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Berlinkolumne. Heute: Unter Radlern
An einem der letzten schönen Tage saß ich mit Freunden einen Nachmittag lang vor so einer Art Rennrad-Antiquariat herum: Ein groß gewachsener Engländer verkauft da in einer ruhigen Seitenstraße im Prenzlauer Berg alte Rennmaschinen, in erster Linie italienische Modelle aus den 60er-, 70er- und 80er-Jahren. Die stehen vor dem Laden auf dem Gehsteig herum und sind vor allem: schön und teuer. Am meisten begeisterte mich ein Rad mit goldenem Rahmen, weißen Reifen, weißem Lenkerband und weißem Sattel. Zum Glück war es mir etwas zu klein, sodass sich die Frage, ob ich dafür unfassbar viel Geld ausgeben soll, gar nicht stellte. Denn der Kauf, der wäre so eine Art Themaverfehlung gewesen. Für die Stadt ist so ein filigranes Ding eher ungeeignet. Für eine Stadt wie Berlin, in denen auf die Wünsche und Bedürfnisse der Fahrradfahrer nur so mittel Rücksicht genommen wird, erst recht. Außerdem besitze ich ein Fahrrad, sogar ein recht neues. Es ist blau, hat unfassbar viele Gänge und im Sommer noch einmal halb Oberbayern durchrollt. Zwei Wochen lang lag es in seine Einzelteile zerlegt im Hinterhof, weil die Sache nämlich die ist: Das Auseinandermontieren eines Fahrrads ist kein allzu großes Problem. Da aber wieder eine funktionale Logik reinzubringen, schon. Zumindest, wenn man so etwas noch nie vorher gemacht hat. Gute zwei Stunden kniee ich im Hofstaub, weil irgendeine Schraube, die das Hinterrad halten müsste, fehlt. Irgendwann stelle ich fest, dass ich sie bereits verbaut habe und mache alles neu. Diesmal arbeite ich aber so effizient, dass sogar eine schwarze, schön glänzende Mutter übrig bleibt, und rolle ölig, aber bester Dinge von meinem Hof auf die Danziger Straße.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Jetzt ist es ja so, dass in München auf die Bedürfnisse der Radler sehr eingegangen wird. Radwege allenthalben, beidseitig, bis auf ein paar hässliche Ausnahmen autobahnbreit und in bestem Zustand. Auch die Autofahrer haben sich angewöhnt, zumindest ein bisschen auf ihre Verkehrspartner einzugehen und halten vorm Abbiegen freundlich Ausschau. Nachdem in Berlin im Straßenverkehr ohnehin etwas improvisatorischer und handfester agiert wird, war mir schon klar, dass es da Unterschiede geben würde. Insofern ist auch die erste Erkenntnis eine recht logische. Schon an der ersten Kreuzung wird mir klar, dass Ampeln allenfalls als lose Empfehlungen zu verstehen sind. Und: Man muss doch recht häufig auf dem Gehweg oder auf der Straße fahren. Wenn ein Radweg da ist, wird der nebenher gerne als Lieferzone für die umliegenden Ladengeschäfte genutzt oder ist eine wild und uneben gepflasterte Hindernisstrecke. Ein paar Baustellen dazu, und das Ganze ließe sich auch als BMX-Trail verkaufen. Eines dürfte klar sein: Mit einem Edel-Rennrad von anno dazumal sollte man hier nicht operieren.
Ob man jetzt extra für Berlin eigene Hardware schaffen musste, ist dann doch die Frage. Aber unter www.berlin-rad.de wird es angeboten, das speziell auf die Bedürfnisse des Hauptstadtradlers zugeschnittene Velo. Herzstück ist der "Big Apple Reifen", der, so die Homepage, "vor dem gefürchteten Durchschlagen des Reifens ('Snake-Bite')" besser geschützt sei als schmalere Reifen. Nach einem Nachmittag auf dem Fahrrad stelle ich fest: Meine Reifen mögen schmaler sein, erledigen ihren Job aber auch ganz gut. Die Stressmacher sind andere. Meistens leider dann doch Autos. Das Taxi, das am Rosenthaler Platz aus vermutlich erzieherischen Gründen mit einem Abstand von kaum 20 Zentimeter an mir vorbei zieht. Später ein Hummer, so Message-mäßig ohnehin das genaue Gegenteil von einem Fahrrad, der mich bösartig Richtung Riesenpfütze abdrängt und auch noch hupt. Da denke ich das erste Mal über das Tragen eines Helms nach. Die Bemerkung eines Freundes, dass es mit Hamburg eine Stadt gäbe, in der Radfahren noch gefährlicher sei, ist ein schwacher Trost.
Übrigens: Maßgeblichen Anteil an der Tatsache, dass das Fahrrad überhaupt so heißt, hat ein Berliner: Ein gewisser Otto Sarrazin, der den wunderbaren Titel des "geheimen Oberbaurats" trug und dessen Urgroßneffe momentan als Finanzsenator mit etwas eigentümlichen Sparvorschlägen für Hartz-IV-Empfänger nicht nur Freunde gewinnt. Er plante nicht nur die Ringbahn, sondern war auch Sprachforscher. In seinem "Verdeutschungs-Wörterbuch" listete er Ende des 19. Jahrhunderts erstmals das Wort "Fahrrad" auf, womöglich erfand er es sogar. Darüber tobt seit Jahren ein erbitterter Historikerstreit. Einig ist man sich indes an einer anderen Front: In keiner deutschen Stadt werden so viele Fahrräder geklaut, wie in Berlin. 20.000 Diebstähle wurden im letzten Jahr zur Anzeige, knapp fünf Prozent davon wurden aufgeklärt. Fragt man die Berliner, was man dagegen tun könne, kommt als Antwort meistens: Absperren bringt nix. Geklaut wird jedes Fahrrad. Überall in Berlin, im Zweifel auch im abgesperrten Hinterhof. Die einzige Möglichkeit: Das Ding in der Wohnung aufbewahren. Rad schultern und vier Stockwerke nach oben tragen? Das würde ich vermutlich erst bei einem goldenen Wunderrennrad machen.
Text: jochen-overbeck - Illustration: Katharina Bitzl