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Erwachsenwerden mit Computerspielen
Der erste Gameboy, das erste Mal „Tetris“, nächtelang „Mario Kart“ und irgendwann dann „Candy Crush“: Wir sind die erste Generation, die mit Computerspielen aufgewachsen ist. Der Autor Jan Fischer, 33, hat darüber einen autobiographischen Essay geschrieben: „Ready. Wie ich mit digitalen Spielen erwachsen wurde“, der am 22. Juni als E-Book bei Hanser erscheint. Ein Gespräch über Spielen als Training für die echte Welt, die Täter von Columbine, und darüber, ob es den Gamer-Nerd noch gibt – oder ob wir alle Gamer-Nerds sind.
jetzt: Du erzählst in deinem Essay davon, dass du als Teenager den „Einstieg“ ins Spielen gemacht hast, als es dir aus familiären Gründen nicht gut ging. War das eine Voraussetzung? Dass du flüchten wolltest?
Jan Fischer: Ich glaube, das war eher Zufall, aber es war natürlich eine gute Ablenkung. Dieses neue technische Spielzeug war faszinierend und ich hatte damit etwas ganz Eigenes. Als Pubertierender will man ja eigentlich Dinge kontrollieren können, man will rausgehen in die Welt und sich da behaupten – darf das aber noch nicht. Da ist Spielen wie eine Art Generalprobe.
Also Spielen als Training für die echte Welt?
Training ist vielleicht zu viel gesagt. Aber Spielen ist sehr interaktiv, man übernimmt Verantwortung und kann etwas entwickeln. Wie wichtig das für die eigene Entwicklung ist, welches Spiel in welcher Lebensphase welche Bedeutung hatte, merkt man aber glaube ich erst im Nachhinein. In meiner Erinnerung kann ein Spiel dann aber gleich wichtig sein wie etwas, das ich in der echten Welt erlebt habe. Mit Büchern, Filmen und Musik ist das ja auch so: Rückblickend weiß man, was einen wann geprägt hat. Spiele unterscheiden sich da kaum von anderen Medien – außer, dass sie einen mehr einsaugen können.
Erzeugen Spiele bei dir heute noch die gleichen Gefühle wie als Pubertierender? Also Macht und Kontrolle?
Mittlerweile lasse ich mir lieber Geschichten erzählen.
Wieso?
Vielleicht bin ich einfach erwachsen geworden... Aber ich mag auch nach wie vor Shooter und sinnlose Gewalt (lacht).
Eine Szene hat mich beim Lesen besonders berührt: Dass du dich den Tätern des Amoklaufs an der Columbine High School 1999 nah gefühlt hast – weil sie Gamer waren. Damals warst du 16.
Ja, ich habe durch die Medien mitbekommen, dass sie viel gespielt haben, und das hat bei mir einen kalten Schauer ausgelöst. Weil ich mich mit dem stundenlangen Spielen, identifizieren konnte, und dachte: „Fuck, das sind ganz normale Menschen.“ Jemand, der nicht gespielt hat, hat vielleicht nicht so gedacht.
Computerspiele, vor allem Ego Shooter, wurden damals zum Sündenbock.
Ja, das war eben eine sehr einfache Erklärung, man konnte sagen: „Mit den Spielen haben sie offensichtlich geübt, Menschen umzubringen, dann werden die Spiele wohl der Grund dafür sein.“ So konnte man alles andere ignorieren. Dabei war die Wahrheit natürlich viel komplexer.
Gamer gelten ja oft als Eigenbrödler und Nerds. Du beschreibst aber vor allem, wie dich die Spiele mit anderen verbunden haben – mit deinem Vater, mit einem Jungen, der ansonsten eher ein Außenseiter war, oder mit der Clique, mit der du gespielt hast. Ist Spielen sozialer als viele denken?
Ich glaube, dieses Gamer-Nerd-Klischee gibt es nicht mehr – wenn es überhaupt je Realität war. Guck dich doch mal in der U-Bahn um, da siehst du die Leute doch nur noch spielen. Und wenn du bei Facebook bist, bekommst du dauernd Anfragen, ob du jemandem helfen kannst, seine Farm aufzubauen. Natürlich gibt es eine Art von Elite, die sich als „echte Gamer“ bezeichnet, aber letztlich ist es ein Massenphänomen. Und es kann sehr verbindend sein, den ganzen Abend zusammen „Mario Kart“ zu spielen!
Du erzählst auch, dass du mit deiner Freundin schon viel Zeit zu zweit spielend verbracht hast...
Ja, wir freuen uns auch schon auf das nächste „Zelda“, das kommt 2017 raus!
Du gehörst mehr oder weniger zur ersten Gamer-Generation. Verfolgst du noch, was aktuell in der Szene passiert?
Dadurch, dass ich hin und wieder als Spiele-Journalist arbeite, bin ich da natürlich auch ein bisschen unterwegs, aber ich spiele selten die neusten Sachen. Und ich finde den Trend eigenartig, anderen Leuten auf Youtube beim Spielen zuzuschauen...
Echt? Das war bei Spielen immer meine liebste Beschäftigung: Danebensitzen und zugucken.
Ja, das ist ja auch immer sehr schön, aber bei Youtube mag ich es komischerweise nicht. Wobei ich mal eine Zeit lang „Let’s Play“-Videos von Landwirtschaftsspielen angeschaut habe, bei denen man Trecker fahren kann. Das sind aber mehr so eigenartige Ausformungen...
Spielst du auch auf dem Smartphone?
Ja, aber nicht in der U-Bahn sondern eher Zuhause. Im Moment spiele ich „That Level Again“. Da muss man kurze Rätsel lösen, die oft etwas meta sind – manchmal muss man zum Beispiel die Helligkeit des Handys runterregeln oder das Datum umstellen, damit es weitergeht. Ich habe aber auch eine Zeit lang sehr intensiv Candy Crush gespielt...
Ich noch nie!
Fang nicht damit an, man kommt da nur ganz schwer wieder los von!
Was hast du durch Computerspiele gelernt?
Das Wichtigste ist glaube ich Ausdauer. Wenn du an einer wichtigen Stelle bist und zehn Mal hintereinander verreckst, dann sagst du: „Okay, ein elftes Mal versuche ich es noch.“ Und dann versuchst du es auch noch ein zwölftes Mal und immer so weiter, bis du es schaffst. Und ich habe, glaube ich, auch gelernt, auf eine andere Art Geschichten zu erzählen und zu verstehen, also auch nicht-lineare Geschichten zu mögen.
Ein nicht-lineares Spiel, „Myst“, vergleichst du mit deiner Lebensphase nach dem Abi, in der du es gespielt hast – weil es in dem Spiel so unfair zuging, du dich oft verlaufen hast, sehr viel ausprobieren musstest, um eine Lösung zu finden, und davon dauernd frustriert warst. Hat jede Lebensphase das passende Spiel?
Das kann ich mir gut vorstellen. Da ist es auch wieder wie mit Bücher: für jedes Alter gibt es das perfekte Buch. Wenn ich den „Steppenwolf“ mit 15 lese, find ich das total toll – und mit 20 denke ich „Was ist das denn für ein Blabla?“
Welches Spiel magst du aktuell besonders gern?
Momentan mag ich Spaziergeh-Simulatoren wie „Proteus“: Man läuft einfach durch eine Welt und schaut sich an, wie sie sich verändert. Die Geschichte ist nur ganz locker drunter gelegt, man muss sie sich mehr oder weniger selbst erschaffen. Und dabei wandert man durch wunderschöne Pixelwelten.