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Was ist mein Erfolgsgeheimnis, Jan Böhmermann?
Für mich warst Du, Hannover, bislang nicht viel mehr als ein Umsteigebahnhof, gelegentlicher Schauplatz spektakulärer Zugteilungen oder alljährlicher Pilgerort des internationalen IT-Systemadministratorenmilieus. Mehr als ein paar CeBit-Beiträge im Nachtmagazin und die fünfhundert Meter rund um Deinen Hauptbahnhof habe ich nie von Dir gesehen. Das reiche auch völlig aus, versicherten mir Bekannte, die mal länger in Dir weilten. Nein, Hannover, nicht mal zur sicherlich sehr gelungenen Expo im Jahr 2000 wollte ich Dich besuchen. Und ich war nicht der einzige, Du erinnerst Dich.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Wie für die meisten, warst Du für mich bis vor zwei Wochen lediglich ein Synonym für autobahnumfriedete Langeweile, ewige Provinz und der oft gedisste Heimatort derer „mit dem Kaufhauspunk und dem hannoveranischem Rock’n’Roll“. If you can make it in Hanover, you can make it in Hanover – mehr aber auch nicht. Doch dann kam Lena. Und Christian. Und alle Welt, respektive Bild, machte sich auf die Suche nach Deinem – ey, hergehört Hannover! – „Erfolgs“-„Geheimnis“.
Städte wie Dich kenne ich, Freundchen! Auch ich lebe gezwungenermaßen in einer überehrgeizigen Metropole mit wahnwitzigen Weltstadtambitionen: Köln. Mit Ausnahme der Tatsache, dass durch Köln ein richtiger Fluss und kein lächerliches Rinnsal fließt, hast Du mit dem „Bremerhaven Bonns“ einiges gemeinsam. Die kaputtgebombte Altstadt, die unstillbare Sehnsucht nach altem Glanz und eine augenfällige Talentlosigkeit in Sachen Städtebau, Kommunalverwaltung und Bundesligafußball. Wenn nun ausgerechnet Dich, Hannover, die Qualitätspresse plötzlich zur bundesdeutschen Success-Hauptstadt kürt, die Formel Deines Erfolgs sucht und halbironisch zurückschaut auf die herrlich skurrile Zeit „als Hannover noch langweilig war“ – sollten da nicht nur bei miesepetrigen Abgrenzungsneurotikern die roten Warnlämpchen aufleuchten?
Bettina Wulff ist oberarmtätowiert. Rattenscharf. „Schaut her, ich bin viel weniger Hannover, als Ihr glaubt“, will uns die Bundespräsidentenwildkatze in spe damit vermutlich sagen. Und ist so natürlich noch viel mehr Hannover als ihr Gatte. Und der ist schon ganz schön Hannover. Eine Stadt wird zum Adjektiv.
Und, Hannover, weißt Du noch, nach ihrem Sieg in Oslo malte die „neue Nora Tschirner“ (Til Schweiger) Lena Meyer-Landrut mit der ihr eigenen Mischung aus supersüßer Koketterie und atemberaubender Dusseligkeit in Dein Goldenes Buch: „Wow! Verdammte Axt ist das geil! Dankeschönst. Leni“ Spätestens da hätte auch Dir, Hannover, dünken müssen, dass nicht Du auf einmal erfolgreich und cool, sondern alles um Dich herum auf einmal ziemlich uncool geworden sein könnte. Dass die Wulff- und Lena-Geilfinderei kein Erfolg, sondern Ausdruck einer totalen Hannoverisierung unseres – Zeit, pathetisch zu werden – Vaterlandes ist. Nicht Du, Hannover, bist ganz oben. Wir sind einfach nur ein bisschen weiter unten. Da, wo Du schon immer warst. Aber wer sagt, dass das schlecht ist? Wir haben uns beim Eurovision Songcontest und können uns bei der WM und mit dem neuen – toi, toi, toi – Bundespräsidenten endlich schamlos so präsentieren, wie wir im Ausland ohnehin gesehen werden: als das Hannover Europas.
Text: jan-boehmermann - Illustration: Katharina Bitzl