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Sie will das Vorbild sein, das sie nie hatte

Foto: Kasimir Bordasch

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Die Rolle, die Tua El-Fawwal vier Staffeln lang in der zurecht gehypten Webserie „Druck“ spielte, war für deutsche Produktionen revolutionär: eine Spitzenschülerin, Feministin, Boxerin – und: Muslima mit Kopftuch. Die Figur „Amira“ ist nachdenklich, taff, in sich gekehrt und geheimnisvoll. Zwar ist die interaktive Jugendserie prädestiniert dafür, die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit verschwimmen zu lassen – die Charaktere bekamen sogar ihre eigenen Instagram-Accounts. Aber wenn man der Schauspielerin Tua begegnet, würde man sie nicht mit ihrer Rolle „Amira“ verwechseln. Die 22-jährige Tua wirkt unbeschwerter, gefühlsbetonter, extrovertierter. Sie sagt selbst: „Charakterlich haben wir mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten.“ Die Gemeinsamkeit der beiden besteht darin, dass sie in Deutschland lebende Muslimas mit Kopftuch sind. Das mag eine identitätsstiftende Erfahrung sein. Doch Tua beweist, dass diese Erfahrung allein keinen Charakter bestimmt. Der Unterschied zwischen ihr und Amira ist so fein wie wesentlich: Er liegt in einer Art Persönlichkeits-Temperatur. „Die Frau mit dem kalten Blick“ wurde Amira in der Serie oft genannt – Tuas Blick ist warm.

Sie ist die einzige Schauspielerin in Deutschland, die privat und vor der Kamera Hijab trägt

Es ist einer der letzten heißen Tage des Jahres, als wir uns in einer Berliner Shisha-Bar auf einen Chai treffen. „Ich liebe den Sommer, weißt du“, sagt Tua und schmunzelt. Was sie auch liebt: Mode. Sie trägt ein dunkelgraues Oberteil mit passender Hose, weiße Sandalen, weißen Hijab und eine schwarz-weiße Tasche mit goldfarbenen Kettenriemen. Tua wirkt herzlich, selbstbewusst – und ein bisschen aufgeregt. Es ist die Art von Aufregung, die dich, wenn du sie spürst, eher aufweckt und antreibt, nicht verschüchtert. Beim Treffen ist auch Tuas Verlobter dabei, weil die beiden danach noch verabredet sind. Ihre Termine sind dieser Tage eng getaktet. Vor kurzem hat Tua den deutschen Schauspielpreis in der Kategorie „Nachwuchs“ gewonnen. Sie ist nicht nur die erste Schauspielerin mit Hijab, die in Deutschland mit einem hochrangigen Preis ausgezeichnet wurde. Sie ist auch die einzige Schauspielerin in Deutschland, die privat und vor der Kamera Hijab trägt.

In der Filmbranche Fuß zu fassen, war für Tua alles andere als leicht. Nach ihrem reibungslosen Debüt als Schauspiel-Neuling bei „Druck“ wurde sie schnell mit der Realität der Branche konfrontiert. Tua suchte neun Monate lang nach einer Agentur, die sie vertreten würde. Immer wieder war die Bedingung, dass sie bereit ist, für eine Rolle das Kopftuch abzunehmen. „Es kamen so Sätze wie: ‚Deutschland will so etwas nicht sehen.‘ Und: ‚Ich bin seit zwanzig Jahren in der Branche und das wird es niemals geben.‘ Oder: ‚Wenn du das machen willst, dann geh zurück in dein Land und mach es dort‘“, erzählt sie. Doch ein Satz traf Tua am heftigsten, nämlich als sie hörte: „Mit Kopftuch Schauspielerin zu werden, ist genauso sinnlos wie ein Langstreckenläufer mit einem amputierten Bein.“ Bei diesem Satz sei sie ganz leise geworden. Doch er war kein Grund, aufzugeben. Schließlich fand sie doch noch eine Agentur. „Jeder Mensch hat seine Grenzen – so auch Schauspieler“, sagt sie. „Die einen wollen keine Vergewaltiger oder Pädophilen spielen, die anderen nicht oben ohne. Der Hijab ist meine Grenze und ich erwarte, dass man sie nicht überschreitet.“

Tua kann sich nicht erinnern, jemals richtige Vorbilder gehabt zu haben

Zur Schauspielerei kam Tua El-Fawwal eher zufällig. Zwar hat sie als Oberstufenschülerin im Fach „Darstellendes Spiel“ sogar die Hauptrolle („einen Jungen!“) gespielt. Davon geträumt, Schauspielerin zu werden, hat sie als Jugendliche aber noch nicht. Wie auch? Es gab schließlich niemanden, der ihr vorgemacht hätte, dass es als Hijabi möglich ist. Tua kann sich nicht erinnern, jemals richtige Vorbilder gehabt zu haben. Niemanden, mit dem sie sich in den Medien identifizieren konnte. „Warum habe ich keine richtigen Vorbilder?“, fragt sie nach etwas Überlegung schließlich ihren Verlobten, der ihr in der Shisha-Bar gegenübersitzt. Er antwortet: weil man sich als Muslima in der deutschen Gesellschaft eher Konzepte, Prinzipien und Werte als Vorbilder nehmen müsse. „Tua wird irgendwann ein Vorbild für andere Schauspielerinnen sein. Nicht, weil sie den Platz bekommen hat, sondern weil sie ihn sich genommen hat.“

Nach dem Abitur kellnerte Tua bis abends in einem Restaurant und schlief am nächsten Tag manchmal bis mittags. An einem dieser Tage bekam sie die Nachricht einer Freundin mit dem Rollenaufruf für „Amira“. Die Macherinnen von „Druck“ hatten verschiedene islamische Vereine in Deutschland angeschrieben, weil sie eine „echte Hijabi“ suchten. Tua beschloss, sich zu bewerben. Die Mail, die sie an eine der Regisseurinnen, Pola Beck, schrieb, unterzeichnete sie selbstbewusst mit dem Satz: „Ich freue mich auf die Zusammenarbeit!“ Es folgten zwei Casting-Runden, dann hatte Tua die Rolle. Schon nach dem ersten Take am Set von „Druck“ wusste sie, dass sie für die Schauspielerei brennt. Tua sagt: „Ich habe manchmal zehn bis zwölf Stunden am Tag gedreht, war danach total fertig, aber es war schön“ – mit langgezogenem „ö“. Sie strahlt.

„Alle Leute haben so viele Erwartungen an mich. Weil ich Muslima bin und Kopftuch trage“

Die Zusammenarbeit am Set von „Druck“ sei harmonisch und rücksichtsvoll gewesen: „Es gab nicht dieses typische Machtverhältnis“, erzählt Tua. Oft wurden die Schauspieler*innen dazu aufgefordert zu improvisieren – um ihre eigene Erfahrungen, Gefühle und ihre eigene Sprache einzubringen. Komplett improvisiert ist auch eine Szene bei „Druck“, in der Amira sich ihrer Freundin Kiki gegenüber öffnet – darüber, wie es ist, eine kopftuchtragende Muslima in Deutschland zu sein. „Jeden Morgen, wenn ich aufstehe, richte ich meinen Hijab, schminke mich und weiß: Heute kriege ich wieder einen blöden Kommentar“, sagt Amira da zu ihrer Freundin. Und: „Ganz egal, ob es meine Eltern sind, meine Brüder, die Gesellschaft, in der wir leben, meine muslimische Community, die immer alles besser weiß. Alle Leute haben so viele Erwartungen an mich. Weil ich Muslima bin und Kopftuch trage. Das macht mir so viel Druck.“

Es ist ein Druck, den auch Tua El-Fawwal spürt: Der Druck, ein Vorbild zu sein. Die erste zu sein, die als Schauspielerin mit Kopftuch in Deutschland erfolgreich ist. Täglich bekomme sie Nachrichten von jungen Menschen aus aller Welt, die zu ihr aufschauen. Aber was, wenn sie mal nicht die „Muster-Muslima“ verkörpert wie in „Druck“? Eigentlich würde Tua gerne mal eine Rolle spielen, in der ihr Kopftuch gar nicht thematisiert wird: eine Anwältin, eine Kriminelle, eine psychisch Kranke, eine alleinerziehende Mutter. „Nicht nur als Privatperson, sondern auch als Schauspielerin bin ich mehr als ein Tuch auf meinem Kopf“, sagt sie. Noch sind die Möglichkeiten dazu in der deutschen Filmbranche begrenzt. Doch Tua wünscht sich, dass sich in Zukunft etwas maßgeblich verändert: „Lasst uns aufhören, Rollen zu schaffen, die komplette Menschengruppen stigmatisieren! Wir leben im Jahr 2020.“ 

So ganz verlässt sich Tua noch nicht auf die Schauspielerei

So ganz verlässt sich Tua noch nicht auf die Schauspielerei. Sie studiert auch Soziale Arbeit an der Alice Salomon Hochschule in Berlin. Tua, die fließend arabisch spricht und selbst, als sie neun Jahre alt war, mit ihrer Familie von Ägypten nach Deutschland zog, möchte später vielleicht mal mit Geflüchteten arbeiten. Das heißt aber nicht, dass sie die Hoffnung in die Filmbranche verloren hat. Sie hofft weiter, dass sie eines Tages selbstverständlich in andere Rollen schlüpfen kann, ohne dass man ihr Kopftuch zum Problem erklärt. „Ganz ehrlich: Ich möchte einfach nur irgendwann mal eine ‚Franziska‘ spielen.“

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