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LMU: Philosophie-Studentinnen gründen Zeitschrift
Der geistige Austausch fehlt. Anregende Gedanken der anderen. Das gemeinsame Philosophieren. „Das, was uns Philosophiestudenten oftmals fehlt“, sagt Tizia Rosendorfer, 22. Denn das Problem mit dem Philosophiestudium sei, dass man in seinem Stübchen sitzt und für sich alleine liest und lernt.
„Ein wirkliches Outcome hast du selten“, sagt auch Lea Würtenberger, 21. Das war auch der Antrieb der zwei jungen Frauen, Die Funzel herauszubringen - eine philosophische Zeitschrift von Philosophiestudenten für Philosophiestudenten. Und natürlich auch für all diejenigen, die den Zugang zur Philosophie finden wollen.
„Jeder könnte prinzipiell Philosophie verstehen“
„Der einzige Weg ist es, dir selbst Gedanken zu machen, in dem du den Austausch suchst und nicht nur nachkaust“, sagt Lea. Das Nachkauen, das oftmals mit der universitären Philosophie verbunden wird, entsteht aus dem fehlenden Selbstvertrauen, seine eigenen Gedanken zu erläutern. Die Angst vor der Fehlinterpretation ist zu groß. „Philosophie hat relativ viel mit Intuition zu tun, das heißt, jeder könnte prinzipiell Philosophie verstehen. Nur bedient sich die Philosophie einer Sprache, die oft wichtig und geheimnisvoll daher kommt“, sagt Tizia.
An der Universität fehlt oftmals der Ort für den Austausch, sagen die beiden Studentinnen. Die Uni sei zu groß und man habe zu viele, unterschiedliche Kurse. Die Funzel gibt den Studenten die Möglichkeit, das, was sie lernen, sofort anzuwenden, indem sie selbst Artikel verfassen. So stellen sie das, was sie gelesen und gelernt haben, auf den Prüfstand: Philosophie in der Praxis also.
„Es fehlt wirklich, dass du mit einer Gruppe von Leuten bei einem Glas Rotwein ernsthaft über Philosophie diskutieren kannst. Dieses philosophische Underground-Ding ergibt sich einfach nicht. Zumindest nicht an der LMU“, sagt Lea, an der Ludwig-Maximilians-Universität. Derzeit wegen der Corona-Krise erst recht - aber das war auch vorher so.
„Das Selbstbewusstsein kommt daher, dass das Ganze ein Selbstzweck ist“
Angst, dass das alles zu viel für sie wird, weil sie erst Anfang 20 sind und mitten im Studium, haben sie nicht. Woher nehmen sie all den Mut? „Dieses Selbstbewusstsein, also das Ignorieren der Zweifel für eine Sekunde“, erklärt Lea, „das kommt daher, dass das Ganze ein Selbstzweck ist.“ Sie brauchen diesen Austausch, um ihr Studium halbwegs fruchtbar führen zu können. „Deswegen ist gar nicht so viel Mut nötig, sondern es ist einfach eine Notwendigkeit“, ergänzt Tizia.
Die einzige Angst, die sie haben, ist, dass das Feedback ausbleibt. Dass sie nicht gelesen werden. Dieses Gefühl, nicht relevant zu sein. Denn genau diese Relevanz wollen sie der Uni-Philosophie mit Die Funzel geben, ihre Daseinsberechtigung. „Du hast das Gefühl, alles wurde schon mal gesagt, du willst selbst was produzieren, aber du bist so klein zwischen all dem, was es schon gibt“, sagt Tizia.
Ein Treffen vor der Ausgangssperre. Lea und Tizia schmiegen sich in die Samtsessel im Café Jasmin. Dieses Lokal ist aus der Zeit gefallen, auf seine ganz eigene Art und Weise schön. Hier läuft man noch auf Teppichboden, die große Glasscheibe lässt viel Licht herein und an den Wänden hängt noch die Tapete, die in den Fünfzigerjahren extra aus den USA importiert wurde. Lea und Tizia passen hier gut rein. Sie sind stilbewusst, wenn auch auf ganz unterschiedliche und eigene Weise.
Tizia studiert an der Hochschule für Philosophie. Sie hat dunkle Haare. Dass sie Ballett tanzt, sieht man ihr an, sie hält sich sehr gerade. Und sie liest gerne und viel, die Art und Weise, wie sie mit Worten umgeht, bestätigt dies. Lea sitzt ihr schräg gegenüber. Sie hat hellrote Haare, helle Haut und trägt einen schwarzen Ledermantel. Auch sie studiert Philosophie, aber an der LMU. Dazu noch Russisch im Nebenfach.
„Da habe ich gemerkt, dass jetzt eine Lücke entsteht, die gefüllt werden könnte“
Die Idee für die Zeitschrift Die Funzel kam Tizia, als sie sich bei einer philosophischen Uni-Zeitschrift beworben hatte und als Antwort erfuhr, dass das Blatt bald eingestampft werden würde. „Da habe ich gemerkt, dass jetzt eine Lücke entsteht, die gefüllt werden könnte“, sagt Lea. Noch am selben Wochenende hatten sie das Konzept zusammengestellt, die Social-Media-Kanäle aufgebaut und das Layout erstellt.
Lea und Tizia kennen sich noch aus der Schulzeit, hatten danach aber nur vereinzelt Kontakt. Tizia kommt aus Ottobrunn, Lea aus Hohenbrunn. „Das sind Nachbarorte, die ein ganz eigenartiges Vorstadt-Dasein fristen, das auf der einen Seite super deprimierend ist und auf der anderen Seite super absurde Sachen hervorbringt. Uns zum Beispiel“, sagt Lea im gespielten Ernst, woraufhin beide loslachen. Nur, wenn es um die Inhalte ihrer Zeitschrift geht, dann werden beide nachdenklich.
„Wir machen alles mit bestem Gewissen, nehmen uns dabei aber trotzdem nicht zu unfassbar ernst“
„Ich glaube, der Name Die Funzel irritiert am Anfang immer sehr stark, weil er sehr unsexy klingt. Die Funzel ist erst einmal ein unangenehmes Wort“, sagt Lea. Aber darin liegt auch ihr Konzept: „Wir machen alles mit bestem Gewissen, nehmen uns dabei aber trotzdem nicht zu unfassbar ernst“, sagt Tizia. Den Namen Die Funzel haben sie abgeleitet von der Zeitschrift Die Fackel, einer satirischen Literaturzeitschrift, herausgegeben von Karl Kraus, damals im Wien des 20. Jahrhunderts.
Die Themen für ihr Magazin suchen Lea und Tizia danach aus, was gerade gesellschaftlich relevant ist, aber auch, was sie persönlich bewegt. „In der ersten Ausgabe ging es um Bildung, da wollten wir ausprobieren, ob sich das Konzept bewährt. Als das geklappt hat, haben wir überlegt, was denn die Ziele und die Ideale sind, die man mit einem Projekt verfolgen kann, da kam dann die zweite Ausgabe“, sagt Tizia. In der dritten Ausgabe stellten sie sich die Frage, was passiert, wenn diese Ziele und Ideale einknicken und Menschen leiden. „Ausgabe Nummer vier ist Funzel Future. Das ergibt dann so ein kleines Narrativ“, sagt Lea.
Was sie antreibt, Bedenken oder Widerstände immer wieder zu überwinden, ist das Erkennen, „dass, wenn man es nicht anpackt und nichts macht, dann wird auch nichts passieren“, sagt Tizia. „Ich glaube, was ich im ersten Jahr so mitgenommen habe, ist dieses nach vorne flüchten. Wenn du gerade frustriert bist, dann heißt es, nicht stehen zu bleiben, sondern einfach mal zu machen“, sagt Lea. „Bewegung regt Bewegung an, Aktivität bedingt Aktivität. Wir wollen nicht auf der Stelle treten.“
Anmerkung der Redaktion: Dieser Text erschien zuerst in der Süddeutschen Zeitung vom 6.4.2020.