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Wer jung ist und links sein will, muss in die Gewerkschaft oder den Betriebsrat

Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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Erstaunlich ist die Selbstgewissheit, mit der die beiden Chefs der Firma N26 klar gemacht hatten: die Mitsprache ihrer Belegschaft ist ihnen ziemlich schnuppe. In einer Mail erklärten sie, dass ein Betriebsrat „gegen fast alle Werte steht, an die wir bei N26 glauben“. Mit der Gründung eines Betriebsrats wollten die Angstellten gegen Intransparenz bei den Gehältern und und den hohen Arbeitsdruck vorgehen, den sie bei der Firma wahrnehmen, deren Ziel es ist, Bankfilialen mit einer App überflüssig zu machen. Nach breiter Kritik haben die N26-Chefs ihre Abwehrhaltung zwar zurückgenommen. Wie sicher sie sich ihrer Sache waren, zeigte aber schon allein der Versuch, sich über den Willen der Belegschaft hinwegzusetzen. 

Dabei dürften viele Jüngere ohnehin nur mit den Schultern gezuckt haben. Schlicht deshalb, weil gewerkschaftliche Organisation offenbar nicht mehr in ihre Lebenswelt passt. Nur 14,5 Prozent der 18- bis 30-jährigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer waren 2018 Mitglied in einer Gewerkschaft. Das Institut der deutschen Wirtschaft geht von nicht mal zwölf Prozent aus. Deutlich weniger als unter Älteren (bei den über 50-Jährigen sind es immerhin 22,5 Prozent). Was recht tragisch ist. Denn mit ihrer Lethargie schießen sich jene, die jetzt in all den Start-ups in Berlin, Leipzig und Hamburg sitzen, selbst ins Knie. Hinter ebenfalls wichtigen Themen wie der Klimakrise scheint das Thema Arbeit in den Hintergrund zu rücken. Dabei braucht es auch hier Menschen, die sich engagieren, vor allem jene, die jung sind und sich für politisch links halten. 

Natürlich hat sich die Welt der Angestellten gewandelt, durchaus zum Besseren. Immer weniger Menschen stehen zehn Stunden am Stück am Fließband und spucken nach der Schicht schwarzen Speichel aus. Seit 2015 gibt es einen gesetzlichen Mindestlohn. Schwangere dürfen seit 1952 in Mutterschutz. Bezahlte Urlaubstage gibt es schon seit mehr als hundert Jahren. Und wer ein paar Wochen mit einer Grippe im Bett liegt, fliegt nicht raus. Dem deutschen Arbeitnehmer und der deutschen Arbeitnehmerin geht es meistens also ganz gut. Hinzu kommt, dass Gewerkschaften eine ähnlich graue Aura haben wie das Finanzamt. In den Augen mancher verdienen Betriebsräte – zumindest die großer Konzerne – zu viel und leisten dafür zu wenig. Bei einem Date zu erzählen, man sei Verdi-Mitglied, klingt so verführerisch wie eine mittelgroße Briefmarkensammlung.

Es gibt aber eben auch Gründe, die für Gewerkschaften und Betriebsräte sprechen. Gründe, die dringlich sind. Gerade wenn man heute in einem Start-up angestellt ist.

Es gibt Feelgood-Manager und Teambuilding-Events. Das ist durchaus nett. Aber reicht das? 

In modernen Arbeitsverhältnissen werden die Jüngeren für ihren Einsatz mit gratis Espresso und Obsttellern belohnt. Es gibt Feelgood-Manager und Teambuilding-Events. Das ist durchaus nett. Aber reicht das? Eher nicht. Rund 40 Prozent der Menschen unter 30 haben einen befristeten Vertrag. Wer in einem Start-up arbeitet, leistet tendenziell mehr Überstunden. Die Jugend von heute, ergab eine Studie von 2016, verdient weniger als die Jugend von vor 30 Jahren. 

Dagegen schimpfen und klagen kann man durchaus allein. Schlagkräftiger ist aber zumeist ein Betriebsrat. Und nur weil man seinen Unmut an diesen auslagert, ist man nicht gleich schwach oder feige, sondern vielmehr solidarisch. Denn den Betriebsrat darf der Chef nicht einfach so rausschmeißen, wenn er ihm zu aufmüpfig ist. Außerdem spricht er nicht nur für die mitunter egoistischen Befindlichkeiten des Einzelnen – sondern für viele, manchmal sogar für alle. Das kann auch für die Vorgesetzten durchaus angenehmer, übersichtlicher und konstruktiver sein. 

Was man nicht vergessen darf: Start-ups wie N26 sind zunächst kleine Firmen, die experimentieren, und nicht selten improvisiert starten. Dass sie Freiheiten haben, ist auch gut so. Sie müssen tun dürfen, was sie wollen, um zu funktionieren und zu wachsen. Nur: Etliche von ihnen sind heute ja gar nicht mehr klein. Sie sind zu Konzernen geworden, die ernstgenommen werden wollen und hunderte Mitarbeiter haben, mitunter aus aller Welt – so wie N26. Was sich aber in den vergangenen 150 Jahren nicht geändert hat, sind die Fundamente der Arbeit: Es geht noch immer um Gehälter, um Kündigungsfristen, um Urlaubstage. Um Fairness. Auch bei Start-ups mit gratis Espresso. 

Gewerkschaftsmitglied zu sein, das klingt nach Links-sein. Dabei erfordert es kein Bekenntnis zu einem antikapitalistischen Lifestyle. Im Gegenteil, wie etwa die Automobilindustrie zeigt. Dort gibt es Firmen, in denen nahezu hundert Prozent der Belegschaft in einer Gewerkschaft sind, auch die Jüngeren, unter denen – rein statistisch – durchaus auch Wählerinnen der FDP und AfD sein werden. Sie alle profitieren davon, wenn etwa die IG Metall im Jahr 2018 für 120.000 VW-Beschäftigte 4,3 Prozent mehr Lohn rausholt. 

Noch selbstverständlicher aber sollte der Beitritt unter Menschen sein, die von sich sagen: „Ich bin links!“. Im linken Diskurs waren der Arbeiter und die Arbeiterin lange Zeit die zentralen Figuren. Ihre Rechte galt es zu schützen, ihre Freiheiten galt es auszubauen. Nun scheint ausgerechnet bei diesem linken Thema, der Arbeit, den Jüngeren die Begeisterung zu fehlen. Dabei stimmten etwa bei der Europawahl gut 60 Prozent der Menschen unter 30 für eher linke Parteien ab.

Dafür braucht es, so öde es auch klingen mag, bezahlte Urlaubstage und entfristete Verträge

Das Gefühl, nichts bewegen zu können, ist einer der Gründe.

Dazu noch scheinen andere Themen wichtiger zu sein als das Thema Arbeit. Die Klimakrise. Der Kampf gegen Rassismus. Die ungerechte Behandlung der Geschlechter. All das sind ebenfalls linke Themen. Aber darum kümmern können sich viele erst dann, wenn sie würdig arbeiten. Und warum sollte man das nicht anhand des Themas diskutieren, mit dem man sich sowieso 40 Stunden in der Woche beschäftigt? Auch dafür können Gewerkschaften ja stehen: Für Dienstreisen ohne Diesel. Für gleiche Bezahlung von Männern und Frauen. Für Bewerbungsverfahren, die frei sind von Diskriminierung. 

„Alle Räder stehen still / Wenn mein starker Arm es will.“ Lange waren diese Zeilen die Losung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, aus dem später die SPD hervor gegangen ist. Es ist ein Spruch, der furchtbar eingestaubt klingt. Dennoch wäre es eine Errungenschaft, wenn gerade Firmen wie N26, deren Selbstbild sich so viel hipper anhört, akzeptieren, dass auch ein Finger, der ein Touchpad bedient, durchaus stark sein kann. Dafür braucht es aber auch den Einsatz der Jungen.

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