Das KiezBoom-Team
Hallo Murat, hattest du früher häufiger Ärger in deinem Kiez?
Als ich jung war, hatte ich ziemlich viele Probleme, die Jugendlichen damals waren viel gewaltbereiter als heute und jeder hat nur seinen eigenen Film gefahren. Wir hatten überhaupt nicht die Möglichkeiten, die ein Jugendlicher im Moment hat. Heute ist alles einfacher, aber leider leben wir in einer Null-Bock Gesellschaft. Deshalb muss man die Jugendlichen mehr animieren, eigentlich haben die alle nur Luxusprobleme.
Und was macht ihr von "KiezBoom" dagegen?
Wir helfen den Jugendlichen: Wir warten nicht lange, sondern wir versuchen Probleme schon im Vorfeld zu erkennen und zu regeln. Wir bestehen aus etwa 20 ehrenamtlichen Mitgliedern, die sich in Projekten wie Streetsoccer-Turnieren, Antigewalt-Training oder den Cool-Steps engagieren.
"CoolSteps" heißt, dass ihr durchs Wedding lauft und mit den Leuten über ihre Probleme redet?
Genau, bei dem Projekt sprechen wir Jugendliche direkt auf der Straße an und fragen, was für Probleme sie haben. Dann machen wir einmal die Woche ein Meeting mit ihnen. Dort versuchen wir herauszufinden, was ihre Interessen sind und wie wir sie am besten fördern können – zum Beispiel durch Workshops oder Kampfkunst.
Wieso ausgerechnet Kampfsport?
Oh Mann, so was muss ich mir immer von Reportern anhören! Die Leute haben so ein falsches Bild von Kampfkunst! In erster Linie ist es wichtig, sich selbst kennenzulernen und sich selbst zu lieben. Die Jugendlichen lernen ihre Grenzen kennen, beschäftigen sich mit sich selbst und verlieren ihre Berührungsängste zu anderen Mitmenschen. Viele sind sportfaul, wir versuchen ihnen etwas Biss zu geben. Weil die Leute sich hier langweilen, haben wir jeden Tag irgendwelche Prügeleien auf der Strasse. Die Jugendlichen sollen lernen, wie eklig sie zu anderen und zu sich selbst sind.
Was ist denn das größte Problem?
Die Drogen. Keiner redet gern darüber, aber die Drogenproblematik ist sehr hoch in Wedding. Dazu kommen zwischenmenschliche Probleme. Viele Familien haben einen vorgeschriebenen Weg für ihre Kinder: Zuerst Schule, danach Ausbildung oder Studieren. Die Jungs und Mädchen haben aber gar keinen Bock mehr darauf, die wollen lieber rappen oder sprühen. Wir reden dann mit den Eltern und erklären ihnen, dass jeder seinen eigenen Weg gehen muss.
Und ihr helft ihnen dabei?
Genau. Wir arbeiten mit internationalen Künstlern zusammen, die den Jugendlichen Workshops geben. Sie können bei uns diverse Sprühtechniken lernen und diese auf legalen Wänden ausprobieren.
Gibt es auch Leute, die nicht so gut auf euch zu sprechen sind?
Ja natürlich, die Drogendealer. Die finden es nicht gut, dass wir Leute darauf aufmerksam machen, was für ominöse Geschäfte hier auf den Strassen getrieben werden.
Was unterscheidet euch denn von anderen Organisationen und Streetworkern?
Wir sind authentisch und wir sprechen die selbe Sprache wie die Leute auf der Strasse. Wir sind keine 50-Jährigen, die jemanden zum Töpferkurs einladen, sondern ein Kultsymbol für die Jugendlichen. Mein Bruder ist vierfacher Weltmeister im Breakdance, viele meiner Kollegen sind beim Ringen und Boxen in der Bundesliga. Wir haben eine hohe Vorbildfunktion – und das machen wir uns zunutze.
Warum gibt es nicht mehr Vereine wie euch?
Das ist natürlich ein gesellschaftliches Problem: Es gibt nur wenige Leute, die sich sozial engagieren wollen und das dann auch umsetzen. Dazu kommen die Behördengänge, vor denen viele unserer ausländischen Mitbürger Angst haben. Viele von ihnen kommen einfach mit dieser Struktur nicht klar.
Was habt ihr bisher erreicht?
In unseren Einrichtungen betreuen wir über 400 Jugendliche, bei großen Veranstaltungen sind es bis zu 1000. Wir haben viele von ihnen auf eine andere Spur gebracht und ihnen neue Möglichkeiten aufgezeigt – und das merkt man. Seitdem wir durch die Strassen gehen, gibt es hier viel weniger Gewalt.
Gehst du, seit du bei Kiezboom bist, anders durch dein Viertel?
Na selbstverständlich! Ich bin doch ein Vorbild!
Wann könnt ihr nach Hause gehen?
Warum denn nach Hause? Wir haben doch gerade erst angefangen!
Text: christoph-gurk - Foto: kiezboom.de