Hunderttausende Menschen haben in den vergangenen Wochen in amerikanischen Großstädten gegen eine geplante Verschärfung des Einwanderungsrechts protestiert. Die Demonstranten schwenkten mexikanische und US-Flaggen und forderten ein ständiges Aufenthaltsrecht und mehr Rechte für die rund 11,5 Millionen illegalen Einwanderer in den USA.
Derzeit sind weltweit so viele Menschen auf Wanderung wie nie zuvor. Das Wahlrecht ist in den meisten Ländern jedoch an hohe Hürden gebunden, weshalb immer mehr Menschen von der politisischen Partizipation ausgeschlossen sind.
Die Organisation Immigrant Voting Projekt kämpft deshalb für das kommunale Wahlrecht für Ausländer in der Global City New York.
In unserer neue Macht-Kolumne "Basishelden" stellen wir in Zukunft regelmäßig Menschen vor, die ihre Trägheit überwunden haben und sich politisch engagieren, um an der Basis etwas zu verändern. Denn: Macht kommt von machen.
Ron Hayduk, Dozent für Politische Wissenschaft an der City University, New York, und Mitgründer des "Immigrant Voting Projekt" füllt als erster unseren Basishelden-Fragebogen aus.
heinrich-geiselberger
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1. Was ist das Problem?
Die Tatsache, dass viele Immigranten in den USA keine politischen Partizipationsmöglichkeiten haben. Je nach Region haben zwischen zehn und 50 Prozent der Menschen wie etwa in New Mexico in diesem Land keine Stimme. Damit sind Einwanderer heute in einer vergleichbaren Situation wie Frauen bis 1920, Afroamerikaner bis 1965 und 18-Jährige bis 1971. Die politische Exklusion der Immigranten führt zu Diskriminierung, Ausbeutung und Unterdrückung von Einwanderern ohne Staatsbürgerrechte, von denen die meisten ganz unten in der Sozialstruktur der USA stehen. Dabei sind die amerikanische Regierung und die transnationalen Konzerne dafür verantwortlich, dass wir heute die größte Wanderungsbewegung der Geschichte erleben: Seit der Einführung des nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA haben viele Menschen in Mexiko ihre Existenzgrundlage verloren. Heute sind sie gezwungen, als illegale Immigranten in den USA für Armutslöhne zu arbeiten.
2. Wer sind die Bösen?
Fremdenfeinde, Rassisten, konservative Politiker und die Massenmedien, die oft einseitige Informationen verbreiten. Auch viele Unternehmen, die eigentlichen auf Immigranten als billige Arbeitskräfte angewiesen sind, aber verhindern wollen, dass die Einwanderer eine politische Stimme bekommen. Auch die Gewerkschaften haben die Einwanderer lange Zeit nur als unliebsame Konkurrenz wahrgenommen. Kein Wunder, dass die öffentliche Meinung lange Zeit gegen Immigranten war. Zum Glück beginnt sich das jetzt zu ändern.
3. Was macht Ihr dagegen?
Zunächst versuchen wir die Immigranten selbst zu mobilisieren und zu organisieren. Dann bringen wir unterschiedliche Gruppen zusammen: Migrantenorganisation, Bürgerrechtler, Kirchen, linke Gewerkschaften und Politiker. Daneben betreiben wir auch klassische politische Lobbyarbeit. So haben wir es im April geschafft, in New York City eine Gesetzesinitiative einzubrigen, mit der alle Einwanderer das kommunale Wahlrecht bekommen würden und damit in lokalen Angelegenheiten ein Mitspracherecht hätten.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Illustration: Julia Schubert
Ron Hayduk mit Megaphon bei einer Demo
4. Macht hat zwei Pole: Geld und Menschen. Worauf setzt Ihr?
Menschen.
5. Was habt Ihr bisher erreicht?
Zunächst haben wir Aufmerksamkeit für das Thema geschaffen und wir eine funktionierende Plattform für Menschen aufgebaut, die sich für die politischen Rechte von Einwanderern einsetzen wollen. Außerdem haben wir jede Menge Informationen über die Geschichte des Ausländerwahlrechts in den USA zusammengetragen, das bis in die 1940er Jahre viel liberaler war als heute. Wenn das Gesetz zum kommunalen Wahlrecht in New York wirklich umgesetzt würde, dann wäre das sicher bisher unser größter Erfolge.
6. Wann hättet Ihr Euer Ziel erreicht?
In dem Moment, in dem sich die allgemeine Haltung gegenüber Einwanderern grundlegend verändert hat. Wenn Medien, Parteien und Gewerkschaften sich selbst für die Interessen der Immigranten einsetzen und in diesem Land endlich ein liberales und vernünftiges Einwanderungsrecht herrscht.
7. Ist Basisarbeit nicht frustrierend?
Sicher, aber meistens gibt sie einem sehr viel zurück. Natürlich ist es oft hart, viele Stunden in dieses Projekt zu investieren, das wir ja fast ausschließlich ehrenamtlich betreiben. Und manchmal ist es auch frustrierend zu sehen, wie viele soziale Gruppen gegen uns sind. Aber trotzdem ist es sehr befriedigend, für sozialen Wandel zu kämpfen und jeder kleine Sieg schmeckt süß.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Illustration: Julia Schubert
8. Wie passt der kleine Konflikt ins große Bild?
Rassismus, Arbeitnehmerrechte und politische Exlusion sind auf der ganzen Welt ein Thema. Es gibt ein riesiges Potential für soziale Gerechtigkeit und für eine wirkliche Demokratie, an der sich alle beteiligen können und wollen.
9. Wie überwindet man Trägheit?
Ich habe meine Trägheit überwunden, als mir klar wurde, wie schlecht Einwanderer in diesem Land behandelt werden. Außerdem haben mich die Erzählungen von Immigranten begeistert, die mit großem Einsatz und großer Kreativität für soziale Gerechtigkeit und gegen politische Exklusion kämpfen.
10. Dein Rat für Sesselrevoluzzer?
Steht auf, engagiert Euch und bleibt an einer Sache dran! Der Durchbruch kann genau in dem Moment kommen, in dem alle die Situation für aussichtlos halten: Wer hat denn Ende der 1980er Jahre daran geglaubt, dass die Berliner Mauer fallen könnte? Und wer hat im Januar gedacht, dass im Mai Millionen von Immigranten in den USA auf die Straße gehen würden? Trotzdem erleben wir jetzt den Anfang einer neuen Bewegung für Arbeiter- und Menschenrechte, die die politische Landschaft in den USA und weltweit verändern kann.
Fotos: immigrantvoting.org