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Die Liebe wird immer kapitalistischer

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 "Beziehungsunfähig" seien wir, sagen viele, chronisch unverbindlich und deshalb unglücklich. Aber gibt es das überhaupt: beziehungsunfähig? Und falls ja, wer ist das wirklich? In einer Serie suchen wir nach Antworten.

Eric Hegmann ist Therapeut, Coach und Autor. Sein Schwerpunkt: Die Arbeit mit Paaren. Und mit Singles. Die versucht er in Coaching-Terminen fit für eine Beziehung zu machen. Über das Thema hat er mehr als ein Dutzend Bücher geschrieben. Und er ist offizieller Parship-Coach. Der Mann kennt sich also mit der Liebe und der Suche danach aus.   

jetzt: Herr Hegmann, gerade hat der Begriff „Beziehungsunfähigkeit“ einen ziemlichen Lauf. Hat unsere Generation die Liebe verlernt?

Eric Hegmann: Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine ganze Generation beziehungsunfähig geworden ist. Ohne Beziehungen sind wir schließlich überhaupt nicht lebensfähig. Vermutlich liegt dem Gefühl ein einfaches Phänomen zugrunde: Grob betrachtet kann man die Menschen in drei Beziehungs-Typen einteilen – die Sicheren, die ungefähr die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, die Ängstlichen und die Vermeidenden, die machen je ein Viertel aus.

Die Ängstlichen haben das Gefühl, ganz dringend auf eine Beziehung angewiesen zu sein, die Vermeider dagegen ziehen ihre Individualität, persönliche Entwicklung und ihr Ego einer Beziehung vor. Das Problem: Die Ängstlichen und die Vermeidenden ziehen sich in ihrer Dynamik grundsätzlich schon gegenseitig an, werden miteinander aber nicht glücklich. Und das verstärkt sich durch das Internet, wo die beiden Typen noch häufiger und medial auch lauter aufeinandertreffen. Und vielleicht kommt es uns deshalb so vor, als wären wir heute nicht so beziehungsfähig.

Was meinen Sie mit "lauter"?

Damit meine ich die Dynamik. Sie ist spannend, sie euphorisiert und verfügt über Drama-Potenzial. Deshalb ist das ewige "Sie will eine Beziehung, er seine Freiheit" Standard in Film und Literatur und in jeder Frauenzeitschrift. Dabei ist das in der Geschlechterverteilung gar nicht richtig. Tatsächlich wollen sich Männer in Deutschland nur bis Mitte 30 eher nicht binden. Da planen viele Frauen bereits die Familie. Das führt zu Konflikten und dem Eindruck, vor allem die Männer wären die Beziehungsverweigerer. Das sind sie aber nur in diesem Alter. Später dreht sich das komplett und die Single-Frauen ab etwa Anfang 40 werden häufig zu sogenannten passiven Beziehungsverweigerern. Sie setzen entweder die Ansprüche an den Partner so hoch, dass es nie zu einer Beziehung kommen kann, oder sie lassen sich nur auf Partner ein, die nicht verfügbar sind, auf Urlaubsbekanntschaften oder vergebene Männer. In der Beratung erlebe ich diese Form von Beziehungsvermeidung sehr häufig. Allerdings hat es diese Altersgruppe auch besonders schwer, denn Männer auf Augenhöhe sind beispielsweise für Akademikerinnen kaum zu finden. 

Was sind in der Regel die Probleme und Defizite bei Menschen, die sich wirklich schwer tun mit der Partnersuche?

Menschen, die in früheren Beziehungen verletzt wurden und das als traumatisch erlebt haben, muss Partnersuche schwer fallen. Denn um sympathisch zu wirken, muss man Optimismus und Zuversicht ausstrahlen. Wer das nicht ausstrahlt, wird sich schwertun. Aber all das bedeutet nicht, dass diese Menschen beziehungsunfähig sind. Es gibt natürlich Personen, die sind nicht besonders sympathisch oder freundlich, aber trotzdem werden sie von anderen als liebenswert empfunden. Darüber darf auch niemand ein Urteil fällen. Schließlich gibt es keine gute oder schlechte Liebe, sondern nur glückliche oder unglückliche Beziehungen. Und Verhaltensweisen, die glücklich oder unglücklich machen. Wenn sich zwei Misanthropen zusammenfinden, dann können die durchaus eine glückliche Beziehung führen.

Gefühlt funktioniert die Liebe nach immer kapitalistischeren Prinzipien. Wir müssen uns verkaufen und dafür müssen wir etwas anzubieten haben: Geld, Macht oder Schönheit.

Das ist richtig. Und die sozialen Medien zwingen uns, die Kontrolle über unsere Außenwirkung vollständig zu übernehmen. Wir treten in den sozialen Medien alle sehr sozial erwünscht auf und erzeugen unseren Marktwert selbst durch die Art wie wir uns darstellen und welche Informationen wir über uns weitergeben. Wir sind alle Marketingagenturen unserer selbst geworden.  

Das Internet erschwert uns die Beziehungssuche also auch?

Das Internet tut uns jedenfalls in einem entscheidenden Punkt nicht gut: Es gibt eine Studie, die zeigt, dass Menschen vor allem dann in die die sozialen Netzwerke gehen, wenn sie sich langweilen und nicht so gut fühlen. Und dort sehen sie dann Bilder von tollen Paaren und deren herrlichem Leben. Die Diskrepanz zwischen den eigenen Gefühlen und dem, was wir uns anschauen, könnte kaum größer sein. Ich glaube nicht, dass es jemandem möglich ist, in diesem Moment nicht insgeheim zu vergleichen. Der sitzt dann auf dem Sofa und denkt: "Was mache ich eigentlich falsch in meiner Beziehung, warum sieht es bei mir nicht so herrlich aus?" Da würde es ganz guttun, häufiger zu realisieren, dass diese ganzen Informationen, die uns da geliefert werden, dramaturgisch aufgehübscht sind. 

Und wenn man sich einfach nicht besonders gut verkaufen kann?

Dann bleiben natürlich noch andere Möglichkeiten. Es gibt ja immer noch sehr viele Paare, die sich im Büro kennen und lieben lernen. Dort erlebt man sich in verschiedenen Situationen. Manche Studien sagen, dass es ausreicht, wenn sich zwei Menschen sympathisch sind. Erleben die sich lange genug, dann verlieben sie sich irgendwann ineinander.  

Wer kommt zu Ihnen, um sich für die Liebe coachen zu lassen?

Zu mir kommen die Menschen aus ganz unterschiedlichen Anlässen. Manchmal ist das ein runder Geburtstag, manche Klienten waren nach einer Trennung eine Zeit lang alleine und möchten jetzt langsam wieder neue Menschen kennen lernen. Die wissen dann nicht, ob das nur noch im Internet möglich ist, oder ob das auch noch im Café geht und wenn ja, in welchem. Ich arbeite häufig mit Singles, die immer wieder dieselben Muster erleben und feststellen, dass sie nach sechs Wochen Beziehung regelmäßig feststellen: das wird nichts.

Können sie diesen Menschen helfen?

Die Erfolgsquote beim Single-Coaching ist zumindest deutlich höher als bei der Paarberatung. Gerade das Muster „Ich gerate immer an die Falschen“ erlebe ich häufig und aus dem kommt man mit etwas Coaching relativ gut raus. Im Ablauf sind das vielleicht zwei Stunden Beratung, in denen wir etwas erarbeiten, das der Klient sofort ausprobieren kann. Ein kleiner Erfolg gibt bereits Selbstsicherheit zurück.

Wie sieht das konkret aus?

Ich arbeite zum Beispiel häufig mit sehr aktiven Single-Frauen um die 40, die tanzen, Kite surfen, Skifahren, Fitness und noch viel mehr machen, um einerseits attraktiv und fit zu bleiben und andererseits Kontakt zu anderen Menschen zu bekommen. Dennoch kommen sie bei all ihren Bemühungen nicht weiter. Weil sie immer das Gleiche, nur ein bisschen vehementer machen. Da könnte zum Beispiel ein Vorschlag im Coaching sein: Machen Sie nicht immer etwas für sich selbst, sondern mal was für andere. Ehrenamtliche Tätigkeit vielleicht. Und schauen Sie, was da passiert, wenn Ihnen auf einmal Dankbarkeit und nicht Bewunderung entgegengebracht wird. Das Erlebnis kann sehr viel nachhaltiger sein, als ein Wochenende im Spa zu verbringen – auch wenn das sehr wohltuend sein kann.   

Wie haben Online-Partnerbörsen unser Liebesverhalten verändert?

Angesichts der Tatsache, dass wir so viel Zeit im Netz verbringen, ist es ein Segen, dass man im Internet auch die Liebe finden kann. Die Online-Partnersuche ist die große Chance, Menschen kennenzulernen, denen man sonst nie begegnet wäre. Und neue Kontakte knüpfen muss man nun eben bei der Partnersuche. Natürlich lernt man da auch Menschen kennen, denen man im eigenen Umfeld aus guten Gründen nicht begegnet wäre. Wir müssen lernen, Sensoren zu entwickeln um zu verstehen, welche Kontakte uns guttun und welche nicht.

Verstärkt sich das bei bei einem Portal wie Tinder, das zunächst rein auf äußerliche Attribute setzt, alles noch?

Ich bin zwar kein großer Tinder-Freund, aber manchen Klienten habe ich schon empfohlen, sich dort ein Profil einzurichten – und zwar fürs Ego. Viele Singles sind frustriert von negativen Erfahrungen und denen tut gut endlich wieder zu erleben, dass andere Interesse an ihnen haben, dass sie begehrenswert und liebenswürdig auf andere wirken. Für die verbindliche Partnersuche halte ich Tinder allerdings für ungeeignet. Vor allem ab einem gewissen Alter ist eine Partnervermittlung die bessere Wahl. Denn bei Tinder ist das Auswahlkriterium ausschließlich die Ausstrahlung. Da fallen die nicht ganz so attraktiven Menschen hintüber. Denn bei Tinder geht es zunächst um Optik und sexuelle Anziehungskraft. Weniger attraktive Menschen brauchen aber mehr Zeit, um Menschen von sich zu überzeugen.

Das klingt traurig.

Weniger attraktive Menschen können aber mit einer positiven Ausstrahlung anziehend wirken. Wir verlieben uns schließlich nur in Menschen, die uns sympathisch sind. Attraktivität ist natürlich immer ein Bonus, aber es geht hauptsächlich darum, ob jemand fürsorglich, liebevoll, aufmerksam oder achtsam ist. Die Komponenten, von denen man weiß, dass man sie in Beziehungen braucht, sind langfristig die wichtigeren. Aber man muss sich natürlich die Chance geben, einen Menschen so gut kennen zu lernen, um all das an ihm zu entdecken.

Was sind nach Ihrer langjährigen Erfahrung die wichtigsten Komponenten für eine erfolgreiche Beziehung?

Ganz wichtig ist Vertrauen. Ob ich eine Person als vertrauenswürdig empfinde, würde ich als Schlüsselkriterium bezeichnen. Ganz wichtig ist auch ein gleicher, optimistischer Blick in die gemeinsame Zukunft.

Und welche Rolle spielt Sex?

Natürlich ist Sex wichtig, denn das ist vor allem Kommunikation zwischen den Partnern. Die Biologie unterstützt Paare, denn beim Sex werden Botenstoffe ausgetauscht, die für Bindung sorgen. Wenn die durch eine Trennung wegfallen, kommt es zu einem Entzug und zu Liebeskummer. Es tut einem Paar einfach gut, viel Sex zu haben. Wobei es bei der Frequenz kein Falsch oder Richtig gibt, sondern nur eine Häufigkeit, mit der sich beide Partner wohlfühlen. Nur kein Stress durch Vergleich mit Statistik oder anderen Paaren. Paare sind sowieso schon genug unter Druck gesetzt. Und wenn etwas sexuellem Erleben nicht guttut, dann ist das Druck.

Wichtig ist, dass Partner über ihre sexuellen Wünsche miteinander sprechen und sie gemeinsam ausleben können. Wenn man über seine Bedürfnisse nicht sprechen kann, wird das Liebesleben langfristig schwierig. Das Beste ist, wenn ein Paar die gemeinsame Sexualität als eine Art Hobby versteht und betreibt. Und es ist ein perfektes Hobby, denn wir haben bereits alles, was man dafür braucht – unsere Sinne, unsere Hände, unseren Körper; dazu ist Sex deutlich günstiger als Golf spielen und eine gemeinsame Beschäftigung, die Spaß macht.

Vielleicht langfristig auch noch an diese Texte binden:

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