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Die erste Europäische Partei ist da: Die Newropeans

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Was ist das Problem? Der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog hat gerade einen offenen Brief geschrieben über die Probleme der Demokratie auf EU-Ebene. Die Machtfülle und die Einflussmöglichkeiten der EU-Institutionen, vor allem der Kommission und des Ministerrats, auf die nationale Gesetzgebung und Wirtschaftspolitik ist mittlerweile so groß, dass man dafür gleichzeitig eine große Legitimation braucht. Wenn das deutsche Parlament nur noch Richtlinien aus Brüssel in nationale Gesetze umwandelt, die eigentliche Gesetzgebung aber in Brüssel passiert, dann muss ich dafür sorgen, dass die in Brüssel auch wirklich von den Bürgern gewählt werden. In einem offenen Wahlkampf mit Spitzenkandidaten, mit Gewaltenteilung und mit Gremien, die dafür sorgen dass Missstände wie Bestechung in Untersuchungsausschüssen bearbeitet werden. So wie man das auf nationaler Ebene gewohnt ist. Was unterscheidet euch von den zigtausend anderen Initiativen, die sich für eine größere Transparenz in der EU oder eine größere Bürgernähe einsetzen? Wir sind die erste transnationale politische Bewegung mit Mitgliedern aus 15 europäischen Ländern. Wir wollen die Leute nicht nur auffordern, geht doch zur Europawahl, sondern wir wollen richtig rein ins System. Deshalb treten wir 2009 bei der EU-Wahl an. Aus dem Europäischen Parlament (EP) heraus wollen wir versuchen, das Parlament zu stärken und die EU zu verändern. Parteien sollen ja zur Meinungsbildung beitragen und sind ein wichtiges demokratisches Element. Aber auf EU-Ebene gibt es diese Parteien nicht. Im EP gibt es nur Parteienzusammenschlüsse. Bei den europäischen Sozialisten kann ich gar nicht Mitglied werden, sondern ich müsste hier der SPD beitreten und kann erst dann über verschlungene Wegen Einfluss auf die sozialistische Fraktion im EP nehmen. Wir gründen dagegen die erste wirklich europäische Partei, die transnational arbeitet. Wer uns wählt, weiß aufgrund unseres Parteiprogramms, wofür er sich entscheidet. Er kann damit aktiv an der EU partizipieren. Wie funktioniert eure Organisation? Das ist ja nicht ganz leicht, mit so vielen Leuten aus verschiedenen Ländern? Wir haben nicht eine Geschäftsstelle, die alles koordiniert, sondern in allen Ländern Mitglieder, die für unterschiedliche Bereiche zuständig sind. Ich kümmere mich um die Administration des Intranets, das ist unsere Diskussions- und Arbeitsplattform, über die auch unsere Programmdiskussionen laufen. Es gibt andere, die kümmern sich um das Übersetzungsnetzwerk. Wir brauchen sehr viele Übersetzer, weil wir nicht in einer Sprache kommunizieren und auch Englisch als einheitliche Arbeitssprache ablehnen. Auch unser Programm ist nicht von vornherein vorgegeben, sondern nur der Leitsatz „Demokratisierung der EU“. Dazu haben wir in langen Diskussionsrunden und Veranstaltungen in ganz Europa 16 Vorschläge entworfen. Aus diesen Vorschlägen erarbeiten wir gerade unser Parteiprogramm. Wir diskutieren die Entwürfe zunächst in mehreren Sprachen im Netz, auf der Mitgliederversammlung jetzt in Berlin wird der Stand der Diskussion besprochen und dann wird online von unseren Mitgleidern darüber abgestimmt.

Was steht denn in eurem Programm? Im Moment kann man da noch nicht allzu viel dazu sagen, weil wir das ja gerade erst erarbeiten. Im letzten Jahr haben wir drei Programmpunkte ausgearbeitet: Einwanderungspolitik, Bildungspolitik und europäische Regierung. In der Bildungspolitik fordern wir zum Beispiel, den europäischen Austausch durch Förderprogramme zu stärken und wir wollen die Erziehung zur Mehrsprachigkeit fördern. Nur wenn man sich auch verständigen kann, kann ein europäisches Bewusstsein und Demokratie auf EU-Ebene überhaupt entstehen. Außerdem fordern wir, europäische Eliten auszubilden, die Europa auch wirklich regieren können. Ein Kritikpunkt ist, dass die EU die Bodenhaftung, den Kontakt zu Bürger verloren hat oder vielleicht noch nie hatte. Wie wollt ihr das ändern? Wir glauben, dass eine funktionierende Parteiendemokratie auf EU-Ebene da weiterhelfen könnte, auch wenn das natürlich kein Patentrezept für alles ist. In Deutschland wenden sich die Menschen ja auch von der Politik ab, obwohl es eine Parteiendemokratie gibt. Wir versuchen selbst viel Kontakt zu Bürgern in ganz Europa zu haben und dadurch dass bei uns jeder mitmachen kann, haben wir natürlich mehr Bodehaftung. Es gibt innerhalb unserer Partei auch keine Hierarchien, wo man sich jedes Mal, wenn man eine Stufe nimmt, weiter von der Basis entfernt. Unser Programm wird nicht von Delegierten gemacht, sondern von allen. Wer sind die Bösen? Das Kernproblem ist immer stärker der Konflikt zwischen den nationalen und den europäischen Interessen. Die europäischen Interessen werden sehr stark von der Kommission gesehen und vertreten, die nationalen von den nationalen Ministern, die im EU-Rat aber EU-Politik machen. Da passiert es oft, dass Dinge, die national nicht durchsetzbar sind, über die Hintertür Europäischer Rat verabschiedet werden und man dann wieder nach Hause kommt und sagt: Das wurde auf EU-Ebene beschlossen, jetzt können wir nicht anders. Das ist wie ein trojanisches Pferd. Die EU-Verfassung wollte dieses Ungleichgewicht ja in Angriff nehmen und wollte so was wie eine Regierung und einen Außenminister etablieren. Das ist gescheitert. Wie sieht euer Vorschlag aus, die EU demokratischer zu machen? Wir wollen eine europäische Regierung, die vom europäischen Parlament gewählt wird, so wie in Deutschland auch. Wir wollen, dass das EP anders zusammengesetzt ist und es eine zweite Kammer gibt – den Kongress. Dieser besteht zur Hälfte aus Mitgliedern des Europäischen Parlamentes und zur anderen Hälfte aus Mitgliedern der nationalen Parlamente oder der nationalen Regierungen. Wir haben aber keine Vorschläge zur Verfassung oder dazu, wie der Prozess wiederbelebt werden soll, denn uns geht es um mehr. Für uns ist das momentan kein Thema. Warum nicht? Wir versuchen Schritt für Schritt Dinge zu verändern und Themen in die Bevölkerung zu tragen, dann wird irgendwann die Zeit reif sein für eine Verfassung, die dann auch von den Bürgern ratifiziert wird. Wir wollen die EU von unten, durch die Ideen der Bürger, verändern, nicht durch eine Verfassung.

Wie überzeugt ihr die Leute vom Mitmachen? Unsere lokalen Netzwerke haben Blogs, über die auf Termine und Veranstaltungen hingewiesen wird. Zudem gibt es ein Online-Magazin mit aktuellen Artikeln und Beiträge zu Europa. Auf lokaler Ebene organisieren den „Democracy-Marathon“: Letztes Jahr haben wir 60 Veranstaltungen in ganz Europa gemacht, dieses Jahr sind 500 geplant. Das Ziel ist, an die Basis zu gehen, um zu erfahren, was die Menschen über Europa denken, was für unsere Programmarbeit wichtig ist, und natürlich, um uns bekannt zu machen und zu zeigen, das wir was bewirken können und eine interessante Idee haben. Was habt ihr bisher erreicht? Die eigentlichen Ziele, wie ins Parlament zu kommen und europäische Politik zu beeinflussen, da kann man noch wenig sagen. Aber wir haben es geschafft, ein europäisches Netzwerk aufzubauen, wir haben auch in Deutschland in allen Regionen Mitglieder und haben eine funktionierende Infrastruktur aufgebaut. Erst jetzt können wir mehr Mitglieder aufnehmen, weil das Intranet funktioniert und das Übersetzungsnetzwerk. Die nächsten Schritte sind die großen Programmpunkte Außenpolitik, Wirtschaft und Soziales. 2008 beginnt dann die Phase, in der wir wirklich in die Politik eingreifen. Wann könnt ihr wieder nach Hause gehen? Wenn sich die Institutionen der EU verändert haben, wenn demokratische Prozesse so stattfinden, wie man sie auf nationaler Ebene kennt und wenn andere Parteien unsere Funktionsweise kopiert haben. Wir wollen ein Exempel statuieren und zeigen, dass man transnational arbeiten kann. Vielleicht hat das einen ähnlichen Effekt wie damals bei den Grünen in den 80ern, dass die etablierten Parteien nachziehen und ähnliche Strukturen aufbauen, dann hätten wir schon ein Ziel erreicht. Wir sagen offen, dass die Newropeans ein Projekt auf Zeit sind. Wir wollen nicht wie die Grünen auch dann weitermachen, wenn wir unsere Ziele erreicht haben. Ist Basisarbeit manchmal frustrierend? Ja sicher. Das liegt aber nicht an der Basis, sondern daran, dass man sich um alles kümmern muss. Manchmal ist es sicher viel bequemer, in irgendwelchen Ausschüssen seine Statements abzugeben. Wir müssen stattdessen die Pappteller für die Party am Samstagabend besorgen. Und das in der Freizeit neben der normalen Arbeit. Das ist schon anstrengend. Hast du einen Rat für Sesselrevoluzzer? Man hat bei uns die Möglichkeit auch am Abend im weichen Sessel den Laptop aufzuschlagen, Menschen zu erreichen und entweder an der Meinungsbildung oder bei der Infrastruktur mitzuwirken, indem sihc in Diskussionen einmischt oder bei der Übersetzung und Formatierung von Texten mithilft. Man kann also ganz gemütlich von Zuhause aus Revolution machen. Ihr habt einen Salamander als Logo - warum? Wenn man die EU-Karte auf den Kopf stellt, kann man unseren Salamander sehen, der auch auf dem Kopf steht. Das war die Idee. Aber der Salamander ist in der Renaissance auch als Symboltier verwendet worden und die Renaissance als Zeit des Wiederaufbruchs und des neuen Erwachens, das passt zu uns. Außerdem ist der Salamander ein widerstandsfähiges, aber kein aggressives Tier. Es verliert vielleicht mal den Schwanz, aber der wächst dann wieder. Wir sind also auch auf Rückschläge eingestellt, lassen uns aber nicht unterkriegen. Am Freitag findet in Berlin um 19:30 in der artMbassy eine Newropeans-Diskussion zum Thema "Europas neue Avantgarde: Grenzen überschreiten" statt. Hier geht's zur Democracy-Marathon-Karte mit bereits geplanten Veranstaltungen. Foto: Mathias Freudigmann; Illu: Oliver Sperl

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