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Werbetexter verkaufen sich. Das geht in Ordnung, sagt unser Autor

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Plötzlich saß ich da und war glücklich. Ich hatte die Lehre bei Siemens Nixdorf abgebrochen. Ich hatte mich für Philosophie eingeschrieben. Ich hatte die grauen SAP-Masken hinter mir gelassen, die komplizierten Menüs und die vielen Felder, in die man Zahlen eingeben musste. Immer nur Zahlen, die für Banken im Hunsrück standen, für Geldautomaten oder für Lieferumfänge oder manchmal auch nur für ganz bestimmte Tage. Verlorene Tage in meinem Leben. Plötzlich saß ich da, in dieser ehemaligen Lkw-Montagehalle der Bundeswehr, in der sich eine der besten Werbeagenturen Deutschlands eingemietet hatte. Ich hatte tatsächlich den Praktikumsplatz bekommen, für den ich mich mit einem Liebesgedicht beworben hatte, das ich während einer Vorlesung geschrieben hatte. Ich schrieb damals oft Liebesgedichte; ich tue das heute noch, aber wenige haben so gewirkt wie dieses. Dabei richtete es sich nicht einmal an eine Frau, sondern an eine Werbeagentur. Ich wollte sie – sie nahm mich. Plötzlich saß ich da und wunderte mich darüber, wie nett die Menschen zu mir waren, wie bescheiden, und wie lustig dabei die Anzeigen und Filme, die sie sich für Autovermieter, Reiseveranstalter oder Optiker ausdachten. Ich saß da und sollte schreiben, einfach so, was mir einfällt, zu einem Auto, zu billigen Flügen oder zu Sehschwäche. Das meiste landete sofort im Müll. Aber ab und zu huschte ein Lächeln auf das Gesicht dieses Mannes, der darüber entschied, was gut war und was nicht. Dann stand da ein Satz, der war gut, und es war mein Satz. Und später stand er auf einem Bild auf einem Farbausdruck im Büro des Mannes, der entschied, was gut war und was nicht. Und noch später stand er auf Hunderten Plakaten überall im Land. Menschen sahen ihn. Manche fanden ihn sogar lustig. Was war das für ein Gefühl. Davor war das einzige sichtbare Resultat meiner Arbeit ein ordentlich abgelegter Bestellvorgang gewesen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Plötzlich saß ich da, es war vier Uhr morgens, mir gegenüber saß ein ähnlich junger, ähnlich unerfahrener Typ mit der gleichen Aufgabe wie ich. Die Agentur war leer. Ich würde bestimmt nicht vor ihm gehen. Und er nicht vor mir. Schweigend hauten wir in die Tastatur, auf der Suche nach einem guten Satz. Ich weiß nicht mehr, wer von uns beiden dem anderen einen Waffenstillstand angeboten hat, aber irgendwann entschieden wir uns, quer über das Atelier, über Rechner, Monitore und Drucker Flanken zu schlagen, anstatt weiterzumachen. Wortlos droschen wir auf den Fußball, ich hier, er da, zwanzig Meter auseinander, immer wieder, immer fester, scheißegal, wo der Ball hinflog. Irgendwann hörten wir auf und gingen nach Hause. Gleichzeitig. Am Tag danach hatte jeder von uns einen guten Satz. Heute sitze ich hier. Ich habe mein Tagebuch verraten, dem ich als unglücklicher Siemens-Azubi versprach, nach Tibet zu gehen. Ich habe den Jäger 90, fettige Burger und die Bild-Zeitung beworben, habe Menschen erzählt, dass Dinge gut sind, die mir nichts bedeuten. Dinge, von denen ich wusste, dass sie eigentlich nicht so gut sind. Ich habe einen Traum verraten. Den Traum von einem Leben als mittelloser Dichter mit einer Frau, die einmal sagte, sie würde auch mit mir zusammenbleiben wollen, wenn ich nur ein mittelloser Dichter wäre. Sie hat mich auch verraten. Aber vielleicht bin ich selber schuld. Ich war es ja, der anfing, Geld zu verdienen. Heute sitze ich immer noch hier und entblättere mich vor Menschen, die ich gar nicht kenne. Genau wie am ersten Tag in der Lkw-Montagehalle. Aber es macht mir nichts mehr aus. Ich habe keine Angst mehr davor, meine Ideen dem Spott anderer preiszugeben. Ich habe eine Distanz zu dem aufgebaut, was im Auftrag einer Werbeagentur aus meinem Kopf kommt. Sobald es auf dem Tisch liegt, gehört es schon nicht mehr mir. Andere tun damit, was sie für richtig halten. Sie werfen es in den Müll oder investieren Millionen und das ganze Land sieht, was ich mir ausgedacht habe. Heute sitze ich hier und habe das Gefühl, dass in diesem Beruf eine Ressource zur Neige geht, die nicht ohne Weiteres wieder aufgefüllt werden kann. Es sind nicht die Ideen. Davon gibt es genug. Es sind die Bedeutungen, die sich abnutzen. Produkte und Marken wechseln, die Sprache bleibt. Wie ein Kleid, das man mal dieser, mal jener Geliebten überstreift. Irgendwann passt es keiner mehr so richtig. Heute sitze ich hier und weiß ein bisschen mehr als gestern. Ich habe gelernt, dass man etwas erreichen muss im Leben. Dass man nur gehört und geliebt wird, wenn man sich in allgemein nachvollziehbaren Wertmaßstäben bewegt. Ich habe diese Maßstäbe nicht erfunden. Ich habe nie darum gebeten, an ihnen gemessen zu werden. Ich habe sie nur beworben. Aber das war mein Job, verdammt. Jeder macht schließlich einen Job. Andere vermieten ihren Arsch an den Stuhl hinter der Aldikasse, ich vermiete meinen Kopf an Werbeagenturen. Damit ich meine Wohnung bezahlen, meinen Kühlschrank füllen und mir ab und zu Zeit nehmen kann, an einer Doktorarbeit zu schreiben. Oder an einem Gedicht. Bis das Telefon klingelt.

Text: heinz-helle - Illustration: Katharina Bitzl

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