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Auf dem Banana Pancake Pfad 15: Wer ist Mohammed?

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Ich glaube nicht an den Himmel und deswegen auch nicht an die Hölle. Aber wenn es die Hölle gibt, dann stelle ich mir sie so vor wie den Busbahnhof von Tetouan. Tetouan ist eine Stadt, in die niemand will, aber jeder kommt. Weil die Busse von Tangier auf dem Weg nach Chefchaouen im marokkanischen Rif-Gebirge dort einen Zwischenstopp machen. Der Bus fuhr in eine gewaltige, dunkle Betonhalle hinein, in der ungefähr 40 andere Busse standen. Kein Fahrzeug fuhr, aber alle Motoren liefen. Es stank, es war dunkel, es war laut. Fast alle Marokkaner verließen den Bus. Ich wollte aber nicht aussteigen, weil sich vor meinem Fenster zwei Berber prügelten und eine ältere Frau einem entflohenen Huhn hinterherlief. Zuerst kam ein kleiner Junge zu mir, warf mir Kekse auf den Schoß und schrie mich auf Arabisch an. Ich warf ihm die Kekse wieder zurück, woraufhin er sie mir an den Kopf schmiss. Das ging noch ein paar Male hin und her. Dann verschwand er wieder. Anschließend erschien ein freundlicher, älterer Herr, der sich mir als „Patron“ des Busbahnhofs vorstellte. Er sagte in einem Spanisch-Französisch-Kauderwelsch, dass er mich gesehen hätte, wie ich mit Mohammed Haschisch geraucht hätte. Ich sagte, dass das nicht sein kann, weil ich Mohammed gar nicht kenne. Dann fragte er mich, ob ich damit sagen will, Mohammed sei ein Lügner. „Auf keinen Fall“, beteuerte ich, „ich kenne bloß keinen Mohammed.“ Das sei jetzt auch egal, meinte der Chef des Busbahnhofs. Auf jeden Fall müsse ich eine Sicherheitsgebühr entrichten, sonst müsse er der Polizei erzählen, dass ich mit Mohammed Haschisch geraucht habe.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Man muss dazu sagen, dass das Rif-Gebirge, in das ich unterwegs war, das größte Haschisch-Anbaugebiet der Welt ist. Die Berber bauen es dort seit Jahrhunderten. Links und Rechts und überall, wohin man geht, wachsen Haschischpflanzen. Die Berber rauchen es in langen Pfeifen in französischen Cafes sitzend. Offiziell ist es natürlich verboten, aber wenn die Regierung den Anbau unterbinden würde, würde tausende Bauern ihre Existenzgrundlage verlieren. Und diese Berber sind für ihre Aufmüpfigkeit bekannt. Auf jeden Fall ist das Rif-Gebirge, für jeden, der sich nur ansatzweise für Haschisch interessiert, ein hochinteressanter Ort. Es macht natürlich überhaupt keinen Sinn, in ein fremdes Land zu fahren und die ganze Zeit Drogen zu nehmen. Dann kann man ja gleich daheim bleiben. Es geht ja beim Reisen schließlich um „Primärerfahrungen“, um richtige Erlebnisse: Natur, Menschen, fremde Kulturen, neue Eindrücke, faszinierende Tempel! Solche Sachen eben... Aber der Ehrlichkeit halber muss man auch sagen: Es gibt kaum bessere Gelegenheiten, Zeugs auszuprobieren, dass man daheim nie anfassen würde. Die Droge ist aus dem sozialen Kontext herausgerissen, man muss sich nicht zu einem unsympathischen, schmierigen Dealer auf eine verschlissene Couch setzen und nach und nach in ein Milieu zu rutschen, in dem alle Pickel und schlechte Zähne haben. Der Rausch, sei es Haschisch in Marokko, Kokain in Kolumbien oder Opium in Laos, bleibt geparkt in einem fremden Land, gespeichert im Gehirn an einem Ort, an dem man wahrscheinlich nie wieder sein wird. Das Setting ist fast immer großartig und am nächsten Tag verlässt man den Ort und die Droge wieder, ohne beides jemals wiederzusehen. Es bleibt genauso ungewöhnlich und absurd, wie eine 48-Stunden-Zugfahrt dritter Klasse. Würde man sich daheim auch nie antun. Die landestypische Droge wird einem angeboten von einem kleinen, grinsenden Laoten, der früher einmal Eisverkäufer war und wegen der Backpacker die Branche gewechselt hat. Oder von einem argentinischen Kokainisten, der gerade nicht allein sein will. Oder von Mohammed. Nachdem der freundliche ältere Herr wieder gegangen war, besuchte mich ein junger Mann mit viel Dreck im Gesicht und hielt mir 20 Gramm Haschisch unter die Nase. Er habe gehört, ich sei interessiert. Schließlich kamen noch zwei kleine Kinder, die mich um Geld anbettelten. Nach einer Stunde fuhr der Bus endlich weiter. Neben mir hatte eine alte Frau Platz genommen. Auf dem Schoß trug sie eine zugeschnürte Plastiktüte. Darin waren fünf Hühner, die ab und zu lethargisch gurrten oder sich gegenseitig mit ihren Schnäbeln behackten. Ich bekam ein wenig Platzangst, denn die Frau war sehr dick. Dann endlich, nach zwei Stunden Dunkelheit, Lärm und Langeweile, verließ der Bus die Hölle. Die ganze Fahrt fragte ich mich, welchen Mohammed der ältere Herr wohl gemeint hatte. Im Kopf ging ich alle Mohammeds durch, die ich in meinem Leben kennengelernt hatte. Mir fiel nicht ein, wen er gemeint haben könnte. Später war es mir dann egal.

Text: philipp-mattheis - Illustration: katharina-bitzl

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