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Warum lernen Arbeitgeber*innen Berufseinsteiger*innen so miserabel an?

Illustration: Katharina Bitzl

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Studium oder Ausbildung sind fertig - und dann? Was Frauen beim Berufseinstieg beschäftigt, lest ihr im Karriereschwerpunkt „Aufsteigerinnen“ von jetzt und Plan W, dem Frauenwirtschaftsmagazin der Süddeutschen Zeitung. Alle Texte des Schwerpunktes findet ihr hier. PS: Ja, es geht auch um Geld. 

Tobias sitzt vor einem langen, schwarzen Fließband, alle drei Minuten bleibt ein neuer Motor vor ihm stehen. Inzwischen kennt er die meisten Modelle. Da weiß er wenigstens, womit er sich beeilen muss. Aber wenn es ein „Sondermotor“ ist, ist ­Tobias aufgeschmissen. Er hat keine Ahnung, an welche Stelle er welches Bauteil schrauben soll. Sein Ansprechpartner ist nicht mehr für ihn zuständig, Tobias ist nach einer Woche hier offiziell eingearbeitet und auf sich gestellt. „In solchen Fällen schreit man einmal quer durch die Halle und hofft, dass jemand reagiert“, sagt er. Denn in drei Minuten kommt schließlich schon der nächste Motor. Da bleibt keine Zeit für schüchternes Vorgeplänkel oder um Arbeitsanweisungen zu studieren, die wohl irgendwo im PC hinter ihm zu finden wären.

So skizziert Tobias ein Jahr später seine Anfangszeit als Motorenschlosser bei einem großen Fahrzeughersteller. Nur an einem seiner 25 Arbeitsplätze wurde er drei Tage lang von einem Kollegen angelernt. An jedem anderen Platz am Band sollte er sich schon nach einer Stunde alleine zurechtfinden. Dabei, so meint er heute, bräuchte man einen Tag dafür. 

Dass sich junge Menschen oft schwer mit dem Berufseinstieg tun, ist klar: Alles ist fremd und ungewohnt, man bekommt ganz neue Aufgaben, lernt Dutzende Menschen kennen, spürt eine andere Art von Druck als in Schule oder Studium. In der Arbeitswelt fängt das Lernen oft erst richtig an.

Deshalb sollten Unternehmen eigentlich dafür sorgen, dass sich die neuen Mitarbeiter*innen schnell wohlfühlen und zurechtfinden. Dass sie das meistens nicht tun, weiß ­Unternehmensberater Francesco Fusaro aus Erfahrung. Er schätzt, dass etwa 50 Prozent aller Neuangestellten schlecht bis gar nicht eingearbeitet werden. Und der Großteil der anderen Hälfte würde nur nach einem Standardprozedere angelernt. Das funktioniere zwar ganz gut, lasse aber die eigentlichen Qualitäten der neuen Mitarbeiter*innen oft außen vor. „Viel zu selten wird die Einarbeitung ­interaktiv gestaltet“, findet Fusaro. „Dabei sind neue Mit­arbeiter*innen die besten Kritiker. Sie decken Schwachstellen auf, weil sie weniger befangen sind als ihre Kolleg*innen. Das wäre der erste Schritt zur Unternehmensoptimierung. Stattdessen wird oft nur von ihnen erwartet, sich schnell ­anzupassen.“

Der Laptop, an dem er hätte arbeiten sollen, war lange nicht einsatzbereit. Anstelle davon arbeitete er mit längst ausrangierten PCs

Auch Jan fiel diese Anpassung schwer, als er in einem­ mittelständischen Unternehmen als Testingenieur anfing. Er sollte von nun an Fehler in Softwares entdecken und beheben, dafür also „Tests schreiben“, wie es in der Branche heißt. Für ihn bedeutete das, etwas zu tun, wofür er mit dem Elektrotechnik-Master nicht ausgebildet war und das er noch nie gemacht hatte. Am ersten Tag wurde Jan zwei Stunden lang erklärt, wie die Software, mit der er sich ­beschäftigen sollte, aufgebaut war. Dann ließ man ihn alleine.­ Bis Jan seine erste Aufgabe erfüllt hatte, vergingen etwa drei Wochen. Ob das zu lang oder noch im Zeitrahmen war, sagte ihm bis dahin niemand.

In diesen drei Wochen, aber auch in den folgenden Monaten, liegen die Schwächen seiner Einarbeitung: Jan bekam kein Feedback und wusste nicht, was eigentlich von ihm erwartet wurde. Der Laptop, an dem er hätte arbeiten sollen, war lange nicht einsatzbereit. Anstelle davon arbeitete er mit längst ausrangierten PCs. Seine Zugänge zu sämt­lichen Systemen hatte er außerdem erst nach sechs ­Wochen beisammen. Jedes Mal, wenn wieder einer fehlte, wanderte er selbst in die IT-Abteilung. „Wenigstens habe ich so ein paar Kollegen kennengelernt“, sagt er heute. 

Das hätte er sich nämlich am meisten gewünscht: mehr sozialen Kontakt, am besten eine*n feste*n Ansprechpartner*in, einen „Buddy“, wie er sagt, der ihm mehr Sicherheit gegeben hätte. Stattdessen kam erst sechs Monate später das erste Feedback: Er wurde nach der Probezeit übernommen und erfuhr nun, dass seine Chefs schon ­lange zufrieden mit ihm waren. „Wenn ich das vorher gewusst hätte“, sagt Jan, „hätte ich viel entspannter gearbeitet und weniger zittern müssen.“ Jan ist heute noch dort angestellt und möchte nicht, dass die Kolleg*innen seinen Namen hier lesen. Er heißt deshalb, genau wie Tobias, in Wirklichkeit anders.

Nicht jedes Unternehmen hat das Glück, dass ein schlecht angelernte*r Mitarbeiter*in trotzdem Gutes leistet. Vielen Arbeitgeber*innen verursacht der Aberglaube, durch schlampige Einarbeitung Zeit und Geld zu sparen, großen wirtschaftlichen Schaden. Nicht nur, weil die Mitarbeiter*innen dann weniger effizient sind und oft Fehler machen, deren Korrektur deutlich länger dauert als gründliches Anlernen. Vielen neuen Mitarbeiter*innen fällt durch die eigene mangelnde Einarbeitung auf, dass das Unternehmen schlecht organisiert ist oder sie nicht wertschätzt. 

Ein Mensch ist kein Zahnrad, das man einbaut, und alles läuft

Ein Mensch ist kein Bauteil, ein Team keine Maschine. Man kann nicht einfach kurz Stopp drücken, ein neues Zahnrad einbauen, und alles läuft wieder. Man muss die Maschine an das neue Zahnrad anpassen. Das neue Zahnrad funktioniert am besten, wenn es sich wohlfühlt. Wenn man aber das Gefühl hat, dass der*die Arbeitgeber*in sich nicht bemüht, einen gut zu integrieren, fühlt man sich nicht gebraucht und verlässt das Unternehmen vielleicht schon während der Probezeit. Das schadet dem Image und ist teuer: Aller Aufwand für die Neuanstellung war umsonst, das Casting muss von Neuem beginnen. ­Unternehmen bezahlen die schlechte Einarbeitung so oft mit mehreren Hunderttausend Euro, bei wichtigen Posi­tionen teils darüber.

Und selbst wenn der*die schlecht eingearbeitete Mit­arbeiter*in bleibt, kann das laut Fusaro verheerend sein: „Der neue Mitarbeiter kündigt nur innerlich, bleibt aber trotzdem im Job. Dann ist das kein Ende mit Schrecken, sondern ein Schrecken ohne Ende für Mitarbeiter und Unternehmen.“ Denn ein*e unzufriedene*r Mitarbeiter*in leiste meist nicht nur weniger, sondern demotiviere auch Kolleg*innen oder sei unfreundlich zu Kund*innen.

Deshalb sollten Arbeitgeber*innen zusätzlich bedenken, dass auch Menschen, die schon länger im Unternehmen sind, oft besser auf eine neue Position vorbereitet werden müssten. Das hat auch die 23-jährige Sarah gemerkt: Sie arbeitete erst nur als Aushilfe in einem Bekleidungs­geschäft, bis sie plötzlich für zwei Monate die stellvertretende Filialleitung übernehmen musste. Ihre Chefin war kurzfristig in eine andere Filiale beordert worden.

„Vor dem Wechsel hatten wir gemeinsam noch zehn Arbeitsstunden. Darin warf mir die Filialleiterin neben der Arbeit immer mal wieder Informationen zu – das war dann quasi die Einarbeitung. Das hat natürlich nicht gereicht“, erzählt Sarah heute. „Ich musste viel Verantwortung übernehmen – für Dinge, von denen ich noch nie gehört hatte.“ Sie wusste weder, wie sie neue Ware genau verräumen musste, noch wie sie die Umsätze managen sollte. Ihre einzige Unterstützung war der Auszubildende. „Das finde ich das Schlimmste daran“, meint sie, „dass der Auszubildende mich anlernen musste, anstatt selbst lernen zu dürfen.“

Weder Sarah noch Jan oder Tobias hatten den Mut, mehr Unterstützung einzufordern. Tobias musste sich, wie er sagt, „sehr beherrschen“, nicht schimpfend ins Büro des Chefs zu rennen. Vielleicht hätte er das tun sollen: Fusaro hält es für ratsam, den*die Chef*in auf die eigenen Wünsche aufmerksam zu machen. „Der Angestellte muss dabei aber genau wissen, was er will und was machbar ist. Dann sollte er konkret werden und zum Beispiel um einen Ansprechpartner bitten“, ­erklärt Fusaro. „Leider wagen die wenigsten den Schritt, die schlechte Einarbeitung anzusprechen. Das ist schade und sehr schädlich für alle Beteiligten.“

Fusaro ist allerdings zuversichtlich, dass die Ein­arbeitung in den nächsten Jahren an Bedeutung gewinnen wird. Schon seit einer Weile ist zu erkennen, dass Unternehmen der Ressource „Mitarbeiter*in“ mehr Wert beimessen – sei es durch Feelgood-Manager*innen, die alles für ein ­angenehmes Arbeitsumfeld tun, oder mehr Freiheit und Flexibilität zum Beispiel in der Frage, wann wer wo woran arbeitet. Sie haben erkannt, dass vielen Berufseinsteiger*innen und jungen Leuten Wertschätzung und Erfüllung wichtiger zu sein scheinen als gute Bezahlung. „Auf diese ­Bedürfnisse müssen sich die Arbeitgeber zwangsläufig einstellen, wenn sie weiterhin gut ausgebildete Arbeitskräfte für sich gewinnen wollen“, meint Fusaro.

Jan beginnt währenddessen schon mit der Veränderung: Er macht es einfach besser. Inzwischen ist er 30 und lernt selbst Kolleg*innen an. Er arbeitet intensiv mit ihnen zusammen, gibt kleine Tagesziele vor und fragt, was besonders schwerfällt. Er ist für die Neuen der „Buddy“, den er selbst gern gehabt hätte.

Anm. d. Red.: Dieser Text wurde zum ersten Mal am 21.10.2017 veröffentlicht und am 12.09.2020 noch einmal aktualisiert.

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