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Auf dem Banana-Pancake-Pfad 5: Sex auf Reisen ist ein Mythos
Ich finde Hippies zwar sympathisch, aber ich stehe nicht auf sie. Mir sind Hippie-Frauen tendenziell zu haarig, zu verpeilt, zu ist-mir-doch-scheißegal-wie-ich-aussehe. Aber sie gefiel mir: Ihre Dreadlocks – so massiv wie die Haare von Marge Simpson – standen im Kontrast zu ihrem zierlichen Körper, ihre Augen waren groß und dunkel, ihre Figur makellos und außerdem mochte ich die Kette um ihr rechtes Fußgelenk und die Tatsache, dass ihre Fußnägel lackiert waren. Dreadlocks und lackierte Fußnägel! Das ist wie bekifft auf der Berlinale sein oder mit einem verrosteten VW-Bus vor der Deutschen-Bank-Zentrale parken. Ich mag solche Brüche. Sie und ich, stellte ich mir vor, wir könnten am Meer leben, in einer kleinen Bambushütte wie in dem 80er-Jahre-Kitschfilm „Die blaue Lagune“ oder gleich wie Adam und Eva – Liebe ohne soziale Konventionen, ohne Schranken, nur wir beide alleine in einem fremden Land!
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
In jedem Backpacker-Buch oder Film geht es um Sex. In Moomlatz will eine junge Israelin ihre Jungfräulichkeit verlieren und das geht ihrer Meinung nach nirgendwo besser als auf Reisen. In „The Beach“ steht Leonardo di Caprio auf diese Französin und die Campchefin auf ihn. In „Hotel Very Welcome“ versuchen zwei Engländer den ganzen Urlaub nichts anderes, als Backpackerinnen aufzureißen.
Man könnte meinen, der Banana-Pancake-Pfad sei eine einzige großartige Orgie, auf der sich junge Menschen aller Welt treffen, um sich miteinander zu vereinigen. Dass da Italiener mit Deutschen und Amerikanerinnen mit Polen und Engländer mit Schweizerinnen und Schweden mit allen, weil jeder die Schweden am schönsten findet.
Alle schmeißen ihre Gene in einen bunten Pool hinein und lieben sich in kleinen windschiefen Bambushütten, als ob es kein Morgen gäbe; im Hintergrund rauscht sanft die Brandung und ein Affe schreit zärtlich durch die tropische Nacht. Aber so ist es nicht.
Tatsächlich wird überhaupt nicht viel gefickt.
Das hört sich jetzt frustriert an, aber es ist die Wahrheit. In jedem stationären Umfeld haben Leute mehr Sex als in diesem provisorischen „Where-are-you-from? How-long-do-you-stay-here? Where-do-you-go-next?“-Hostel-Ambiente. Entweder nämlich sind Backpacker als Paare unterwegs. Paare haben Sex, aber nur in den seltensten Fällen nicht untereinander. Oder gleichgeschlechtliche Backpacker sind zu zweit unterwegs, aber so aufeinander fixiert, dass Sex mit einer dritten Person einen schwer wiegenden Vertrauensbruch darstellt, der den weiteren gemeinsamen Verlauf der Reise gefährdet. An große Gruppen kommt man nur schwer heran, weil immer einer der Gruppe insgeheim schon länger ein Auge auf die Person geworfen hat und deswegen aktives „Cockblocking“ betreibt. Mit Alleinreisenden könnte theoretisch am meisten gehen, aber unter ihnen befinden sich die meisten Esoteriker und solche mit Selbstfindungsmission. Sex stört die Selbstfindung, weil Sex nur alles durcheinander bringt. Weitere Gründe für das Nicht-Ficken sind: Ein Partner daheim, den man in den nächsten sechs Monaten auf keinen Fall betrügen will, Magen-Darm-Erkrankungen, zuviel gekifft, Diskussionen über den Nahost-Konflikt und Einheimische an der Rezeption, die ihrem Auftrag, Unzucht zu unterbinden, rigoros nachkommen.
Was bleibt, sind seltene One-Night-Stands zwischen von Mekong-Whiskey betrunkenen Personen, deren Unterwäsche das letzte Mal vor drei Wochen in einer Waschmaschine war. Weil die Wände nur aus Sperrholz sind, weiß das ganze Hotel über die Paarung Bescheid. Anschließend klebt und stinkt alles. Am nächsten Morgen addet man sich noch auf Facebook und fährt alleine weiter.
Ich habe das Mädchen mit den lackierten Fußnägeln schließlich angesprochen. Sie saß mit mehreren muskulösen dunkelhaarigen Männern um einen Plastiktisch herum, trank Bier und rauchte Zigaretten. Der Fuß mit den rot lackierten Zehnägeln ruhte auf dem rotem Plastikstuhl, der andere grub im Sand herum. Ein Glühwürmchen hatte sich gerade in einem ihrer Dreads verfangen. Ich fragte:
„Where are you from?“
„Israel“
Das klang herb, geheimnisvoll, selbstbewusst.
Ich sagte: „Israel – I’ve been there last year!“
„Oh really! Where?“
„Tel Aviv, Jerusalem and the West Bank“
Einer der muskulösen Hünen am Tisch streckte seine riesige Brust nach vorne und sah mich an. Mit tiefer, voller Stimme sagte er: „Why did you visit the terrorists?“
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„Listen“, sagte sie. „Tomorrow I leave, tonight I only want to smoke weed, my friends don’t want to talk to you, I miss my boyfriend at home and you look like shit. So please, fuck off!“
Ich ging und später ging auch sie. Hand in Hand mit dem blonden Schweden vom Nebentisch. Im Dschungel kreischte ein Affe durch die Nacht.
Text: philipp-mattheis - Illustration: Katharina Bitzl