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Wenn der gute Wille zu Besuch kommt

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Als letzte Woche die Sonne zurück kam und so tat, als wäre sie nie weg gewesen, beschloss ich, kalt duschen zu gehen. Ich habe nämlich eine Wetterstation hinter der Küche. Da steht ein Klappstuhl, und wenn man sich draufsetzt, weiß man nach einer Zigarettenlänge ziemlich genau, wie das Wetter ist. Es war frühlingshaft und selbst im Schatten hing Speiseeisappetit. Warm duschen, das ist ja klar, verbraucht mehr Energie und Wasser als kalt, weil man viel länger warm duscht als kalt, wenn man nicht gerade in der Sauna war und eine zweifelhafte Einstellung zu seinem Körper hat. Ich habe keine Sauna. Aber vor mir stand nun dick und fett dieser Kaltdusch-Beschluss. Ich zündete mir noch eine Zigarette an und beobachtete einen übermotivierten Specht, der auf dem Spielplatz nebenan auf eine Zierkirsche einhämmerte.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Umweltschutz ist gnadenlos, der gute Wille zählt da gar nichts. Das ist wie bei Höflichkeit, die funktioniert auch nur, wenn man sie anwendet. Der bloße Wille reicht nicht. Es braucht Taten. Und auf dem Weg vom Wollen zur Tat steht immer ein Beschluss, der meist nicht ganz so groß ist wie der Wille, aber immerhin noch eine Ecke größer als alles, was ich morgens bei mir in der Wanne haben will. Der Kaltdusch-Beschluss war da und hämmerte an meinen Kopf wie ein Specht, um mich auszuhöhlen. Das Wetter blieb stabil und der Morgen schickte eine Hummel, die mit ihrem fröhlichen Hummelsound Lebenslust vermitteln sollte. Aber eine Hilfe war das nicht. Hummeln sterben im kalten Regen. Ich ging vorsichtig zum Badezimmer, aber drinnen stand mein dicker Entschluss und blockierte den Eingang. Er oder ich, beide passten nicht hinein. Und eigentlich wollte ich ihm nun zeigen, wer der Herr im Haus ist, denn wer war er denn schon ohne mich? Ich hatte ihn geschaffen, da konnte er mich doch jetzt nicht so angucken! Ich könnte ja auch ein Vollbad nehmen, was wollte er schon dagegen tun? So ein Entschluss ist ja wie Jan Koller: riesig, aber er nützt nur was, wenn er zufällig im richtigen Moment am richtigen Ort ist. Dachte ich. Denn mein Entschluss sah sich selbst ganz anders. Er hielt sich für eine Art Gandhi. Er ging aus dem Weg, aber nicht aus dem Zimmer. Er setzte sich einfach in die Ecke neben das Klo und sah mich an. Seitdem sieht er mich vorwurfsvoll an, wenn ich dusche. Ich versuche, nicht hinzugucken. Manchmal schaffe ich es. Aber meistens sehe ich zu, dass ich schnell wieder raus bin.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Der Autor ist Chefredakteur des Magazins IVY und schreibt auf jetzt.de die Kolumne "Wie ich beinahe die Welt gerettet hätte“

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