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Nach einem Jahr Pandemie hat die Politik mich verloren

Nach einem Jahr Pandemie fühlt es sich für unsere Autorin gerade wie ein neuer Tiefpunkt an.
Illustration: FDE

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Es ist März 2021, wir stecken mitten in der Corona-Pandemie, und ich mache mir seit Monaten nicht nur zu viele Nudeln, sondern auch zu viele Sorgen. Um die Risikopatient*innen in meiner Familie, die kleinen Kinder meiner Freund*innen, die Wirtschaft, die Zukunft der jungen Menschen in diesem Land und um unsere Gesellschaft. Ein Jahr nach Beginn der Pandemie ist es in den vergangenen Wochen besonders schlimm geworden: Die Maßnahmen werden gelockert, aber auch nicht so richtig, während wir in die dritte Welle schlittern, die vorgesehenen Notbremsen scheinen nicht alle Städte und Kommunen ernstzunehmen. Die Impfungen kommen nicht voran, der Impfstoff von Astra-Zeneca, die vorerst größte Hoffnung vor allem für die Jüngeren ohne Vorerkrankungen, wird gestoppt. Und gerade habe ich im Radio schon wieder das bedrohliche Wort „exponentiell“ gehört.

Ein Jahr in dieser Pandemie hat mich müde gemacht. Und wütend – auf unsere regierenden Politiker*innen. Ich unterstelle ihnen nicht, dass sie sich nicht die gleichen Sorgen machen wie ich. Aber von diesen Menschen, die freiwillig Verantwortung für unser Land übernommen haben und entsprechend beraten werden, erwarte ich an diesem Punkt der Pandemie schlicht mehr: mehr Pragmatismus, mehr Ideen, mehr Tatkraft, mehr Kommunikation – und weniger Geschäfte-Machen mit Masken.

Die Pandemie-Politik hat mich zur Wutbürgerin gemacht

Ich habe eigentlich großes Grundvertrauen in unsere politischen Institutionen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass dort Menschen sitzen, die hart arbeiten und diesem Land Gutes tun wollen. Genau das habe ich jedenfalls vor einem Jahr noch allen in meinem Umfeld erklärt. Ich stand zu Beginn der Pandemie voll hinter unserer Regierung. Wie übrigens viele Menschen. Und ich habe auch umstrittene Entscheidungen damit verteidigt, dass eben niemand genau wisse, was jetzt richtig sei – aber die Menschen in den wichtigen Ämtern sicher ihr Bestes geben würden. Das ist ein Jahr her. Die Pandemie-Politik hat mich zur Wutbürgerin gemacht.

Dabei wollte ich das nie sein. Ich wollte nie eine von denen sein, die immer das Schlechteste erwarten, die unseren Politiker*innen bösen Willen und Kalkül unterstellen. Diese Menschen haben mich immer zum Kopfschütteln gebracht. Aber vor Kurzem habe ich mich zum ersten Mal gefragt: Müsste ich jetzt vielleicht für eine bessere Corona-Politik auf die Straße gehen? Nicht falsch verstehen: Ich könnte auch heute nicht weiter von den sogenannten „Querdenkern“ entfernt sein. Corona ist real, gefährlich und wir müssen alles tun, um diese Pandemie in den Griff zu bekommen. Aber genau da liegt das Problem. Wir müssten alles tun. Und unsere Politiker*innen tun gerade meiner Meinung nach zu wenig.

Das geht nicht nur mir so. Die Politikverdrossenheit, also der Frust über Politiker*innen und ihre Entscheidungen, wird gerade immer größer: Anfang März 2021 war nur etwa die Hälfte der Bevölkerung zufrieden mit der Arbeit der Bundesregierung – der niedrigste Wert seit Beginn der Corona-Pandemie. Außerdem verlieren offenbar immer mehr Menschen das Vertrauen in Politiker*innen, wenn es um die Pandemiebekämpfung geht. Laut der Studie „Die Ängste der Deutschen“ denkt inzwischen mehr als die Hälfte der Befragten, dass die Politiker*innen von ihren Aufgaben überfordert seien. Das ist der bisher höchste Wert in der Corona-Zeit. Und laut der Einschätzung von Manfred Schmidt, Politikwissenschaftler an der Universität Heidelberg, geht es hier nicht nur um diffuse Ängste, sondern um tatsächlich nachlassendes Vertrauen. Das liege zum Beispiel am mehrfachen Lockdown und der schwierigen Impfsituation in Deutschland. Und wenn viele Menschen unseren Politiker*innen nicht mehr vertrauen, ist das ein langfristiges Problem: Denn nur durch Vertrauen in die gewählten Politiker*innen wird unser demokratisches System überhaupt erst legitimiert.

Ich erwarte von der Politik neue Ideen und wirkungsvolle Lösungsansätze

Wir haben im vergangenen Jahr auf vieles verzichtet. Auf Familie, Jobs, Feiern, Kultur, auf Normalität. Wir haben vielleicht sogar Familienangehörige und Freund*innen verloren. Daran schuld ist zuerst mal keine Politikerin, kein Parlament, kein Ministerium, das weiß ich. Daran schuld ist das Virus. Aber auch nach einem Jahr hören wir jeden Tag neue schlechte Nachrichten. Und ich verstehe mittlerweile einfach nicht mehr, warum die Politik immer noch keine bessere Antwort darauf hat als: Durchwursteln. Denn ein Jahr ist viel Zeit – Zeit, in der wir mehr über dieses Virus gelernt haben, über Maßnahmen und deren Wirksamkeit, über Verbreitungswege und Infektionsrisiken. Ich finde, man kann erwarten, dass die verantwortlichen Politiker*innen in dieser Zeit mehr Ideen und wirkungsvollere Lösungsansätze entwickeln – und vor allem auch umsetzen.

Denn es gibt sie ja, die Ideen und Lösungsansätze. Menschen aus allen politischen Lagern und Professionen wie Viola Priesemann, Christian Lindner, Karl Lauterbach, Melanie Brinkmann und viele mehr haben sie im vergangenen Jahr immer wieder vorgetragen. Altenheime konsequent schützen, Zwei-Wochen-Komplett-Shutdown, Schnelltests zum Freitesten, Digitalisierung der Gesundheitsämter, FFP2-Masken für alle, eine effektive Corona-App, Tablets für bedürftige Schüler*innen, Impfungen durch Hausärzte, you name it. Alles keine Allheilmittel. Aber zumindest Chancen auf Verbesserung in einer schlimmen Lage. Nur scheint leider keine dieser Ideen so richtig zu unserer Bundesregierung vorgedrungen zu sein – oder zumindest nur verspätet. Denn was die nach einem Jahr Pandemie immer noch zu tun scheint, ist: Entscheidungen vertagen, Maßnahmen verwässern, Bürokratie zelebrieren. Wäre das anders, wenn in diesem Jahr nicht gewählt werden würde? Wenn nicht so viele Politiker*innen versuchen würden, es allen Recht zu machen, während sie sich selbst in jede Richtung bestmöglich absichern? Vielleicht.

Deutschland hat den Anschluss verloren

Zu Beginn der Pandemie sah es so aus, als ob wir ganz gut durchkommen könnten. Aber irgendwo zwischen erster und zweiter Welle hat das vermeintlich gut organisierte, reiche Deutschland den Anschluss verloren. Natürlich hat kein Land der Welt die Pandemie final besiegt. Aber während in den Niederlanden schon Studien zu Großveranstaltungen gemacht werden und meine Freund*innen in den USA sich ihren Impfstoff sogar aussuchen dürfen – währenddessen kriegen in Deutschland weitere Familien die Krise, weil die Belastung durch Kinderbetreuung und Homeoffice einfach zu groß ist. Noch mehr junge Menschen werden depressiv, weil sie seit Monaten einsam in ihrem alten Kinderzimmer sitzen. Weitere Menschen werden krank – und immer noch  zu viele von ihnen sterben.

Was die Politik jetzt tun könnte, um Vertrauen zurückzugewinnen? Pragmatische Ideen kurzfristig und konsequent umsetzen, jede Chance auf eine Verbesserung der Situation ergreifen – und endlich ein bisschen Bürokratie über den Haufen werfen. Warum muss zum Beispiel erst mit Angela Merkel besprochen werden, ab wann auch Hausärzt*innen impfen dürfen? Und warum gibt es noch nicht überall genügend Schnelltests für alle und vor allem die Infrastruktur, sie auch systematisch durchzuführen? Wir stecken noch mitten in dieser Pandemie. Das Coronavirus wird uns leider noch lange beschäftigen. Es wird deshalb noch viele Chancen für die Politik geben, es ab jetzt besser zu machen. Und ich bin bereit, mich davon überzeugen zu lassen.

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