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Warum die Girlboss-Kultur nicht feministisch ist
Die sogenannte „Girlboss“-Kultur hat den Feminismus in den vergangenen Jahren stark geprägt. Der Begriff steht für starke Frauen, die sich in einer männerdominierten Welt durchgesetzt und Karriere gemacht haben. In den sozialen Medien wird der Girlboss besonders zelebriert: 21 Millionen Beiträge wurden auf Instagram mit #girlboss markiert. Die Bilder unter dem Hashtag zeigen vor allem perfekte Selbstinszenierung: gut gekleidete junge Frauen in selbstbewusster Pose und mit festem Blick in die Kamera. Mich macht das wütend. Das Ziel des Feminismus sollte es doch sein, diskriminierende Strukturen zu verändern, sodass alle und nicht nur einzelne Frauen gleichberechtigt sind. Das Girlboss-Narrativ lenkt meiner Meinung nach eher davon ab.
Das beginnt schon beim Begriff. Wer arbeiten geht, ist in der Regel kein Girl, also Mädchen, mehr, sondern eine Frau. Warum sich Millionen Frauen freiwillig zum Kind machen, kann ich absolut nicht nachvollziehen. Traurig ist, dass das Geschlecht überhaupt erwähnt werden muss – Boss ist Boss, daran ändert das Frausein nichts. Ja, es ist immer noch eine Besonderheit, wenn eine Frau der Boss ist. Durch die Nennung des Geschlechts manifestieren wir diese Besonderheit aber weiter. Genauso ist es auch beim Begriff Frauenpower – Power wird bisher nur Männern zugeschrieben. Hat eine Frau Power, wird das als etwas Außergewöhnliches dargestellt. Das ist Quatsch. Es gibt weder die Begriffe Männerpower noch Boyboss – wir sollten uns daher auch von den weiblichen Äquivalenten verabschieden.
Dieser „Feminismus“ lässt sich gut verkaufen
Abgesehen von den Begrifflichkeiten störe ich mich aber auch daran, was hinter der Girlboss-Kultur steckt. Der Begriff wurde maßgeblich von der US-amerikanischen Unternehmerin Sophia Amoruso geprägt und etabliert. Sie hatte mit dem Verkauf von Vintage-Mode in ihrem Online-Shop „Nasty Gal“ großen Erfolg. Nachdem aber im Jahr 2015 vier ihrer Mitarbeiterinnen klagten, weil sie illegalerweise während einer Schwangerschaft eine Kündigung erhalten hatten, trat Sophia Amoruso als CEO zurück. 2016 meldete „Nasty Gal“ Insolvenz an. Ein Hintergrund, der nicht gerade von Female Empowerment zeugt, sondern ungerechte Strukturen sichtbar macht. Ein Einzelfall ist Sophia Amoruso damit übrigens nicht. Auch das 2014 von Tyler Haney gegründete Unternehmen für Sportbekleidung „Outdoor Voices“ brüstete sich damit, für weibliches Empowerment zu stehen. Anfang des Jahres trat dann auch Haney als CEO zurück, nachdem viele Angestellte sich öffentlich über die toxischen und unterdrückenden Arbeitsverhältnisse in dem Unternehmen beschwert hatten.
Das Girlboss-Narrativ scheint nicht wirklich von Gleichberechtigung geprägt zu sein. Vielmehr steckt dahinter wohl einfach eine schlaue Marketingstrategie. Denn dieser „Feminismus“ lässt sich gut verkaufen. Das zeigt ein kurzer Blick in die Werbebranche. Starke Frauen, die für sich einstehen, sich auflehnen und ihr Ding machen, sieht man heute regelmäßig in Werbeclips und auf Plakaten. Die Unternehmen, die hinter diesen Anzeigen stehen, sind oft aber gar nicht so feministisch.
Einen bezahlten Beruf ausüben zu können, ist für viele Frauen immer noch Luxus
Für diese Vermarktung von Feminismus gibt es sogar schon einen Begriff: „Femvertising“. Das Problem: Das Narrativ des „Girlboss“ blendet die Realität oft aus. Weibliche Vorbilder und Erfolgsgeschichten sind wichtig, es ist jedoch gefährlich, dabei in einen „Feelgood-Feminism“ zu rutschen. Die Girlboss-Kultur tut so, als ob jede Frau es schaffen könnte, wenn sie sich nur genug reinhängt. Damit wird jedoch ein System mit Strukturen unterstützt, die Frauen diskriminieren. Dass einige wenige Frauen es in einem männlich geprägten System an die Spitze geschafft haben und sich anschließend als Girlbosse feiern, trägt nicht dazu bei, das System so zu verändern, dass alle Frauen die Chance auf die Spitze haben, wenn sie das wollen und nicht nur vor allem weiße Akademikerinnen. Eine Gleichbehandlung von Frauen ist nur dann möglich, wenn die Strukturen hinterfragt und verändert werden, sodass sie für die Hälfte der Bevölkerung nicht mehr toxisch sind.
Da wird schnell vergessen, dass es sehr viele Frauen nicht an ihr Ziel geschafft haben, obwohl sie sich reingehängt haben. Und dass es Frauen gibt, die vielleicht einfach keinen Bock auf Karriere haben und für die Anzug tragende, normschöne Frauen nicht unbedingt ein Vorbild sind.
Der „Girlboss“-Begriff lenkt von der politischen Debatte und von strukturellen Problemen ab und verschweigt die Hürden, die immer noch vorhanden sind. Es ist wichtig für den Feminismus, dass Sexismus, Rassismus und LGBTQ-Feindlichkeit weiter angeprangert werden und nicht hinter einem Girlboss-Narrativ verschwinden. Ebenso werden hier auch die mehr als 12 Milliarden unbezahlten Stunden vergessen, die Frauen weltweit täglich in Haushalts- und Pflegearbeit investieren. Einen bezahlten Beruf ausüben zu können, der Spaß macht und einen ausfüllt, ist für sehr viele Frauen immer noch ein Luxus. Und „Girlboss“ bezieht sich nunmal hauptsächlich auf bezahlte Berufe, die auch etwas Glamour ausstrahlen – die, bei denen man auch mal den fancy Hosenanzug trägt, den viele auf den Fotos zum Hashtag tragen. Die Altenpflegerin, die Kassiererin und die Reinigungskraft sind vom Girlboss-Narrativ ausgeschlossen. Sie können sich damit nicht identifizieren.
Ich freue mich, dass immer öfter Frauen ihr Ziel erreichen und darauf darf man auch sehr stolz sein. Die Frauenrechtsbewegung hat im vergangenen Jahrhundert schon viel erreicht. Doch die Arbeit und der Mut, den viele Frauen investiert haben und noch immer investieren, sollten nicht hinter der Girlboss-Kultur verschwinden. Es wird noch dauern, bis alle Menschen tatsächlich die gleichen Chancen haben. Deswegen muss weiter auf Missstände aufmerksam gemacht werden. Der Begriff „Girlboss“ trägt dazu nicht bei.