nun durchgehend online. 6500 Beratungen bei 3200 Personen haben die Berater*innen bis jetzt durchgeführt, einige melden sich mehrmals. 

Die Betroffenen schreiben bei Liebeskummer oder Streit genauso wie bei massiven Problemen wie häuslicher Gewalt

Das Prinzip ist einfach: Jemand schreibt eine Nachricht – die landet dann per Zufallsprinzip bei einem Experten oder einer Expertin, die im Chat antwortet, etwa 150 sind es mittlerweile. Die meisten Krisenberater*innen sind Kinder- und Jugendpsychotherapeut*innen, Psychotherapeut*innen, Erzieher*innen oder Sozialpädagog*innen. Sie alle haben Erfahrungen in der Krisenberatung. „Am Anfang war es nicht so leicht, Expert*innen zu finden“, sagt Kai. „Erst einmal haben wir versucht, Menschen, die wir kennen und die in den betreffenden Bereichen arbeiten, direkt zu rekrutieren. Mit der Zeit, hat sich die Idee verbreitet, unter anderem durch Medienberichte, und es haben sich auch von sich aus Menschen bei uns gemeldet.“ Die Berater*innen sitzen unter anderem auch in Japan, den USA, Kanada, Thailand. Alle Expert*innen werden geschult: „Wir haben dafür ein Handbuch, ein Starter-Training und zwei Workshops“, sagt Kai. Derzeit verdienen die drei Gründer mit dem Krisenchat noch kein Geld. Finanziert wird das Projekt unter anderem von verschiedenen Unternehmen, zum Beispiel einer Krankenkasse. Außerdem startete jetzt eine Crowdfunding-Kampagne. 

Die meisten, die das Angebot nutzen, sind zwischen 15 und 19 Jahren alt, sehr wenige sind älter als 21 oder jünger als zwölf Jahre. Ihre Probleme sind vielfältig und haben nicht immer direkt mit der Pandemie zu tun. „Ich denke aber, dass Corona bei vielen als Verstärker ihrer Probleme wirkt. Und ich denke, dass es ein Angebot wie Krisenchat auch noch genauso nach der Corona-Krise braucht“, sagt Kai. Die Betroffenen schreiben bei Liebeskummer oder Streit genauso wie bei massiven Problemen wie häuslicher Gewalt, Suizidgedanken und Alkohol- und Drogenproblemen. Individuell entscheiden die Berater*innen, wann eine Person an eine spezialisierte Stelle weitergeleitet wird oder sogar die Polizei verständigt wird. 

Seit dem Start des Programms nutzen jeden Monat mehr junge Menschen den Krisenchat. Kai ist überzeugt, dass er weiter wachsen wird – und hat einen Traum: „Wir wollen so bekannt werden wie die 110“, sagt er. Denn je mehr junge Menschen über ihre Probleme sprechen, so der Gründer, desto besser. 

 

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