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Eine Expertin über Argumente gegen das Impfen – und wie man sie sachlich entkräftet
Nur noch langsam steigt seit Wochen die Impfquote in Deutschland an. Das liegt auch daran, dass sich bisher relativ wenige Jüngere impfen lassen. Immer wieder hört man Argumente gegen das Impfen, auch abseits von Verschwörungsmythen: Kaum Privilegien, geringerer Schutz gegen Varianten, keine Lust, zwei Tage flach zu liegen. Was hat man eigentlich davon, sich jetzt noch impfen zu lassen? Sarah Eitze sagt: sehr viel. Sie ist Expertin für Gesundheitskommunikation und erforscht an der Universität Erfurt seit Beginn der Pandemie das Impfverhalten. Wir haben sie mit den Hauptargumenten gegen das Impfen konfrontiert.
Sarah Eitze ist Expertin für Gesundheitskommunikation und erforscht an der Universität Erfurt seit Beginn der Pandemie das Impfverhalten – im Rahmen des Cosmo-Projekts, das gemeinsam mit dem Robert Koch-Institut und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung durchgeführt wird.
jetzt: Ich komme gerade von meiner zweiten Impfung. Mein Arm tut ein bisschen weh und wenn ich an meine erste Impfung denke, habe ich keine große Lust auf eine Nacht mit Gliederschmerzen, die mir vielleicht jetzt wieder bevorsteht. Sollte ich das Leuten gegenüber, die skeptisch sind, lieber für mich behalten?
Sarah Eitze: Sie sollten das teilen und ehrlich sein. Wenn Sie aber noch dazu sagen möchten, dass Sie sich dafür jetzt auch sicherer fühlen und alles getan haben, um den eigenen Beitrag gegen die Pandemie zu leisten, wäre es noch besser.
Warum impfen lassen, wenn die Impfung vielleicht schon gegen die nächste Variante nicht mehr hilft?
Der Impfschutz ist auch gegen die neuen Varianten weiterhin stark. Aber eben offenbar nicht mehr so stark wie gegen die Varianten davor. Wer pessimistisch veranlagt ist, könnte sagen: Warum impfen lassen, wenn die Impfung vielleicht schon gegen die nächste Variante nicht mehr hilft?
Wir sehen in aktuellen Studien, dass auch mit der Delta-Variante ein guter Impfschutz besteht. Fest steht: Sollte man sich infizieren, gibt es für geimpfte Menschen mildere Verläufe. Man kommt mit geringerer Wahrscheinlichkeit ins Krankenhaus und steckt andere weniger oft an.
Wenn ich mich nicht impfen lasse, kann ich aktuell genauso in den Supermarkt, das Restaurant, die Lieblingsbar wie Geimpfte. Eine Impfung bringt mir selbst kaum Privilegien.
Einen konkreten Vorteil gibt es schon jetzt. Wenn man Kontakt mit Infizierten hatte, sind die Quarantäneregeln weniger strikt. Und: Da ich selbst eine Person bin, die schon in Quarantäne war, würde ich jederzeit zwei Impfungen auf mich nehmen anstatt zwei Wochen Quarantäne.
Die Großeltern sind geimpft und geschützt, sogar Mama und Papa. Wer sich jetzt nicht impfen lässt, gefährdet ja eigentlich nur noch sich selbst, oder?
In dieser Aussage steckt ja schon drin, dass man Erleichterung verspürt, dass die Eltern und Großeltern geschützt sind. Wäre es da nicht toll, wenn auch die Eltern und Großeltern wüssten, dass der Sohn oder die Enkelin selbst geschützt sind? Zweitens: Man sollte nicht nur an die Risikogruppe der Älteren denken. Was ist mit Babys, die nicht geimpft werden können? Mit unter Zwölfjährigen? Was ist mit Schwangeren? Jeder kennt bestimmt eine Person, die nicht geimpft werden kann und die sich mit der eigenen Impfung ein Stück weit besser schützen lässt.
Lieber ein halbes Jahr länger warten und die Wissenschaft weiß noch genauer Bescheid?
Andere sagen: Das Abwarten würde ihnen recht geben, etwa mit Blick auf Astrazeneca, ein Impfstoff, der nun ein Ladenhüter ist.
Alle, die sich bisher nicht haben impfen lassen, konnten die Situation um die Impfungen jetzt ein halbes Jahr lang beobachten. Und in dieser Zeit haben wir viel gelernt. Dazu zählt die Astrazeneca-Empfehlung, die geändert wurde. Stand heute wurden über vier Milliarden Impfungen weltweit verabreicht. Ich verstehe, wenn man zuerst Angst vor Nebenwirkungen gehabt hat. Aber zum jetzigen Zeitpunkt wissen wir unheimlich viel und können die Sicherheit als gut bewerten.
Dann könnte man ja noch ein halbes Jahr länger warten und die Wissenschaft wüsste noch genauer Bescheid.
Eine hundertprozentige Garantie auf Wirksamkeit und Sicherheit gibt es leider nie, weder bei Kopfschmerztabletten, noch bei Salben oder Impfungen. Beim Impfstoff von Astrazeneca gab es bis April 59 Fälle von Thrombosen auf mehr als 4,2 Millionen Geimpfte. Es ist trotzdem aufgefallen. Man sieht daran: Das System, Nebenwirkungen zu finden, funktioniert wahnsinnig gut. Die Tatsache, das Nebenwirkungen gefunden wurden und transparent diskutiert werden, beweist, dass die Sicherheitsprüfung sehr gut klappt.
Was ist denn mit der Herdenimmunität?
Ein anderes Argument gegen die Impfung: Wenn man sich als Ungeimpfter infiziert, trägt man als später einmal Genesener ja auch etwas zur Herdenimmunität bei.
Seit Beginn der Pandemie sehen wir, wie sehr junge Menschen das Risiko der Krankheit unterschätzen. Ich kenne keine Experten, keine Medizinerinnen und keinen Genesenen, die eine Infektion gegenüber der Impfung ernsthaft als Alternative sehen. Es besteht immer das Risiko, dass man einer der extrem wenigen, aber schweren Fällen sein wird. Auch sehr junge Patienten unter 30 können ins Krankenhaus kommen und müssen beatmet werden. Diese Fälle gibt es.
Mit Hubert Aiwanger, stellvertretender Ministerpräsident von Bayern, hat kürzlich ein Politiker der ersten Reihe erklärt, er wolle sich nicht impfen lassen. Da könnte man ja sagen: Einer in seiner Position muss es doch wissen.
Auf die gesamte politische Landschaft geblickt, ist er einer der sehr wenigen, die sagen, dass sie sich nicht für eine Impfung entscheiden werden. Mit Blick auf die Bevölkerung sagen ebenfalls nur zehn Prozent, dass sie das nicht wollen. Hinzu kommt: Auf Fälle wie Aiwanger wird viel Aufmerksamkeit gelenkt. Aber auch die große Mehrheit der Politikerinnen und Politiker nimmt die Impfung wahr. Es ist aber vollkommen in Ordnung, sich so zu entscheiden, weil es die Entscheidung jedes Einzelnen ist.
Warum lassen sich junge Leute nur langsam impfen?
Wenn die Argumente gegen eine Impfung also ziemlich schnell entkräftet sind – warum lassen sich besonders junge Menschen dann gerade nur zögerlich impfen?
Wir sehen, dass jüngere Menschen von Alltagsbarrieren berichten. Die letzte Prüfung steht an, die Ausbildung beginnt, man will in den Urlaub, der Hausarzt ist nicht da – all das bringt die Leute dazu, zu sagen: „Es passt gerade nicht, vielleicht später.“ Wenn wir im Herbst keine schlimme Welle haben wollen, müssen diese Menschen aber bis Ende August aktiv werden.
Was soll ich machen, wenn meine Prüfung ansteht und ich nicht ausfallen will?
Wer Angst hat, auszufallen, kann die Impfung auf einen Donnerstag oder Freitag legen. So hat man die Ruhephase am Wochenende. Vielleicht kann man das mit dem Hausarzt oder dem Impfzentrum absprechen und auf die eigenen Bedürfnisse eingehen. Wenn der Chef das nicht gut heißt, kann man immer noch sagen: „Wenn ich mich mit Corona infiziere, falle ich bis zu vier Wochen aus. Was sind da schon zwei Tage, wegen denen man nach der Impfung abgeschlagen ist?“
Es gibt jetzt sogar Lockangebote, die zur Impfung motivieren sollen. Gratis Bratwürste, gratis Fußball-Tickets und die Impfung gibt es dazu. Bringt das die Menschen wirklich dazu, sich impfen zu lassen?
Wenn man ein Stück Zucker bekommt, ist dagegen nichts einzuwenden. Man muss aber genau wissen, welche Zielgruppe man ansprechen möchte. Als Vegetarierin werde ich von einer Bratwurst nicht angesprochen, kann mich aber mit den Menschen freuen, bei denen das motivierend wirkt.
Was ist mit Geld?
Bei Geld sehen wir in unseren Befragungen aus dem April 2021 keine großen Effekte. Erst ab einem Betrag von 500 Euro bis 1500 Euro fühlen sich nennenswert viele Menschen motiviert. Eine sechs Prozent höhere Impfquote könnte man damit erreichen. Außerdem muss man daran denken, dass alle, die sich schon impfen lassen haben, ja auch dieses Geld bekommen müssten. Sonst würden sie ja dafür bestraft werden, dass sie sich vorab freiwillig impfen lassen haben.