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Coronaimpfung: Wieso manche Menschen sich erst jetzt dafür entscheiden
Vier Versuche hat es gebraucht, bis die Nadel endlich in ihrem Oberarm landete. Mehrere Ärzte, die ihr gut zuredeten. Und eine Freundin, die ihren Arm fest im Griff hielt. Jasmin ist 26 und hat sich erst kürzlich gegen Covid-19 impfen lassen. Wie viele andere Menschen zögerte sie lange. Weil sie sich zwar vor einer Coronainfektion fürchtete – aber auch dem Impfstoff misstraute.
Jasmin gehört nun zu den 73,9 Prozent der Deutschen, die aktuell mindestens einmal gegen das Coronavirus geimpft sind. Mehr als 70,8 Prozent der Bundesbürger:innen haben den vollständigen Schutz. Doch interessant ist vor allem, dass die Zahl der täglichen Corona-Erstimpfungen wieder zunimmt: Noch Anfang November waren es um die 13 500 Menschen in Deutschland pro Tag, nur einen Monat später bereits um die 110 000. Wer sind die Menschen, die sich jetzt zum ersten Mal impfen lassen? Und was hat ihre Meinung geändert?
Jasmin ist froh, sich endlich zu der Impfung entschieden zu haben.
„Ich habe gedacht, für meine Psyche ist es besser, wieder Sachen zu unternehmen und auch Freunde treffen zu können“, sagt Jasmin, wenn man sie danach fragt. Eine Impfung versprach ihr Freiheit, aber auch Schutz. Sie fürchtete einen schweren Verlauf oder die Spätfolgen einer Covid-Infektion. Zu den Menschen, die nicht an Corona glauben, zähle sie nicht, sagt sie im Gespräch. Den letzten Schubs in Richtung Impfung aber gab ihr ausgerechnet die politische Diskussion über eine allgemeine Impfpflicht: „Ich wollte mich lieber jetzt noch impfen lassen mit meiner eigenen, freien Entscheidung, damit die Politik das nicht für mich macht, wenn eine Impfpflicht kommt.“
„Mir ging es richtig schlecht damit, dass ich nicht geimpft bin“
Dass vor allem Menschen, die Impfungen skeptisch gegenüberstehen, der Aspekt der Freiwilligkeit extrem wichtig ist, bestätigt auch Katrin Schmelz. Sie ist Psychologin und Verhaltensökonomin an der Uni Konstanz und forscht unter anderem zu gesellschaftlicher Motivation, verstärkt zu Menschen, die vor einer Impfung zögern. „Über 95 Prozent unserer Befragten sind irgendwann bereit, sich impfen zu lassen, wenn es freiwillig wäre“, sagt sie. „Aber dazu müssten die Ungeimpften ihre Einstellungen ändern. Das ist leichter unter Freiwilligkeit, aber man bräuchte mehr Zeit, als wir mit den aktuellen Varianten Delta und Omikron haben. Daher kommen wir um eine Impfpflicht wahrscheinlich nicht herum. Gleichzeitig ist abzusehen, dass eine Pflicht den Widerstand bei einigen verhärten wird. Eine Impfpflicht ersetzt nicht die Aufklärung und Überzeugungsarbeit.”
Die 35-jährige Jana ließ sich aus Sorge um ihr ungeborenes Kind lange nicht gegen Corona impfen: „Wenn ich nicht schwanger wäre, wäre ich schon längst geimpft gewesen.“ Doch die Sorge der zukünftigen Mutter um ihr Baby überwog. Als sich eine ihrer Bekannten während der Schwangerschaft impfen ließ, sei das Kind fünf Wochen zu früh gekommen, erzählt Jana. Und obwohl sie später herausfand, dass kein Zusammenhang zwischen Impfung und Frühgeburt bestand – die anfängliche Verunsicherung blieb. „Ich konnte eine Weile nicht sehen, dass eine Impfung auch was Positives hat”, sagt Jana.
Jana hielt ihre Schwangerschaft davon ab, sich schnell gegen Covid-19 impfen zu lassen.
Derlei Ängste kann Ulrike Protzer, Direktorin des Instituts für Virologie an der Technischen Universität und am Helmholtz Zentrum München, aus dem Weg räumen. Sie sagt: „Die Impfungen sind für Schwangere wirksam und sicher nach der zwölften Schwangerschaftswoche.“ Es sei wichtig, sich im zweiten Drittel der Schwangerschaft impfen zu lassen, weil es gerade bei Schwangeren im Falle einer Coronainfektion zu schwereren Verläufen komme. Außerdem profitiere das Kind auch von der Impfung. „Der Impfstoff kann zwar nicht auf das Kind übergehen, aber die Antikörper, die die Mutter ausbildet, schützen das Kind auch noch nach der Geburt, solange es gestillt wird.“
Inzwischen ist auch Jana froh darüber, geimpft zu sein. „Mir ging es richtig schlecht damit, dass ich nicht geimpft bin. Als sich die Lage so zugespitzt hat und Omikron auch ein Thema war, habe ich kalte Füße bekommen“, sagt sie. Die Empfehlung der Stiko, die vielen Studien, die es inzwischen gebe, all die Schwangeren, für die die Impfung keine negativen Folgen gehabt habe – all das habe Jana beruhigt.
Für viele ist auch die 3G-Regelung am Arbeitsplatz ein Grund für eine Impfung
Auch Anna, 19, wollte sich eigentlich gegen Corona impfen lassen. Doch die Umstände waren ihr zu groß. Weil sie in einer Kleinstadt wohnt, stand sie bei ihrer Hausärztin, die ältere Menschen priorisierte, monatelang auf der Warteliste. Beim Impfzentrum müsse sie mit mehreren Stunden Wartezeit rechnen, erzählten ihr Bekannte. Und noch etwas anderes spielte eine Rolle: Annas Mutter ist Impfgegnerin. Lange Zeit setzte sie ihre Tochter unter Druck. Nach Annas Impfung schickte sie ihr Videos mit Fake News und Verschwörungsideologien zum Thema Impfung. Anna ist dennoch froh, sich mit einer Freundin doch noch auf den Weg zum Impfzentrum gemacht zu haben: „Mir geht es darum, dass ich endlich mal meine Jugend leben kann.“
Es gibt aber auch diejenigen, die eine Impfung eigentlich gar nicht für nötig halten. Wie Viktoria, 26, die sich schon einmal mit dem Coronavirus infizierte. Weil sie die Infektion weniger schlimm als eine Grippe empfand, entschied sie sich vorerst gegen eine Impfung. Denn: „Ich dachte halt, bevor ich meinem Körper etwas Neuem aussetze, bleibe ich beim Alten. Wenn ich es nochmal kriege, weiß ich, was ich hab“, sagt Viktoria. Auch die „Horrorgeschichten über Impffolgen“ hätten sie verunsichert.
Ungeahnte Nebenwirkungen? Für viele eine Schreckensvorstellung. Dabei gibt es die kaum, sagt Ulrike Protzer. Vermutlich keine andere Impfung werde so gut nachbeobachtet wie die gegen Covid. „Es gibt inzwischen auch sehr große Studien mit mehreren Hunderttausenden Menschen, bei denen man jedes kleinste Anzeichen akribisch dokumentiert hat. Insgesamt ist die Impfung sehr risikoarm und sehr sicher“, sagt Protzer. „Die Nebenwirkungen sind natürlich nie null. Aber was man vor allem spürt ist die Reaktion des Immunsystems auf den Impfstoff, also genau das, was man erreichen will. Länger anhaltende Nebenwirkungen sind wirklich außerordentlich selten.“
Viktorias Einstellung änderte sich erst mit der 3G-Nachweispflicht am Arbeitsplatz. Täglich musste die Rechtsanwaltsfachangestellte ihrem Chef einen negativen Test vorlegen. „Das haben natürlich alle mitgekriegt, das war sehr öffentlich. Jeder hat dann geredet“, sagt Viktoria. Irgendwann habe sie es nicht mehr ausgehalten – zu sehr fühlte sie sich von ihren Kollegen ausgeschlossen und diskriminiert. Ihnen erzählte Viktoria deshalb lange nicht, dass sie sich doch zur Impfung entschieden habe. Aus Rache, wie sie selbst sagt. „Es kann ja nicht sein, dass, ob ich geimpft bin oder nicht, beeinflusst, ob sie mich mögen oder nicht“, sagt sie.
Dass politische Maßnahmen und dadurch erhöhter Druck Menschen zu einer Impfung gegen das Coronavirus bewegen können, macht auch der Fall von Annie deutlich. Die 21-Jährige lässt sich in einem Krankenhaus zur Kauffrau für Büromanagement ausbilden. Ab Mitte März 2022 tritt die Impfpflicht im Gesundheitswesen in Kraft – also hieß es für Annie: Impfung oder Ausbildung. Angst vor der Impfung hatte Annie aus familiären Gründen. Sowohl ihre Oma als auch ihre Schwester hätten bereits an Thrombosen gelitten, erzählt sie. Und tatsächlich ist bei bestimmten Impfstoffen das Thromboserisiko bei jungen Frauen erhöht, sagt Ulrike Protzer. Doch die Wahrscheinlichkeit liege bei weniger als 1 zu 100 000. „Das betrifft die Vektorimpfstoffe, also Astra-Zeneca oder Janssen. Als junge Frau würde ich auf jeden Fall einen mRNA-Impfstoff nehmen, da wird das Risiko nicht beobachtet“, sagt Protzer.
Gegen eine Impfung sprachen aus Annies Sicht aber noch andere Gründe: „Man weiß immer noch nicht, wie oft man sich impfen lassen muss und wie gut der Impfstoff gegen die neuen Varianten hilft“, sagt sie. Auch viele der Maßnahmen während der Pandemie habe sie nicht verstanden. Als problematisch empfand sie, dass seitens der Politik auch Versprechungen gemacht wurden, die man brach. Wie etwa die, dass es keine Impfpflicht geben werde. „Dann hätte man vornherein einfach sagen können, wir wissen gerade nicht, was nächstes Jahr ist“, sagt Annie.
Irgendwann sagten ihre Kollegen im Krankenhaus dann auf offenem Flur, im Ernstfall hätte sie als Ungeimpfte kein Recht auf eine Behandlung. Sie fühlte sich im Stich gelassen, bedauerte, dass man nicht mehr sachlich miteinander reden könne: „Man sollte nicht wegen des Impfstatus differenzieren. Man bleibt Mensch.“ Dass die Themen Impfen und Corona mittlerweile emotional enorm aufgeladen sind, erklärt Katrin Schmelz so: „Wir sind alle ausgelaugt nach diesen zwei Jahren. Jeder ist frustriert und will, dass es vorbeigeht.“
Annie ist inzwischen geimpft. „Unsere Intensivstation ist voll, unsere normale Station auch“, sagt sie. „Die Krankheit würde ich niemals runterreden.“ Auch Ulrike Protzer betont: „Es ist immer noch so, dass die Überlastungen der Krankenhäuser und Intensivstationen in Deutschland von Ungeimpften verursacht werden.“ Dass die Themen Impfen und Corona mittlerweile emotional enorm aufgeladen sind, erklärt Katrin Schmelz so: „Wir sind alle ausgelaugt nach diesen zwei Jahren. Jeder ist frustriert und will, dass es vorbeigeht.“ Annie wünscht sich mehr Dialog. Sie habe kein Verständnis für Menschen, die Corona leugnen. Aber es gebe eben auch viele wie sie, die Angst haben und abwarten wollen. Noch immer sind aktuell 21,7 Millionen deutsche Bürger:innen nicht geimpft.