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Um die Frauenkirche ist Disneyland
Ich war selten in einer Stadt, die so sehr aussieht wie ihre eigene Postkarte. Es ist ein April-Samstagnachmittag, und die Gebäude in der Dresdener Neustadt wirken sogar im echten Leben irgendwie gephotoshopt. Als seien sie extra für Touristen in der Nachmittagssonne ausgeleuchtet. Trip Advisor kürte Dresden zur viertbeliebtesten deutschen Reisestadt, gleich nach Berlin, München und Hamburg. Verständlich. Ich mache jedenfalls im Minutentakt Bilder: Frauenkirche, Semperoper, der Zwinger, in dem Adelige im achtzehnten Jahrhundert barocke Open-Airs gefeiert haben. Sehr schön, das alles. Aber auch ein wenig kulissenhaft. Ist das wirklich Dresden?
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Wenn man fürs Studium in eine neue Stadt zieht, gibt es viele Fragen: In welchem Viertel wohne ich am besten? Wo trifft man sich und wo gibt es die besten Drinks? Was muss ich wissen, um die Stadt zu verstehen? Wir beantworten diese Fragen im Studentenatlas auf jetzt.de und SZ.de für deutsche Studentenstädte. Auf Frankfurt und Dresden folgt nächste Woche Freiburg. Alle Informationen findest du unter sz.de/studentenatlas.
Als es dunkler wird, fahre ich in die Neustadt auf der anderen Elbseite. „Bermudadreieck“ wird die Kreuzung zwischen Louisen- und Görlitzer Straße genannt. Urbane Legenden besagen, dass dort die Feiernden oft in die Nacht verschwinden und erst Tage später auftauchen. Erinnerungslos. Hier sitzen Menschen auf Fensterbänken, lehnen rauchend an Häuserwänden und trinken Spätkaufbier. Das Bermudadreieck ist das Herz der „Äußeren Neustadt“ – der Dresdener Ausgehmeile. Die konzentriert sich auf drei Straßen (Görlitzer, Louisen- und Alaunstraße) und wirkt wie eine Mischung aus einem heimeligen Kiez mit Brooklyn-Allüren und Vergnügungspark. Gelegentlich schiebt sich eine Klassenfahrtgruppe in einen der Läden, die Restaurant, Bar, Cocktail- und Shishalounge in einem sind. Babos Dönerpoint reiht sich an Ararats Döner Lounge. Für 3,50 Euro kann man Cocktails zum Mitnehmen im Plastikbecher kaufen – und damit an den Bars mit den unverputzten Betonwänden und dem Naturfrisör vorbeigehen. Ein Schild in den Fenstern eines leeren Studios kündigt an, dass dort bald ein Yoga-Shop aufmacht. Im Restaurant Lila Soße gibt es Essen in Weckgläsern (Currywurst im Glas mit Hibiskusblüte, zum Beispiel).
Dafür darf man im Hebeda’s , Empfehlung eines Kumpels, in zwei Räumen rauchen. Den halben Liter Bier gibt’s ab 2,10 Euro, Zigaretten werden einzeln für 30 Cent verkauft. Die Wand ziert eine vollbusige und vollbewaffnete Amazone. In einem Raum mit Zebrastoff an den Wänden wird getanzt. Ich weiß nicht genau, ob die Verranztheit Stilelement ist, oder der Nebeneffekt von Exzessen, finde die Kneipe aber auch deshalb grundsympathisch.
Nächste Station: Altes Wettbüro – ein Club mit einen Sommergarten, der heute Zehnjähriges feiert. Dort sollte ich eigentlich mit Michael Schuhmann, einem der Clubgründer, über die Dresdener Szene reden. Aber der ist so mit Organisieren und Feiern beschäftigt, dass wir uns stattdessen für den nächsten Nachmittag verabreden. Ich schließe mich für ein Weilchen den Duttmädchen und Dreitagebartjungs an, die auf der Tanzfläche schwitzen. Ein Elektro-DJ aus Chicago legt auf, aus dem Sommergarten dringt wieherndes Lachen.
„Für mich ist Dresden eine der lebenswertesten Städte in Deutschland“, sagt am nächsten Tag Ronnie Haberland, 37, Inhaber der Boutique The Store in der Neustadt. Für ihn macht der Alltag das Leben in Dresden aus, nicht die Fotomotiv-Orte: „Es ist eine langsame Stadt. Wunderschön, grün, provinziell. Gemütlich bis zur Lähmung.“ Die Trends brauchen schon ein paar Jahre länger, um hier anzukommen, das sei aber nicht unbedingt ungesund: „Man kann’s auch so sehen: Dresden macht nicht jeden Scheiß mit. Diese Berliner Hässlichkeit als Modestatement zieht hier zum Beispiel nicht. Der Dresdener Look ist unaufgeregter, egaler.“ Im The Spot verkaufen sie größtenteils skandinavische Labels: Minimalismus, cleane Looks, Schnitte, die nicht so schnell aus der Mode kommen. Außerdem bringen sie zusammen mit der Modedesign-Fakultät der Fachhochschule Dresden eine eigene Kollektion raus. Und Konzerte und Lesungen veranstalten sie auch noch. Seit 2008 betreibt Haberland seinen Laden in der Äußeren Neustadt, und muss zusehen, wie die Gegend immer teurer wird. „Studenten können es sich langsam jedenfalls nicht mehr leisten. Zum Weggehen und Abhängen kommen alle her – wohnen tun sie inzwischen aber in Pischen oder Friedrichstadt.“
In Friedrichstadt, 15 Tram-Minuten von der Neustadt entfernt: Viele Altbauten, nicht allzu viele Leute – und wenn man welche trifft, dann schlendern sie und sind entspannt. Ich steige auf den grünen Hügel, auf dem man eine tolle Aussicht auf die Stadt hat, den Alberthafen an der Elbe, die Messe Dresden, und die Flutrinne – eine Wiese an der Elbe, auf der ein paar Tage später 15 000 Pegida-Anhänger zusammenkommen werden, um dem Rechtspopulisten Geert Wilders zuzuhören.
Auf dem Hügel, auf dem ich stehe, führen die Dresdener Hunde aus, rodeln im Winter, gucken an Silvester Feuerwerk. Es ist ein Trümmerberg, gemacht aus dem Schutt, den der zweite Weltkrieg zurückließ. Doch die wenigsten wissen das, erzählt Danilo Hommel. Er bietet Touren an: Einen Nightwalk durch die Neustadt, eine Streetart-Tour und eine Kurt-Vonnegut-Tour – nach Vonneguts kriegskritischem Kultroman „Schlachthof 5“. Durch die Altstadt führt er nicht: „Die Gegend um die Frauenkirche nennen wir Disneyland.“ Die meisten Besucher der Kurt-Vonnegut-Tour seien Amerikaner oder Briten. Deutsche kommen nicht ganz so oft. „Dresden bleibt zu sehr an der Nabelschnur der Hochkultur hängen. Dabei ist die Stadt so viel mehr als Semperoper und Frauenkirche. Und natürlich mehr als Pegida“, sagt Hommel auch noch.
Nachmittag, zurück in der Neustadt. Michael Schuhmann, 43, sitzt im Sommergarten vom Alten Wettbüro , verkatert und glücklich nach der erfolgreichen Jubiläums-Party. Schuhmann kommt aus dem Speckgürtel von Dresden und hängt in der Stadt ab, seit er Teenager ist. Er hat die Jahre nach der Wende erlebt, als die Leute in der Neustadt die „Türen zu Ruinen eingetreten, einen Eimer Farbe an die Wand geschmissen und das Ganze Club genannt haben.“ Anfang der Nullerjahre war die wilde Zeit vorbei: Vor zehn Jahren haben Schuhmann und sein Partner die Überreste eines halb-legalen Clubs im Industriegebiet zusammengepackt und in den Räumen eines alten Wettbüros wieder aufgebaut. Später kam ein Biergarten dazu und Mittagsküche. „Wir haben vier Clubs, die diesen Namen verdienen: Sektor, Paula, Sabotage und uns“, sagt Schuhmann. „Alles ist ein bisschen gemächlicher, familiärer. Aber wer will, kann jeden Tag etwas Cooles erleben: Es gibt junges Theater, Kunstausstellungen, Kneipen, die Elbe, ein halbes Dutzend Badeseen in der Nähe, die sächsische Schweiz.“
Wann er das letzte Mal in der Altstadt war, daran kann sich Schuhmann nicht erinnern. Und wahrscheinlich ist genau das auch die richtige Mischung, wenn man in Dresden lebt: Man wohnt dort, wo man sich’s leisten kann, hängt in der Neustadt ab, spaziert an der Elbe, fährt oft ins Grüne und geht in die Postkartenstadt, wenn die Eltern zu Besuch sind.
Text: jetzt-redaktion - Text: Pauline Achtermann Illustration: Katharina Bitzl