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Generationenkonflikt: Jung gegen alt
Die Chefin ist gereizt. Die Einschaltquoten ihrer Fernsehsendung sinken. „Was genau ist das Problem mit meiner Show?“, fragt sie das meuternde Team. „Sie sind ein bisschen alt und ein bisschen weiß“, antwortet die junge, indischstämmige Mitarbeiterin. Eine Szene aus der amerikanischen Filmkomödie „Late Night“. Die grandiose Emma Thompson spielt darin eine erfahrene, zickige TV-Moderatorin, die weder mit ihrem jungen Team noch mit jungen Themen, geschweige denn mit jungen Technologien umgehen kann. Sie soll durch einen jüngeren Comedian ersetzt werden – und geht zum Gegenangriff über.
Die Kluft zwischen Jung und Alt kann sich in der Arbeitswelt zu einem realen Problem entwickeln, nämlich zwischen „Digital Natives“ und „Digital Immigrants“. Beide Begriffe sind Namensschöpfungen des New Yorker Autors Marc Prensky. Die Altersgrenze steckt er beim Geburtsjahr 1980. Digitale Eingeborene sind die Generation, die mit digitalen Technologien aufgewachsen ist und selbstverständlich mit ihnen umgeht. Digitale Einwanderer haben diese Technologien erst im Erwachsenenalter kennengelernt und sind daher bisweilen unsicher im Umgang damit.
Was sie verunsichert, sind Geschwindigkeit und Radikalität, mit denen sich Arbeitsabläufe wandeln. Manche Angestellte jenseits der 40 machen schon Begriffe wie „Big Data Analytics“, „Cloud“ oder „Robotic“ nervös. In schlaflosen Nächten fragen sie sich, ob sie mit der IT-Revolution mithalten können, ob sie sich mit dem neuen Kollegen, den sie gerade einweisen, nicht den Konkurrenten von morgen heranziehen. Der kommt frisch von der Uni, zaubert ratzfatz alles auf sein Smartphone und scheint überhaupt vieles besser zu beherrschen, zumindest schneller.
Wer sich trotzig gegen alle Neuerungen stellt, gerät schnell ins Abseits
Über Jahrtausende galt die Regel: Erfahrene Ältere tragen Verantwortung und leiten unbedarfte Jüngere an; die wiederum frischen Traditionen mit Innovationen auf. Jetzt scheint sie sich in ihr Gegenteil zu verkehren: Längst zeigen die Jungen, wo es langgeht, jedenfalls technologisch. Das setzt Hackordnungen und Prinzipien außer Kraft - was dem innerbetrieblichen Miteinander nicht unbedingt förderlich ist. Damit nicht genug: Automatisierung und Digitalisierung haben immer mehr Jobs und Tätigkeiten auf dem Gewissen, Roboter und Algorithmen ersetzen Abläufe, ja ganze Berufe.
Und nicht nur künstliche Intelligenz und IT-versierte Youngster disruptieren, sondern das Bürodasein insgesamt verändert sich: Europäer müssen mit Indern klarkommen, Festangestellte mit Freelancern, Aufträge werden ausgelagert, was früher die Nachbarabteilung war, ist jetzt ein Subunternehmen - Lebenswelten und Gewohnheiten prallen aufeinander.
Vielen geht das zu schnell. Der Mensch mag nämlich keine Veränderungen. Sie bedeuten Ungewissheit, sie können Gefahren in sich bergen. Evolutionär gesehen, war es meist von Vorteil, ihnen mit Skepsis zu begegnen, bequemer war es sowieso. Wenn also der neue Chef nicht nur jünger ist und IT-flinker, sondern auch noch aus Asien stammt, so kann diese Kombination höchstes Unbehagen hervorrufen. So manchen Digital Immigrants machen solche Entwicklungen Angst.
Christine Radomsky, IT-Ingenieurin, Physikerin und Coach, hat dazu ein Buch geschrieben („Willkommen in der Welt der Digital Natives. Wie Sie als erfahrene Arbeitskraft Ihre Stärken ausspielen“, Redline Verlag, 2019). „Die an Langfristigkeit orientierte Karriereplanung taugt einfach nichts mehr“, so ihre Diagnose. Sie warnt aber nicht etwa vor der Digital-Natives-Welt, sondern will im Gegenteil Mut und Vorfreude verbreiten. Was also tun? Natürlich gibt es keine Patentstrategie, mit der man sich in der schönen neuen Arbeitswelt behaupten kann. Zunächst hat es wenig Sinn, sich gegen Modernisierungen zu stemmen. Wenn die Geschäftsführung das Bespielen sozialer Kanäle als neue Strategie ausruft, bringt es nichts, den Trotzkopf zu mimen, man läuft sonst Gefahr, von der Abteilung Change Management in die Dokumentation versetzt zu werden.
Viele Ältere schrecken davor zurück, Selbstvermarktung zu betreiben
Selbst wenn man sich innerlich dagegen sträubt: Lebenslanges Lernen ist unverzichtbar, will man die Berufswelt von morgen meistern. „Wie gut Sie Neues lernen, hängt nicht von Ihren Lebensjahren ab, sondern von Ihrer Einstellung zum Lernen und Ihren Lernmethoden“, so Radomsky. Jede Weiterbildung, die das Unternehmen ermöglicht und das Arbeitspensum erlaubt, sollte man wahrnehmen und sich solche Kurse beglaubigen lassen. Man sollte sich nicht scheuen, Jüngere immer wieder bei technischen Details und Problemen um Rat zu fragen. Das schmeichelt denen und kann den Bindungen in der Firma dienlich sein. Auch über die eigenen Kinder, Nichten, Neffen, Enkel möge man sich auf dem Stand halten. Das kostet vielleicht Überwindung und nagt am Selbstwertgefühl, aber so erfährt man rechtzeitig von Phänomenen wie Tiktok - und nicht erst auf der nächsten Abteilungskonferenz, wo es peinlich sein könnte.
IT-Tipps lassen sich mit eigenen Lösungsansätzen erwidern; die müssen keinesfalls obsolet sein, Berufserfahrung und gesunder Menschenverstand können IT-Wissen durchaus anreichern à la: „Wir hatten vor zehn Jahren ein ähnliches Problem. Mit Lösung A sind wir gescheitert, aber Lösung B hat funktioniert.“
Schließlich gilt es, sich die Kunst der Selbstvermarktung anzueignen. Sie mag vielen jenseits der 40 oder 50 widerstreben, moderne Zeiten verlangen jedoch moderne Methoden. Wenn 25-Jährige auf ihren Social-Media-Profilen mit angeblichen Vorzügen und Talenten protzen, sei das anderen ebenfalls gestattet. „If you can't beat them, join them“, lautet ein bewährtes Sprichwort aus der amerikanischen Geschäftswelt: Wenn du sie nicht schlagen kannst, schließ dich ihnen an.
Beiden Alterskohorten sagt man Eigenarten nach, gegen beide gibt es Vorurteile. Den Digital Natives wird gerne unterstellt, sie experimentierten lieber als zu analysieren, sie seien unkonzentriert, sprunghaft, anspruchsvoll, illoyal, machten gerne ihr eigenes Ding und gäben leichtsinnig ihre Privatsphäre im Internet preis. Bildung ersetzten sie durch Google, Selbstverwirklichung und Work-Life-Balance seien ihnen wichtiger als das Wohl der Firma. Dafür seien sie dynamisch und belastbar, offener für andere Kulturen und Lebensstile.
Was ist Fakt, was ist Fake? Auch Digital Natives können das oft nicht einschätzen
Digital Immigrants wiederum seien schwerfällig und lernunwillig, sie hielten an überholten Prozessen fest, trennten zu stark nach Berufs- und Privatleben, klammerten sich an Pflichten, Hierarchien, Autoritäten und an Privilegien. Dafür punkten sie mit ihrer Erfahrung, mit angesammeltem Wissen, mit Gelassenheit, heißt es. Sie erkennen das Wesentliche, denken langfristig, stellen die richtigen Fragen und sind dank ihrer Menschenkenntnis einfühlsamer - ein Faktor, der an Bedeutung gewinnt in volatilen Arbeitswelten.
Auch wer mit dem Job zufrieden ist, sollte sich rechtzeitig auf Business-Plattformen ein aussagekräftiges Profil anlegen und pflegen. Eines Tages liebäugelt man doch mit einem Jobwechsel, dann kann ein aktives Profil sehr nützlich sein. Und weil selbst die modernste Personalabteilung gerne auf persönliche Empfehlungen setzt, rät zum Beispiel Christine Radomsky zu scheinbar banalen Mitteln, etwa beiläufige Kontakte wie die Zahnärztin, den Friseur oder Fitness-Klub-Bekanntschaften auf dem Laufenden zu halten: „Diese Menschen verfügen über ein vielfältiges Netzwerk und über Informationen, die in keiner Jobbörse stehen.“
Wem all das weiterhin widerstrebt, mag sich damit trösten: Der Fachkräftemangel bleibt bestehen und wird eher dramatischer. Das ist die Trumpfkarte der arrivierten Generation. Berufserfahrung zählt zu den wichtigsten Dingen, die Arbeitgeber von Bewerbern erwarten. Das zeigt eine Auswertung des Bundesarbeitgeberverbands der Personaldienstleister von etwa 1,2 Millionen Stellenanzeigen. Der Ökonom Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg (IAB) bestätigt das. Im Zuge des demografischen Wandels werde es immer mehr ältere Beschäftigte in den Betrieben geben. „Viele Unternehmen versuchen, ältere Beschäftigte selbst dann noch zu halten, wenn diese eigentlich schon Rentenansprüche haben“, sagte Weber.
Längst sind Firmen dazu übergegangen, diese auf breiter Basis entsprechend zu schulen, sogar die Jüngeren. Denn was deren digitale Fähigkeiten betrifft, gehen Selbsteinschätzung und tatsächliche Fertigkeiten bei Jugendlichen weit auseinander, wie eine Studie des Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik in Kiel zeigt. Junge Männer erliegen der „Kompetenzillusion“ besonders häufig. Weil sie ständig und virtuos ihr Handy oder ihre Spielkonsole bearbeiten, glauben sie, die digitale Welt zu beherrschen. Doch den Jugendlichen, die besonders lange am Bildschirm hängen, gelinge es seltener, im Netz zu recherchieren, Informationen aufzubereiten, Fakten von Fake zu unterscheiden. Nur wüssten sie es nicht, so die Kieler Forscher. Vielleicht also entpuppt sich der firmen- und branchenweite Jugendwahn als Mode, die verfliegt. Weil klar wird, dass es nicht allein auf IT-Geschick ankommt, sondern auf alle möglichen Talente.
Anmerkung der Redaktion: Dieser Text erschien zuerst in der Süddeutschen Zeitung vom 14.3.2020.