- • Startseite
- • Binge Watching
-
•
Binge-Watching-Kolumne zu "Fleabag"
Die Serie:
Filme und Serien des beliebten Genres „Irrungen und Wirrungen junger Frauen in den großen Städten des 21. Jahrhunderts“ haben ein einziges Problem: Sie hören irgendwann auf, während das Elend ihrer Fans Tag für Tag weitergeht.
Doch für alle, die sich von Bridget Jones über Frances Ha, Miranda und Girls schon alles reingezogen haben, was der entsprechende Markt so hergibt und verzweifelt auf neuen Stoff warten, gibt es jetzt endlich Linderung: Die britische BBC3-Serie „Fleabag“ basiert auf einem Bühnenmonolog, den die Erfinderin (und gleichsam, wie das heute in diesem Genre anscheinend so üblich ist, Protagonistin der Serie) Phoebe Waller-Bridge einst mit großem Erfolg im Londoner Soho-Theatre vortrug.
„Fleabag“ handelt von einer alleinstehenden Anfang-30erin Londonerin, die, yes, richtig geraten, zwischen wechselnden Sexualpartnern, einer erfolglosen beruflichen Karriere und einer bizarren Familie im Leben nicht viel auf die Reihe kriegt. Waller-Bridge selbst ist ihres Zeichens eine sehr aparte Mischung aus Alexandra Maria Lara, einer black-comedyhaften, fast vampiresken Audrey Tautou und Lena Dunham. Hä? Doch, die Kombination geht und ihre Absurdität macht sie überhaupt erst so charmant.
Zum Zwecke der würdigen Repräsentation zitieren wir hier eine Szene, die den Geist der Serie eigentlich noch sehr viel besser beschreibt, als der offizielle Trailer.
Folgendes Szenario: Die Protagonistin Fleabag sitzt mit Freundin Bo im gemeinsamen Café der beiden. Es ist nur eine Erinnerung, denn Bo lebt nicht mehr, sie hat sich aus Versehen bei dem Versuch, einen Fahrradunfall zu faken, umgebracht.
Jedenfalls: Fleabag hat Bo aus Spaß ein Meerschweinchen geschenkt, seither wohnt das Meerschweinchen nicht nur im Café, es hängen dort auch überall Fotos dieses Meerschweinchens herum. Im wie immer extrem schlecht bis gar nicht besuchten Café sitzen Phoebe und Bo und unterhalten sich.
Fleabag (liest Bo aus der Zeitung vor): „An eleven year old boy was put in juvenile prison for repeatedly sticking rubber ended pencils up the schoolhamsters asshole.“
Bo:“What?“
Fleabag: „Yeah.“
Bo: „Why would’ey do that?“
Fleabag: „Apparently he liked it when the eyes popped out.“
Bo: „No I mean why would they send him away? He needs help. They shouldn’t have just locked him up.“
Fleabag: „He pencilfucked a hamster!!“
Bo: „Yes but he is obviously not happy, happy people wouldn’t do that.“
Fleabag: „Fair point.“
Bo: „And anyway that’s the very reason why they put rubbers at the end of pencils.“
Fleabag: „What, to fuck hamsters???“
Bo: „No, because people make mistakes!“
Alles drin also: Fies-bizarre menschliche Perversionen, Sarkasmus und doch ein paar rührselige Lebensweisheiten. Auch nicht fehlen darf die hin und wieder eingestreute Thematisierung von Feminismus als extrem komplizierte Lebenseinstellung, eine erfolgreiche, aber ebenso seelenverlorene große Schwester, eine tote Mutter, eine unangenehm künstlerisch-exzentrische Stiefmutter sowie ein emotional schwerbehinderter Vater. Und eine Episode im Schweigekloster.
Klingt alles klischeehaft, ist aber auf so britisch-awkwarde Weise unterhaltsam, dass man diese Serie auf keinen Fall gelangweilt mit ihren Genre-Genossen über einen Kamm scheren kann. Und merkwürdigerweise ist die Tatsache, dass die Protagonistin die ganze Zeit über direkt mit dem Zuschauer spricht, auch kein bisschen nervig.
Wo findest du die Serie?
Hierzulande auf Amazon Video.
Der Zeitaufwand?
Ziemlich genau drei Stunden. Die Serie hat nämlich nur sechs Folgen, die jeweils etwa 30 Minuten dauern. Perfekt also, um sich an einem Freitagabend mit ihr und einer Flasche Rotwein und sonst niemandem im Bett zu verabreden.
Wie kannst du das vor deinem Gewissen rechtfertigen?
Hier kommt das psychologisch hochwirksame Prinzip des, naja, wie nennt man es denn noch gleich, „sich nach unten Orientierens“ zum Einsatz. Will heißen: sich Filme oder Serien anschauen, in denen es gleichaltrigen Menschen aus einem ähnlichen Milieu genauso schlecht oder sogar noch schlechter geht als einem selbst, es aber trotzdem böse-lustig und charmant-cool erzählt wird, hebt das Selbstwertgefühl enorm. Man fühlt sich danach auf unerklärliche Weise besser. Im besten Fall richtiggehend stolz. Am Zahn der Zeit. En vogue! Man fühlt sich, wie eine von denen. Als sei man Lena Dunham persönlich. Oder Phoebe Waller-Bridges. Jetzt darf einem halt nur nicht einfallen, dass die aber gar nicht in echt ihre Protagonisten sind, sondern in Wahrheit Autoren-Superstars, die grad irgendwo alle zusammen Champagner saufen und sich totlachen darüber, dass sie mit den armen Schweinen, die sie in ihren Geschichten darstellen, gar nichts gemein haben. Oh Gott. Schnell noch ein Glas Rotwein einschenken und ganz laut Musik hören. Hoffentlich kommt bald die nächste Verlierer-Serie.
So fühlst du dich nach der Serie:
Naja, entsprechend.
Und jetzt?
Leere Rotweinflasche in die Küche stellen, zwei Gläser Wasser exen, Kopfschmerztablette einwerfen und morgen früh ein neues Leben beginnen.