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„Guckst Du Mittwoch Deutschland, Böhmermann?“

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Wieso, Stucki, willst Du mitgucken? Nur ein paar alte Schulfreunde, Du und ich? Spitze, Benstuck, ich hole den Fernseher auf die Terrasse, wir grillen Industriewurst und abgepackte Wiesenhof-Filets und vielleicht bringt ja ein Besserverdiener Biobratwurst mit. Wahnsinn, der Benni! Stilikone, Sexsymbol, Popliterat. Junge, Junge, wie lang ist das jetzt her? Zehn, zwölf Jahre? Abi 2000 – wer nicht bekifft war, war besoffen. Wir hatten schlimme Haut und alle Deine Bücher. Hui, und jetzt, Du, Stuckenbold, hier, auf unserem kleinen Fußballfest! Willst Du wirklich kommen? Ich kann mir nämlich schon ungefähr vorstellen, wie das wird. Du, Vonni, bist, klar, der letzte Gast. Das Spiel läuft schon. Das ist Dir natürlich, obwohl Fußballfan, ziemlich egal. „Komme gerade vom Essen mit Mario Adorf und Christian Lindner,“ keuchst Du leicht verschwitzt. Ich frage nicht weiter nach, ahne aber, dass es wichtig war. Was für die WamS, Buchprojekt oder neue Sendung – mindestens. Noch in der Tür drückst Du mir eine schon dem Etikett nach zu urteilen obszön teure Flasche Rotwein in die Hand. Küsschen links, Küsschen rechts. Ich ignoriere diesen anscheinend in Berlin übliche Begrüßungskontakt weltstädtisch tuend. Du trägst einen weißen Burlington-Pullunder durch dessen Ausschnitt der Kragen eines gut gebügelten Fred-Perry-Hemdes lugt. Teurere Schuhe als früher. Voll weg vom Koks, voll auf Springer. Dem Kontostand hat‘s anscheinend nicht geschadet, denke ich neidlos. Meine patriotisch beschmückten Freunde heben eingeschüchtert den Blick vom Wurstteller, als Du die Terrasse betrittst. Stuckrad-Barre, er ist tatsächlich gekommen! Auf Stirn und Wangen haben sich alle mit einem schwarz-rot-gelben Schnellschminkstift kleine Deutschlandfähnchen gemalt. Auf Dir, Stuckowski, sieht witzige Gesichtsbemalung natürlich mitnichten so peinlich aus. Weißt Du selber auch, und lässt Dir sofort von der attraktivsten Frau unserer Runde ein Deutschlandherz auf die Wange malen. Sie quietscht vergnügt, die anderen Girls auch. Ab jetzt hassen Dich die Männer der Runde. Reinhold Beckmann hebt die Stimme: Klooooseeeeee....! Quatsch, Fehler im Text, Klose ist ja gesperrt gegen Ghana. Der Trottel. Der Scherzkeks unserer Fußballgesellschaft reißt pausenlos Negerwitze. Es gelingt ihm nicht immer, Neger ironisch klingen zu lassen. Trotzdem lachen alle. Oder gerade deswegen. Du, Barrenstucker, verdrehst die Augen. Neger ginge in Berlin schon lange nicht mehr, nicht mal ironisch. Dein Handy klingelt, es ist Hannelore Elsner oder Dr. Christian Schertz. Oder beide. Wegen dem Brunch morgen. Zehn Sekunden nach Abpfiff stehst Du wieder in der Tür. Tschüßie! Die Mädchen schwärmen davon, wie gut Du gerochen hättest, und die Jungs wollen Dir beim nächsten Mal eine reinhauen und finden, dass Du von der Seite wie ein Velociraptor aussiehst. Und ich bin froh darüber, dass Ghana Deutschland rausgekegelt hat und ich Dich erst in vier Jahren wieder zum Fußball gucken einladen muss. Weiterführende Literatur: „Zwölf recht beliebte Spitznamen von Benjamin von Stuckrad-Barre“ (aus: Rubinowitz / Mewes, Die sexuellen Phantasien der Kohlmeisen, S. 94, KiWi 2010)

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