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Berlinkolumne. Heute: Die Wohnung

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Eigentlich hätte ich es mir ja denken können: Andere Leute besichtigen auch Wohnungen, und zwar genau die, die auch auf meinem Zettel stehen. Zum Beispiel Marie und Felix. Die kommen aus irgendwelchen Mittelstädten in der norddeutschen Tiefebene, haben in Antwerpen studiert und zeichnen sich durch eine ganz wunderbare Systematik aus: Felix, ein hagerer Mittzwanziger mit scharrenden FlipFlops, schweigt, und die etwas weniger hagere Marie hat einen karierten Block, auf dem viele Adressen stehen, die am rechten Rand mit einem ausgeklügelten Punktesystem bewertet wurden oder noch werden. "Das ist unser 15. Besichtigungstermin", sagt Marie und erzählt, wo sie schon überall waren. Es klingt nach so einer Art Pilgerreise. Statt Wunderheilungen in Lourdes suchen sie die Erleuchtung im Helmholz- oder Bötzowkiez. Die ungeheure Ernsthaftigkeit, mit der die beiden sich an dieser Stadt abarbeiten, ist schon ein wenig beängstigend. Für das, was ich an ein, zwei Nachmittagen erledigen möchte, haben sie sich eine Woche frei genommen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Es liegt an Herrn P., dass ich mit meinem doch eher mäßigen Ehrgeiz letztendlich durchkomme. Der, das merkte ich schon am Telefon, ist ein bisschen wie ich. Er nimmt das mit den Wohnungen nicht besonders ernst, und das ist schon ein Problem. Denn Herr P. ist Makler und sollte berufshalber doch wenigstens ein bisschen seriös wirken. Nicht unbedingt wie der Typ am Vormittag in der Schönhauser Allee: Der wollte mir, Marie und Felix und zwei weiteren Pärchen sogar das stinknormale Waschbecken als "hochwertige Ausstattung" verkaufen. Aber eben auch nicht wie ein Schauspieler, der seinen Text vergessen hat. Etwas ratlos steht Herr P. jetzt vor mir und versucht, mit größtmöglicher Ernsthaftigkeit 60 Quadratmeter Prenzlauer Berg zu erklären. Dann sagt er, dass die Wohnung mit Balkon gewiss noch viel schöner wäre. Ich stimme zu und moniere weiterhin das Fehlen einer Badewanne. Nicht, weil ich so unfassbar gerne bade, sondern weil die Leute in Privat-TV-Formaten mit Titeln wie "Wohnung gesucht!" ja auch immer ein bisschen was zu meckern haben. Herr P. sagt, ich könne ja bei ihm baden. Ich weiß nicht, ob das ein missglückter Witz oder eine wirkliche Einladung ist und lasse den Satz lieber einmal im Raum stehen, der ist ja eh noch ganz leer. Dann öffnet Herr P. eines der beiden Wohnzimmerfenster und erklärt mir mit beiden Händen und einiger intepretatorischer Freiheit, wo genau die Stadt am schönsten sei. Ich habe von Anfang an versucht, den leidigen Stadtteildiskussionen aus dem Weg zu gehen. Natürlich, in meiner Abo-Liste bei Immobilienscout24 fanden sich nicht unbedingt Plattenbauten in Lichtenberg oder Schöneweide, auch das eigentlich so fein aussehende Loft im Wedding habe ich nach einem kurzen Umgebungscheck aussortiert. Aber ob ich jetzt in Prenzlauer Berg, Mitte, Kreuzberg oder Neukölln unterkommen würde, war mir herzlich egal, solange die üblichen Parameter stimmten: Zwei Zimmer. Altbau, eh klar. Abgezogene Dielen oder Parket, hohe Decken. Netter Blick aus dem Fenster. Eine Umgebung, in der ich morgens meine Tageszeitung bekomme und einen ordentlichen Milchkaffee, vielleicht auch noch das eine oder andere Lebensmittel. Ein guter Anschluss an den öffentlichen Nahverkehr, das alles für nicht allzu viel Geld. Wie ich mich also mit Herrn P. so umschaue, stelle ich fest: Genau das habe ich hier. Am besten gefällt mir der Focaccia-Laden im Erdgeschoss und die Straßenbahnlinie direkt vor der Haustür. Es ist fast ein bisschen schade, dass das Schlafzimmer nach hinten rausgeht: Sonst wäre das vom Feeling her wirklich genau wie in München. Ich werde die Wohnung nehmen. Am nächsten Tag sitze ich im Konferenzraum einer Hausverwaltung in der Gaudystraße. Gegenüber verschwindet Herr S., ein kleiner und etwas mürrischer Anfangsvierziger, beinahe in seinem marineblauen Anzug. Dass das Grundverhältnis zwischen Maklern und Hausverwaltern nicht ganz spannungsfrei sein würde, dachte ich mir. Dass ich plötzlich genau zwischen den Fronten sitze, nicht. Denn Herr P. kommt nicht nur eine Viertelstunde zu spät, sondern hat am Vortag auch ein Kellerabteil herbeifabuliert und weitere Dinge versprochen, die er gar nicht versprechen hätte dürfen. "Sie haben also dem Overbeck gesagt, er könne dann die Schlüssel gleich mitnehmen? Dass Sie das entscheiden, ist mir neu!" blafft S. mit verblüffender Wucht. P. schaut verschämt an die Wand, an der ein Kalender der Berliner Bank hängt. Später, als S. den Mietvertrag ("Lesen Sie ihn sich genau durch, Herr Overbeck!") kopiert und deshalb kurzfristig den Raum verlassen muss, beugt sich P. zu mir rüber und sagt: "Sehen Sie, er hasst mich. Er hat mir nicht einmal die Hand gegeben. Hat er Ihnen die Hand gegeben?" Sein Blick ist traurig. Dass ich ihm einen nicht unerheblichen Geldbetrag in die Hand drücke, scheint seine Laune ebenso wenig zu heben wie die Tatsache, dass ich am Ende natürlich doch noch den Schlüssel bekomme. Wir gehen noch gemeinsam zur Kreuzung vor, wo er nach links und ich geradeaus muss. Ich schaue ihm hinterher, wie er mit leichter Schlagseite und vermutlich deftiger Verspätung Richtung nächstem Besichtigungstermin läuft, das silberne Haar vom Wind zerzaust. Ich finde es fast ein bisschen schade, dass ich ihn nie wieder sehen werde.

Text: jochen-overbeck - Illustration: Katharina Bitzl

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