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Auf dem Banana Pancake Pfad 16: Zusammen einsam

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James war frei. Er lief über den Strand, sprang hin und wieder wie ein Kaninchen, Haken schlagend in die Höhe, während er mit den Händen das blaue Buch zerriss. „Ich brauch es nicht, ich bin frei, ihr braucht es alle nicht!“ Er lief und riss und riss und lief, bis das Rauschen der Wellen seine grelle Stimme verschluckte und die dünnen Seiten des Lonely Planets „Central America on a shoestring“ vom Wind auf den Pazifik hinausgetrieben worden waren. Jurek und ich baumelten weiter in unserer Hängematte. „Er übertreibt“, sagte Jurek mit osteuropäischen Akzent. „He is a bit krrazy.“ James Ausraster war eine Diskussion vorangegangen: Seitdem er Neuseeland vor neun Monaten verlassen hatte, war kein Tag vergangen, in dem er nicht in dem blauen Buch geblättert hatte. Es war ihm zur Bibel geworden, es sagte ihm, welches Hotel er aufsuchen solle und wie viel der Bus zum nächsten Hotel in der nächsten Stadt kosten würde. Es informierte ihn über Geographie, Geschichte und Gebräuche des Landes, das er gerade bereiste. In ihm stand, welche Gegenden von Mexico City, Managua und Tegucigalpa er besser mied und wo man den billigsten Tauchkurs machen konnte. In diesem Buch stand schlicht alles, was man bei einer Reise auf dem Banana-Pancake-Pfad wissen muss. Mehr noch: Dieses Buch war der Banana-Pancake-Pfad selbst. Nach neun Monaten Reisen, vier Bier und zwei Tacos war James das am Strand von Mazunte klar geworden. Plötzlich leuchtete ihm ein, weshalb er ständig an jedem Ort Schweizer, Deutsche, Tschechen, Israelis und Engländer traf, weshalb sie immer in denselben Hotels wohnten wie er und just immer genau dieselbe Maya-Pyramide besichtigen wollten. Ihm wurde auch klar, weshalb neben ihm in der Hängematte Jurek und ich lagen. Ein Strandköter jagte bellend einer im Wind flatternden Seite hinterher, James war zu einem kleinen wütenden Bündel am Ende des Strandes geworden.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

1972 reisten Tony und Maureen Wheeler überland von Europa nach Australien. So ging damals die Hippie-Route: Amsterdam, Istanbul, Kathmandu, Goa, Bangkok. Nach etlichen holprigen Busfahrten, Kamelritten und Übernachtungen bei afghanischen Bauern kommen sie schließlich in ihrer Heimat in Australien an. Die nächsten Monate verbringen sie damit, ihre Erfahrungen in Form eines Reiseführers zu veröffentlichen. 1973 kommt der erste Lonely Planet „Southeast Asia on a Shoestring“ in die Buchläden. Er richtet sich ausschließlich an Individualtouristen, Backpacker, Hippies, die reisen, aber dabei so wenig wie möglich Geld ausgeben wollen. Heute, 37 Jahre später liegt die Auflage des Lonely Planets bei 55 Millionen. Es gibt 650 Titel in 14 verschiedenen Sprachen. Es gibt das „Kisuaheli-Phrasebook“ und eine Ausgabe für das Sultanat Brunei. Es gibt Internet-Foren, Lonely-Planet-Schlafsäcke und DVDs. In der Deutschland-Ausgabe werden Deutschlands einzige ethnische Minderheit, die Sorben, genauso vorgestellt wie die Nacktbader am Münchner Eisbach. Es gibt Tipps für Schwule, Schwangere und Behinderte. Lonely Planet ist ein Imperium. Noch immer aber ist er die blaue Bibel für Individualtouristen. Allein: Der Individualtourist fühlt sich nicht mehr so individuell, wenn er seine Zeit mit anderen Individualtouristen verbringen muss. An jedem, im Buch der Individualtouristen erwähnten Ort, warten bereits dutzende (oder wie auf Bangkoks Khaosan- Road tausende) andere Individualtouristen mit dem blauen Buch in der Hand. Der Lonely Planet übernimmt dabei gerne die Funktion des Handys, welches dieses für Wartende daheim hat: Jede freie Minute wird dafür genutzt, nochmals etwas nachzulesen, zu checken und zu planen. In jedem Cafe egal ob Panama, Bangkok oder Marrakesch sitzen junge Menschen in dieses eine Buch vertieft. Es ist ihr Erkennungszeichen, ihr sicherer Felsen auf einer unsicheren Reise, ihr unverzichtbares Vademecum. Backpacker, die ihren Lonely Planet verlieren, erleiden denselben Panikschub, der Daheimgebliebenen widerfährt, wenn sie gerade feststellen, ihr Handy verloren zu haben. Jurek und ich hatten uns gerade noch ein Bier bestellt, wortlos glotzten wir auf die gewaltige Wellen, in denen angeblich mindestens einmal im Monat ein betrunkener Backpacker ertrank (stand im Lonely Planet Mexico). Es war etwa eine Stunde vor Sonnenuntergang, als James zurückkam. Sein nackter Oberkörper glänzte vor Schweiß, seine Zunge hing wie bei einem Hund ein Stück weit aus seinem Mund heraus, doch ansonsten strahlte James. „Die letzten neun Monate waren Mist“, sagte er. „Es war nicht meine Reise: Ich habe gesehen, was andere gesehen haben und habe dort übernachtet, wo andere geschlafen haben, ich bin auf den Pfaden anderer gereist. Ab heute wird das alles anders werden!“ James verkündete uns, dass er Mazunte morgen verlassen werde. Er wolle Richtung Chiapas und dann Guatemala oder Belize, ach eigentlich sei es ihm egal wohin. Hauptsache weg und ohne dieses elende Buch unterwegs sein. Gleich morgen werde er den ersten Bus nehmen. „Wisst ihr, um wieviel ihr Uhr der erste Bus Mazunte verlässt?“, fragte er. „Moment“, sagte Jurek. Er griff unter seine Hängematte, blätterte in einem blauen Buch und sagte dann: „Hier steht um 6.30 Uhr.“

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