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„Auch in Zukunft muss es ein Recht auf Unvernunft geben“

Was verspricht die Zukunft, wenn Firmen unsere Gedanken lesen können? Für Miriam Meckel ist „die Privatheit der Gedanken eine unverzichtbare Voraussetzung für menschliche Zivilisation“.
Foto: Thies Raetzke/laif

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Die 52-Jährige ist Professorin für Corporate Communication an der Universität St. Gallen und Publizistin. Zum ersten Mal Aufsehen erregte sie, als sie mit Anfang 30 Regierungssprecherin in Nordrhein-Westfalen wurde. Als erste Frau wurde sie 2014 Chefredakteurin der Wirtschaftswoche, inzwischen ist sie deren Herausgeberin und Gründungsverlegerin des Magazins Ada, einer Plattform für digitales Leben und die Wirtschaft der Zukunft. Auch mit ihrem Privatleben stand sie in der Öffentlichkeit: als Frau der Journalistin Anne Will - und mit der Bekanntgabe ihrer Trennung vor ein paar Wochen. Mit 42 Jahren erlitt Meckel einen Burn-out und schrieb einen Bestseller darüber. Zuletzt erschien ihr Buch Mein Kopf gehört mir - Eine Reise durch die schöne neue Welt des Brainhacking (Piper).

PLAN W: Frau Meckel, wie lange wird es noch dauern, bis wir dieses Interview per Brain-Chat führen können, ich Ihnen also keine Frage mehr stellen muss, sondern diese gleich zu Ihnen rüberdenken kann?

Miriam Meckel: Bis das eine alltägliche Anwendung ist, dauert es sicher noch eine ganze Weile. Elon Musk hat dafür das Jahr 2050 ausgegeben. Bis dahin meint er, werden wir alle mit Implantaten in einer Brain-Cloud vernetzt sein. Spricht man mit Wissenschaftlern, hört man aber schon klar, dass das eine sehr ferne Zukunftsperspektive ist. Andererseits: Die medizinische Forschung bringt inzwischen fast im Tagesrhythmus Ergebnisse, die zeigen: Es geht oft schneller, als wir denken.

Zum Beispiel?

Die University of California hat kürzlich das Sprechen mithilfe eines Gehirnimplantats vorgestellt. Unter der Schädeldecke tastet es die motorischen Signale ab, die auch bei jemandem entstehen, der zwar sprechen will, aber nicht mehr kann, und verwandelt es dann in künstlich gesprochene Sprache. Oder das: Gedanken werden in digitale Signale verwandelt, mit denen eine Handprothese gesteuert werden kann. Auch die Magnetstimulation der äußeren Gehirnrinde wird in der Medizin bereits praktiziert, um damit Schlafstörungen, Angstzustände oder Depressionen zu behandeln.

In der Medizin ist der Vorteil klar, den das sogenannte Brainhacking bringt. Aber ist es wirklich ein Gewinn, wenn wir unsere eigenen Gedanken und Gefühle per App steuern können? Sie haben in den USA ein Gerät getestet ...

... für 299 Dollar - ohne Zertifikat einer Gesundheitsbehörde.

Für wen ist das gedacht?

Für Menschen, die ihre Gefühle auf Knopfdruck optimieren wollen. Es gibt verschiedene Programme, etwa ein Activity- oder ein Relax-Programm. Ich habe das unter Anleitung einer Assistentin eine halbe Stunde ausprobiert.

Und?

Es war eine Katastrophe. Man trägt dabei zwei Elektroden auf dem Kopf, eine vorne an der Stirn, eine am Hinterkopf. Per Magnetstimulation kann man sich Stromstöße auf den Kopf schicken und das Ganze per App steuern. Ich war danach vollkommen von der Rolle, konnte 36 Stunden nicht schlafen, nichts essen. Als ich zwei Tage später nach Hause kam, empfing mich meine Frau mit den Worten: Wie siehst du denn aus? Ich habe ja fast Angst vor dir!

Warum das?

Habe ich auch gefragt und mir dann Fotos angeguckt, die in den beiden Tagen zuvor entstanden waren. Es sah so aus, als ob mein Kopf in einem Schraubstock gewesen wäre, die Augen waren irgendwie enger beisammen. Auf den Fotos habe ich das deutlich gesehen.

Haben Sie eine Erklärung dafür?

Der Strom hat vermutlich alle möglichen Nerven aktiviert, sodass eine zeitweise Veränderung der Physiognomie eingetreten ist. Ein paar Tage später sah ich wieder normal aus. Dass man so ein Produkt frei auf dem Markt verkaufen kann, hat mich schon erschreckt. Aber vermutlich sagt das auch einiges über den Selbstoptimierungswahn. Inzwischen gibt es das Produkt übrigens nicht mehr.

Ist uns denn die Selbstverbesserung zu Kopf gestiegen?

Könnte man so sagen, ja. Was am Handgelenk begonnen hat, ist im Kopf angekommen. Das alles hat auch damit zu tun, dass wir glauben, man könnte Denken quantifizieren, was Quatsch ist. Man kann natürlich Intelligenztests machen, aber die sind hochgradig umstritten.

Würden Sie dem Neuro-Ethiker James Giordano zustimmen, der sagt, das Gehirn wird „das zukünftige Kampfgebiet?

Kampfgebiet ist ein sehr martialischer Ausdruck. Man könnte auch sagen, es wird der nächste Markt der Möglichkeiten. Es gibt ja auch ganz viele großartige Dimensionen, gerade im Bereich der Medizin. Sollte es wirklich ein Kampfgebiet werden, dann wäre das eine Ausprägung von Neuro-Kapitalismus - keine schöne Voraussetzung für die Gesellschaft, in der wir dann leben.

Sie meinen, nur wer das Geld hat, sein Gehirn zu tunen, könnte dann mithalten?

Dass eine Zweiklassengesellschaft droht, ist zumindest eine Möglichkeit. Wenn die Hirnoptimierung tatsächlich irgendwann über Produkte in den Massenmarkt kommt, dann kostet das Geld. So wie das Gerät, das ich getestet habe. Andererseits: Die Grundlage für eine Zweiklassengesellschaft haben wir jetzt schon im Bildungssystem: Wer Geld hat, schickt seine Kinder auf Privatschulen. In den USA ist auch die Einnahme von Ritalin unter Studenten während der Prüfungsphase total normal. In kognitives Kapital wird also längst investiert.

Auch Sie haben für Ihr Buch „Mein Kopf gehört mirRitalin ausprobiert. Konnten Sie sich damit besser konzentrieren?

Ich konnte super arbeiten, aber eher so strukturelle Dinge, bei denen man eben gerade nicht viel nachdenken muss, zum Beispiel Keller aufräumen oder irgendwelche PowerPoint-Präsentationen erstellen. Das ging mit Ritalin super. Aber wenn ich einen Text geschrieben und mir den am nächsten Morgen durchgelesen habe, musste ich ihn wegschmeißen. Da fehlte einfach jede Form von sprachlicher Eleganz.

Sie haben mehrere Selbstversuche gemacht. Gab es auch Dinge, die Ihnen wirklich geholfen haben?

Es gibt im Silicon Valley eine Selbstoptimierungsbewegung, da benutzt man psychedelische Drogen. Das hat mich sehr interessiert. Man muss zwischen LSD und Pilzen unterscheiden. LSD ist mir zu sehr auf Effizienz aus, aber das mit den Pilzen habe ich ein paar Wochen lang ausprobiert. Beim „Microdosing“ nimmt man alle zwei, drei Tage eine sehr geringe Dosis Psilocybin - eine sehr schöne Erfahrung.

magic mushrooms

Foto: Shutterstock/Kichigin

Warum?

Die Pilze haben bei mir genau das Gegenteil von dem bewirkt, was wir sonst unter Selbstverbesserung verstehen, also unsere rationalen und kognitiven Fähigkeiten zu steigern: Ich wurde sehr entspannt, ausgelassen und gefühlsbetont. Ich war damals auf der „South by Southwest“ -Konferenz in Austin und konnte auf einmal zwei Stunden einfach nur dasitzen und die schöne Landschaft genießen. Diese Ruhe hatte ich vorher nicht.

Aber Sie haben trotzdem die Konferenz besucht?

Ja, man ist da nicht auf einem Trip. Zurück in Deutschland war ich auch wieder ganz normal arbeiten.

Hat Ihr Umfeld etwas gemerkt?

Ich glaube nicht, vielleicht war ich ein bisschen weniger aufgekratzt. Es ging bei dem Versuch auch darum, an die emotionalen Ressourcen und den Kern der eigenen Identität ranzukommen. Das schieben wir ja im Alltag gern weg, weil wir permanent mit unseren Handys unterwegs sind.

Sie waren bereits wegen eines Burn-outs in Behandlung. Wie entspannen Sie, wenn Sie gerade kein Psilocybin zur Hand haben?

Ich gehe so oft wie möglich zu Fuß. Für mich ist das tatsächlich ein sehr schönes Momentum, um mich zu entspannen und zu sortieren. Außerdem hilft mir Klavierspielen, vor allem Bach, das räumt den Kopf auf. Toll ist auch der Autofahrmodus beim neuen iPhone. Wer mir eine Nachricht sendet, erhält eine automatische Antwort, dass ich gerade Auto fahre. Kann man natürlich auch prima verwenden, wenn man nicht fährt, einfach, damit mal Ruhe einkehrt. Telefonklingeln war für mich früher ein Trigger für Ausrasten.

Für Ausrasten?

Ja, ich bin richtig panisch geworden, wenn das Telefon geklingelt hat, das war wirklich schlimm. Ich bin einfach nicht zum Telefonieren gemacht. Meine Freunde wissen das. Das habe ich jetzt aber auch allen anerzogen. Außer beruflich. Aber dann ist das ein fester Termin.

Hinter dem Ehrgeiz, unser Denken zu verbessern, steckt bereits eine ganze Industrie. Aktuell arbeiten etwa dreißig Unternehmen weltweit an der neurotechnologischen Eroberung des Gehirns, vor allem im Silicon Valley. Welches Start-up ist für Sie das vielversprechendste?

Was Elon Musk da gerade macht, ist schon wirklich sehr interessant. Er hat der Öffentlichkeit vor einigen Wochen eine Maschine präsentiert, die sah aus wie eine Mischung aus riesigem Mikroskop und Nähmaschine. Mit ihr soll es möglich sein, Implantate einzusetzen, ganz dünne Fäden, dünner als ein menschliches Haar, die dann Nervensignale abtasten sollen.

Was hätten wir überhaupt davon, wenn wir schneller denken oder uns mehr merken könnten? Es gibt ja bereits Menschen mit absolutem Gedächtnis, die sich seit ihrer Pubertät an jeden Tag ihres Lebens erinnern können. Oder Menschen mit Asperger-Syndrom und enormen kognitiven Fähigkeiten. Das macht ihr Leben oft nicht einfacher.

Im Gegenteil, meist sogar schwerer, denn das Vergessen spielt in unserem Leben eine wichtige Rolle. Wir brauchen es, um Dinge auszublenden, die uns sonst keine Chance lassen, irgendetwas Neues anzufangen. Den Start-ups geht es aber vor allem darum, die Leistungsfähigkeit des Menschen zu verbessern, also zum Beispiel Denkzeiten zu erhöhen und Ruhezeiten zu verringern. Vor allem das US-Militär forscht im Bereich des Schlafentzugs sehr viel. Andere Firmen arbeiten vor allem daran, dass wir unsere Gedanken direkt verschriftlichen können. Man könnte dann zum Beispiel beim Autofahren SMS schreiben, ohne die Hand vom Steuer zu nehmen.

Sie meinen Facebook? Die haben ja ein Programm angekündigt, mit dem man nur mit seinen Gedanken 100 Wörter pro Minute schreiben können soll.

Das wäre richtig schnell im Vergleich zu dem, was bislang möglich ist. An der Uni in Tübingen habe ich das Wort „Interface“ per Gedanken geschrieben. Das hat bestimmt vier oder fünf Minuten gedauert.

Klingt mühsam. Wie funktioniert das?

Man fokussiert sich auf ein Buchstabenglücksrad und konzentriert sich immer genau auf den Buchstaben, den man schreiben will. Tatsächlich erscheint er dann auf dem Bildschirm. Facebook arbeitet dafür an einem kleinen Gerät, das man außen am Kopf anbringt, zum Beispiel an einer Brille. Es soll in der Lage sein, vermutlich auch über Lasertechnologie, unsere Gedanken in Sprache zu übersetzen.

Hatte Facebook das Gerät nicht bereits 2017 für die kommenden zwei Jahre angekündigt?

Sagen wir mal vorsichtig: Vielleicht gab es da auch ein paar Zwischenfälle, die nahegelegt haben, nicht allzu schnell mit einem Gerät auf den Markt zu kommen, das zwar Gedanken lesen, aber eben auch von Cambridge Analytica angezapft werden kann. Die Privatheit der Gedanken ist ja eine unverzichtbare Voraussetzung für menschliche Zivilisation. Unsere Fähigkeit, sozial zusammenzuleben, beruht ja auch darauf, dass wir uns eben nicht permanent sagen, was wir gerade denken. Das würde zu absurden Situationen führen. Stellen Sie sich nur die Anbahnung einer Partnerschaft in totaler Transparenz vor.

Verstehen Sie, dass solche Zukunftstechnologie vielen Menschen Angst macht?

Ja, klar. Das alles klingt erst mal sehr verrückt, aber wenn Sie Anfang des 20. Jahrhunderts die Menschen gefragt hätten, ob sie sich vorstellen könnten, dass man sich eines Tages freiwillig unter einen Apparat legt, der einem die Augen lasert, hätten die auch gesagt: Was für eine Science-Fiction, lasst mich damit in Ruhe. Ich glaube dieses Krieg-der-Sterne-Szenario - die künstliche Intelligenz wird uns irgendwann ausbooten, und wir sind dann die menschlichen Püppchen, die in der Nährlösung liegen und Gehirndaten produzieren - das ist Quatsch.

Selbst Stephen Hawking hat gesagt, künstliche Intelligenz wird unsere größte Erfindung sein. Und vermutlich auch unsere letzte.

Das hat mich auch überrascht. Aber wir haben so viel mit unserer menschlichen Intelligenz auf den Weg gebracht. Warum sollten wir jetzt plötzlich evolutionär überrannt werden und Sachen erfinden, die dann über uns hinauswachsen, wie in Goethes Der Zauberlehrling, der Besen, der nicht mehr einzufangen ist? Wichtig ist bei aller technologischen Entwicklung aber: Auch in Zukunft muss es ein Recht auf Unvernunft geben.

Warum?

Weil wir sonst alle irgendwann maschinell sind. Ich will aber keinen Haufen angepasster, kognitiv leistungsfähiger Leute um mich herum, sondern Menschen, die widerständig sind, intuitiv, emotional, unvernünftig. Denn all das, was unberechenbar ist, ist genau das, was das Leben interessant macht.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text erschien zuerst in Plan W, dem Frauenwirtschaftsmagazin der Süddeutschen Zeitung.

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