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Auf der schlechten Seite der Badewanne
Es gibt einen verlässlichen Weg herauszufinden, ob man ernsthaft in jemandem verliebt ist: den Badewannenstöpsel-Test. Denn wenn ein Paar gemeinsam badet, sitzt meist einer auf der ungünstigen Seite, wo das Wasser abfließt. Wer findet es nicht störend, auf dem Stöpsel zu sitzen? Oder immer darauf zu achten, dem Ding auszuweichen? Badewannenstöpsel unter, am oder auch nur in der Nähe des eigenen Hinterns verderben viel Vergnügen. Dann der Wasserhahn im Rücken. Unfassbar unbequem. Aua-Aua-Aufführung eines post-postmodernen Dramas mit dem Titel “Stöpsel am Arsch, Hahn im Rücken”. Nur ein Verliebter kann dabei schmerzfrei bleiben. Die Gefühle für den anderen Menschen betäuben das sonstige Empfinden. Kurz gesagt: Wer es ehrlich romantisch und angenehm findet, auf einem unförmigen Plastikstöpsel zu sitzen, meint es mit Sicherheit ernst. Balthasar und Kevin waren in der Badewanne. Da saßen sie also, wie Herr Dr. Klöbener und Herr Müller-Lüdenscheid. Nur dass - anders als in Loriots berühmter Zeichentrick-Sequenz - niemand im Entferntesten daran dachte, eine Ente zu Wasser zu lassen. Verliebte brauchen keine Ente. Sie brauchen nur sich. Balthasar war glücklich, dass er Kevin auf einer Party wiedergetroffen hatte. Glücklich, dass Kevin ihm zugehört und seine Entschuldigung angenommen hatte. Die Entschuldigung dafür, dass Balthasar nach ihrer ersten gemeinsamen Nacht alles auf den Alkohol geschoben hatte. Als ob er selbst keinen Sex gewollt hätte. Jetzt wollte Balthasar mehr als Sex. Er spürte nichts von dem Badewannenstöpsel, auf dem er saß. Balthasar war auf der schlechten Seite der Badewanne und auf der guten Seite des Lebens angekommen. Endlich angekommen. Die Pölsterchen Kevin streichelte mit seinen Zehen über Balthasars Füße. Balthasar dachte darüber nach, wie anders es war, wenn zwei Typen einander nackt gegenüber saßen, als wenn es ein Mann und eine Frau waren. Alles war vergleichbar. Ein Vergleich, bei dem Balthasar in diesem Fall objektiv schlecht dastand. Kevin war größer, besser durchtrainiert und sein Schwanz war - lassen wir das. Balthasar hätte sich als besonders toller Hecht fühlen können, weil er mit einem so gutaussehenden Mann zusammen war. Er hätte sich auch verlegen fühlen können, weil er kleine Fettpölsterchen hatte, wo bei Kevin Muskeln waren. Vielleicht fühlte er sogar von beidem ein bisschen etwas. Vor allem aber fühlte er sich unglaublich gut. Kevin schien sich auch unglaublich gut zu fühlen. Mehr brauchten sie nicht zu verstehen. Zu viel nachzudenken würde nur schaden. Vergleiche erst recht. Mama hatte immer gesagt: “Ein heißes Bad belebt, Balthasar.” Noch mehr belebte Balthasar, dass Kevin die Hitze mit ihm teilte. Kevins Hände schäumten Balthasars Haut ein. Seine Beine. Seine Brust. Balthasar spürte Kevins Finger auf dem Rücken. Auf dem Bauch. Dann leckte Balthasar Kevins Bauchnabel. Dabei dachte er daran, wie er vorhin Kevins Schwanz im Mund gehabt hatte. Balthasar hatte seinen Kopf dabei so gedreht, dass er Kevin in seine dunkelblauen Augen schauen konnte. Das hatte er beim Blasen vorher noch nie gemacht. Genickstarre. Eigentlich unerträglich. Unschlagbar wunderbar. Würde Balthasar es mit Kevin schaffen, überall zu sich selbst zu stehen? Würde er mit Kevin, ohne darüber nachzudenken, Hand in Hand durch die Fußgängerzone schlendern? Würde er mit seinen Eltern reden? Ihnen Kevin vorstellen? Balthasar wusste es nicht, noch nicht. Aber er wusste, dass er es wollte. Epilog: Jetzt im Moment spielten Balthasars Hände mit Kevins Hoden, kraulten sanft die vielen Kraushaare. Dann erhob Kevin sich und begann, sich zu frottieren. Balthasar streckte sich aus. Ausströmende Flocken vereinigten sich harmonisch mit dem Schaum. Balthasar beobachtete Kevin, wie er das Handtuch zur Seite legte und seine Unterhose anzog. “Hey, der ist ja noch steif”, sagte Balthasar. Kevin nickte. Und sagte: “Ich mach’ Kaffee.”